Zum Hauptinhalt springen

Wie viel ist die Gesundheit eines Menschen wert?

Von Jan Michael Marchart und Petra Tempfer

Politik

Das, was die Medizin leisten könnte, entfernt sich immer weiter von dem, was man sich leisten kann.


Wien. Patienten, die an Hepatitis C erkranken, stehen vor einem schweren Schicksal. Das Virus zerfrisst die Leber, im schlimmsten Fall führt es zu Leberkrebs und Tod. Mit der "Wunderpille" Sovaldi ist die schwere Krankheit nun heilbar. Zudem ist die Therapie besser verträglich als mit den Stoffen davor. Das Heilversprechen dauert zwölf bis 24 Wochen.

Aber wie viel ist die Gesundheit eines Hepatitis-C-Erkrankten wert? Wie viel sein Leben? Aus rein ethischer Sicht steht jedem Patienten die Behandlung zu, die er braucht - ganz egal ob er 80 oder 20 Jahre alt ist. Und sein Leben an sich ist unbezahlbar.

Doch die Firma Gilead, die hinter Sovaldi steht, verrechnet für diese Wunderpille horrende Beträge. Die Kosten für die Behandlung eines Patienten mit Sovaldi samt weiterer Kombinationen können sich in Österreich auf bis zu 87.000 Euro, ja sogar 150.000 Euro summieren. Der Grund dafür: Die Kosten für Entwicklung, Erforschung und Vermarktung neuer Arzneien verschlingen Milliarden, so die Pharmaunternehmen. Durch die Heilung würden aber hohe Folgekosten wegfallen.

"Du brauchst es noch nicht"

"Wir müssen dem Patienten das geben, was er braucht", sagte der Vorstand des Hauptverbandes für Sozialversicherungsträger, Peter McDonald, in dieser Zeitung. Hierzulande wurde die Krankheit bei 34.000 Patienten diagnostiziert. Die Kassen sprechen mit Einbeziehung einer Dunkelziffer von bis zu 80.000 Betroffenen. Bekommt jeder die teure Therapie, würde das die Kassen finanziell enorm belasten.

Derzeit ist es nämlich so, dass Sovaldi nur dann verschrieben wird, wenn die Krankheit bereits weit fortgeschritten ist und andere Mittel nicht wirken. "Frei nach dem Motto: Du brauchst es noch nicht, warten wir, bist du kränker wirst", sagte der Hepatologe Peter Ferenci der Medizinischen Universität Wien. Die Kassen würden sich an ihren Jahresbudgets orientieren und danach handeln. Die Therapie einem Patienten in einem früheren Stadium zu geben, wäre nicht nur sinnvoll, sondern auch kostendämpfend.

Der Hepatologe sagte das bei einem Hintergrundgespräch vor einer öffentlichen Sitzung der Bioethikkommission zum Thema "Medizin und Ökonomie - ein Tabu?". Die Kommission möchte unter anderem eruieren, wie man mit diesem Thema umgehen soll. Wie dämpft man die Preise? Ab welchem Stadium bekommt man ein Medikament? Die Empfehlungen sollen spätestens in zwei Jahren vorliegen. Präventionsmaßnahmen etwa hätten laut Ferenci den politischen Nachteil, dass sie zunächst mit Kosten verbunden wären und erst Jahre später Ersparnisse zeigen. Derzeit versuchen die Kassen den Medikamenteneinsatz zu optimieren und haben ein Hepatitis-C-Register eingeführt, um die Wirksamkeit zu beobachten. Denn Sovaldi wird eine Heilungsgarantie von 90 Prozent vorausgesagt. Eine Zahl, die die Kassen bezweifeln.

Letztendlich reduziert es sich immer auf die Frage der Kosten. Ein aktuell besonders heikles Thema, erwarten sich doch die Krankenkassen für heuer McDonald zufolge einen Verlust von 129,3 Millionen Euro. McDonald führt das Defizit auf sinkende Beitragseinnahmen durch die wachsende Arbeitslosigkeit - und eben auf steigende Ausgaben bei Medikamenten zurück. Vergleicht man innerhalb der EU, so gibt Österreich auch überdurchschnittlich viel für das Gesundheitswesen aus. Dafür scheinen die Österreicher relativ zufrieden mit den Leistungen der Krankenkassen zu sein - einer vom Hauptverband in Auftrag gegebenen GfK-Studie zufolge 80 Prozent der Befragten.

Keine Altersgrenzen

Georg Marckmann vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München: "Das, was wir tun können, klafft immer weiter von dem weg", was man sich leisten könne. In Deutschland hätte man einen ersten Schritt gemacht. Neue Medikamente würden auf ihren Zusatznutzen zum Vorgängermittel geprüft. Dieser ist Grundlage für die Verhandlungen.

Eine Pille von Sovaldi kostet in Deutschland aber selbst nach den Preisverhandlungen mit Gilead immer noch 488 Euro. Davor waren es 700 Euro. In Ägypten kostet eine ganze Packung die Hälfte. Ist es falsch, dass sich Gilead auf die reicheren Länder konzentriert und einen Gewinn machen möchte? Die Bioethikkommission möchte auf diese und weitere Fragen Antworten finden.

Es gehe aber nicht nur um Arzneipreise, sondern auch um Personalkosten, gibt Kommissionsmitglied Jürgen Wallner zu bedenken. Dort liegen die "großen Hebel". Aber auch Risiken. Wird etwa im Nachtdienst eine Krankenschwester eingespart, könnte dies zu erhöhtem Medikamenteneinsatz führen, um Patienten "ruhig zu stellen". Wallner schlug mehr Standards zur Vermeidung von Wartezeiten und Leerläufen aus Sicht des Patienten vor.

"Willkürliche Altersgrenzen" für eine Behandlung lehnt auch Kommissionspräsidentin Christiane Druml ab. Jeder müsse behandelt werden. Was medizinische Studien betrifft, sprachen sich die Experten für unabhängig produzierte aus.