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Integration als Hauptproblem bei temporärem Asyl

Von Simon Rosner

Politik

Expertin Ulrike Brandl im Interview: "Asyl auf Zeit" wäre denkbar.


"Wiener Zeitung": Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde von allen EU-Staaten ratifiziert. Warum kann es dennoch so unterschiedliche Asyl-Rechte geben?Ulrike Brandl: Die Flüchtlingskonvention enthält die Definition des Flüchtlingsbegriffs und diese besteht aus mehreren Elementen, die in der Staatenpraxis unterschiedlich ausgelegt werden. Es gibt in der Europäischen Union eine Richtlinie, die Kriterien verpflichtend regelt, wie Mitgliedsstaaten diesen Begriff auszulegen haben. Aber je komplexer ein Begriff ist, desto stärker differiert auch die Auslegung. Was die Genfer Flüchtlingskonvention nicht enthält, sind Regeln über Verfahren, auch deshalb ist die Praxis unterschiedlich. Es gibt zwar auf europäischer Ebene mittlerweile die zweite Richtlinie, die auch Anerkennungsverfahren regelt, diese lässt aber den Mitgliedsstaaten noch Spielräume.

In Österreich wird die Idee des "Asyls auf Zeit" diskutiert, das automatisch ausläuft und aktiv verlängert werden muss. Ist das noch im Sinn der Konvention?

Man könnte es prozedural so ausgestalten, dass man die Umstände im Herkunftsland prüft. Das ist zwar noch spekulativ, aber man könnte das schon verfassungs- und auch völkerrechtskonform gestalten. Aber man muss sich das sehr genau ansehen und darf nicht dazu führen, dass dann jemand auf einmal keinen Status mehr hat oder gar in einen Verfolgerstaat geschickt wird.

Wo ist dann die Abgrenzung zum subsidiären Schutz?

Der subsidiäre Schutzstatus wird immer nur nach einer Einzelfallprüfung verliehen. Beim Asyl auf Zeit könnte man auch einen Schutzstatus für eine bestimmte Zeit ohne diese Einzelfallprüfung gewähren, wenn eine Person bestimmte Kriterien erfüllt, zum Beispiel aus Syrien kommt und nicht zurückgeschickt werden kann.

Diese Option gibt es auf EU-Ebene durch die Richtlinie, die einen vorübergehenden Schutz im Fall einer Massenflucht ermöglicht. Warum wird diese nicht angewandt?

Das habe ich mich auch schon gefragt. Es wurde nie auf die Tagesordnung gebracht, wäre aber sinnvoll gewesen. Was der politische Hintergrund dafür war, kann ich nicht sagen. Es wäre aber auch ein Ausdruck der Solidarität gewesen mit Mitgliedsstaaten, die besonders belastet sind. Das ist aber nicht passiert. Die Quotenvorschläge sind jedenfalls nicht auf diese Bestimmung gestützt.

Wenn nach drei Jahren das Bleiberecht entzogen wird, ist ein Asylberechtigter vielleicht gerade in einem Job, die Kinder sind in der Schule. Ist der Entzug des Bleiberechts aus rechtlicher Sicht problematisch?

Ja, es kann sehr problematisch sein. Es wird auch nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMGR, Anm.) geprüft, wie die Integration ist - auch jene von Familienmitgliedern. Je länger das Aufenthaltsrecht dauert und je verfestigter der Aufenthalt ist, desto problematischer wird es. Es ist aber nicht in jedem Fall so, dass es zu einer Aufenthaltsverfestigung kommt, die man nicht mehr beenden kann. Wenn sich die Situation in Syrien ändern sollte, könnte man auch mit Anreizen versuchen, die Rückkehr attraktiv zu machen, etwa durch Prämien.

Die Familienzusammenführung soll erst nach drei Jahren möglich sein. Widerspricht das Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Familienlebens)?

Da ist der EGMR bisher restriktiv gewesen. Er ist eher geneigt zu sagen, dass es ein Verstoß ist, wenn ein Familienmitglied ausgewiesen wird und den anderen damit nichts anders übrig bleibt, als mitzugehen oder in Kauf zu nehmen, dass die Familie dann getrennt ist. Der EGMR hat aber nur in wenigen Fällen einen Verstoß gesehen, wenn jemand nicht nachziehen durfte. Der Gerichtshof ist zurückhaltender, wenn es um Einwanderungsmaßnahmen geht, da betont er die Souveränität der Mitgliedsstaaten. Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn Kinder keine Person hatten, die sich um sie kümmert, hat der EGMR gesagt, das der Nachzug gewährt werden muss, damit das Recht auf Familienleben nicht verletzt wird.

Ulrike Brandl ist Assistenzprofessorin an der Universität Salzburg mit Fachbereich Völkerrecht und Forschungsschwerpunkt Flüchtlings-, Asyl- und Fremdenrecht.

UNHCR: Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (PDF)