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Regierung spült Geld in Integration

Von Jan Michael Marchart und Simon Rosner

Politik
Die Regierung hat in ihrer Klausur mehr Mittel für die Unterbringung von Flüchtlingen, ihre Integration und einen besseren Zugang zu Bildung und Arbeit beschlossen. Rund eine Milliarde Euro nimmt die Regierung dafür in die Hand. Außerdem hat sie sich dazu verpflichtet, dass kein Flüchtling den Winter in einem Zelt verbringen muss.

Ab Mitte Oktober sollen in Österreich keine Flüchtlinge mehr in Zelten schlafen.


Wien. Der Vizekanzler spricht sich für eine "Europäisierung des Problems" aus und fordert eine internationale Konferenz, damit "die Lasten gerecht aufgeteilt werden". Salzburg meldet eine "Notsituation", weil fast 500 Flüchtlinge betreut werden müssten und täglich neue kommen. Man werde auch "auf Kasernen zurückgreifen müssen", heißt es. Und Wiens Vizebürgermeister sagt: "Wien ist mit seinen Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge am Ende." Der Vizebürgermeister? Nun, es war Wiens Vizebürgermeister Hans Mayr, der damals, 1992, von den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina sprach. Vizekanzler war damals Erhard Busek.

In manchen Meldungen aus den Archiven bieten tatsächlich nur die Provenienz der Flüchtlinge und die Namen der Politiker Unterscheidungsmerkmale zu heute. Es sind ähnliche Herausforderungen, ähnliche Zahlen, ähnliche Appelle an die europäische Solidarität. Und damals wie heute ist die Politik gefordert, Gesetze und deren Auslegung der Realität anzupassen.

Die Regierung hat in ihrer Klausur mehr Mittel für die Unterbringung von Flüchtlingen, ihre Integration und einen besseren Zugang zu Bildung und Arbeit beschlossen. Rund eine Milliarde Euro nimmt die Regierung dafür in die Hand. Außerdem hat sie sich dazu verpflichtet, dass kein Flüchtling den Winter in einem Zelt verbringen muss.

Am Freitag fand sich die heimische Regierung deshalb zu einer Klausur im Bundeskanzleramt ein, auf europäischer Ebene soll ein Gipfel jetzt doch schon im September stattfinden, wenn sich die EU-Innenminister nicht doch noch am Montag auf eine Verteilung der Flüchtlinge einigen können. Unabhängig der weiteren Entwicklung des Zustroms nach Deutschland - mit Österreich als Zwischenstation - steht das Land vor drei großen Herausforderungen: die Finanzierung, die Unterbringung der Flüchtlinge sowie die Integration der Asylberechtigten. Die Erfahrungen der 90er Jahre können hier durchaus als Leitfaden dienen.

Drei Herausforderungen

Die vergleichsweise am einfachsten zu bewältigende ist die Finanzierung mit zusätzlich einer Milliarde Euro. Laut Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mittlerlehner (ÖVP) sind die Gesamtkosten für die Grundversorgung vorsichtig mit 420 Millionen Euro zu beziffern. Die Tendenz gehe eher nach oben. In Integration und Arbeitsmarkt fließen weitere 145 Millionen Euro. Zudem wird gerade mit den Gemeinden eine Abweichung beim Stabilitätspakt von bis 345 Millionen Euro verhandelt.

Einzurechnen ist auch, dass die große Anzahl der Flüchtlinge auch Sekundärkosten bedingen, etwa für zusätzliche Lehrer als Dolmetscher, deutlich mehr Deutschkurse sowie die Schaffung von Wohnraum. Insgesamt wird mit einer Milliarde Euro an Zusatzkosten gerechnet.

Die zweite Problemstellung ist jene der Unterbringung der Schutzsuchenden, was auch während des Bosnien-Krieges eine der großen Herausforderungen war. Zumal es damals kein bestehendes System gab, wie es heute mit der Grundversorgungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern existiert. Wie sich in den vergangenen Monaten zeigte, war das aber nicht hilfreich, sondern vielmehr hinderlich. In den 1990ern musste improvisiert werden, was dank großem Engagement der Hilfsorganisationen und von Privatpersonen gut funktionierte, diesmal aber brach das System in sich zusammen und Traiskirchen als Auffangbecken platzt aus allen Nähten. Die Anforderungen an staatliche Strukturen waren damals gänzlich andere als sie heute sind. Doch eben diese Strukturen haben diesmal komplett versagt. Nach wie vor müssen derzeit Tausende in unbeheizten Zelten nächtigen, auf der Klausur wurde nun das Ziel ausgegeben, dass es bis Mitte Oktober für Flüchtlinge in der Grundversorgung keine Zelte mehr zur Unterbringung braucht. Zelte könnten dann nur noch kurzfristig in Notsituationen zum Einsatz kommen. Der geplante und vom Nationalrat in Bälde zu beschließende Verteilungsschlüssel für Gemeinden (1,5 Prozent der Bevölkerungszahl ist Pflicht) sowie das Durchgriffsrecht des Bundes, sollen ihres dazu beitragen.

Die dritte Herausforderung ist die Integration der Flüchtlinge, sowohl während ihres Asylverfahrens als auch danach, wenn sie einen positiven Bescheid erhalten haben. Aufgrund der vielen Anträge beträgt die durchschnittliche Dauer eines Asylverfahrens fünf Monate. Die Bosnien-Flüchtlinge hatten gar kein Asylverfahren durchlaufen müssen, für sie wurde der Titel eines "vorübergehenden Aufenthaltsrechts" geschaffen. Das hatte Vor- und Nachteile. Einerseits erhielten sie damit rasch und unbürokratisch ein Bleiberecht, da dieser aber eben nur temporär war, hatten sie mit Benachteiligungen am Wohn- und Arbeitsmarkt zu kämpfen. Das Vorgehen Österreichs war Vorbild für eine Jahre später verabschiedete EU-Richtlinie zum "vorübergehenden Schutz im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen". Den Beschluss dazu müsste aber der Europäische Rat auf Vorschlag der Kommission treffen, Österreich kann daher
als einzelner Staat gar kein temporäres Aufenthaltsrecht verhängen.

5000 Lehrplätze für Flüchtlinge

Die Regierung hat sich am Freitag bei ihrer Klausur darauf verständigt, die Mittel zur Bewältigung der Flüchtlingskrise zu erhöhen. 75 Millionen Euro sollen unter anderem in den Ausbau von Sprachkursen, neue Integrationsangebote und den Ausbau der Lehre für Asylwerber fließen. Zu einer erfolgreichen Integration gehört auch der Eintritt in den Arbeitsmarkt. 70 Millionen Euro spült die Regierung deshalb in Maßnahmen, die es den Flüchtlingen leichter machen sollen, in Österreich einen Job zu finden. Im Ausland erworbene Ausbildungen und Qualifikationen sollen künftig besser und rascher anerkannt werden. Die Kompetenzchecks des AMS Wien sollen bundesweit umgesetzt werden. Dabei wird auch die Möglichkeit in Richtung Selbständigkeit erhoben. In Wien seien erste Pilotprojekte in Ausarbeitung. Um Asylberechtigten mit Mindestsicherungsbezug und Schwierigkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Perspektive zu bieten, wird ihnen sowie subsidiär Schutzbedürftigen, die seit maximal zwei Jahren diesen Status haben, ein Integrationsjahr angeboten.

Dabei soll es sich um kein Arbeitsverhältnis handeln, sondern um eine Maßnahme von sechs bis zwölf Monaten, vergleichbar mit einem Freiwilligen Sozialjahr. Neben gemeinnütziger Tätigkeit sind zusätzliche Integrationsmaßnahmen geplant. Die Träger können ein geringes Taschengeld zahlen. Außerdem will die Regierung Schutzsuchenden ermöglichen, rasch eine Lehre anzutreten. In Zukunft soll dies in sämtlichen Lehrberufen in Branchen mit Fachkräftemangel möglich sein, zum Beispiel für Köche. Etwa 5000 Asylwerber sollen so eine Lehre beginnen. Aktuell sind es nur 100.

Neu ist, dass das Heer die Leitung über den Transport der tausenden Flüchtlinge übernimmt. Das Kommando hat Generalstabschef Othmar Commenda.