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Die Furcht vor der Angst des Wählers

Von Simon Rosner

Politik

Politiker erklären, die Sorgen der Menschen "ernst zu nehmen". Tatsächlich instrumentalisieren sie jedoch diese Sorgen.


Wahlabend in Oberösterreich. Die Sieger und Verlierer erklären sich, orakeln über die Motive des Souveräns. Es gibt offenbar Einigkeit. "Ängste haben eine Rolle gespielt", sagt Kanzler Werner Faymann. "Die Angst der Menschen hat die ÖVP sehr wohl ernst genommen", sagt Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, fast trotzig. Jubeln kann an diesem Abend nur die FPÖ. Warum? Weil sie, wie Parteichef Heinz-Christian Strache erklärt, "die Sorgen der Menschen ernst genommen hat".

So geht Wahlsieg also: Die Angst ernst nehmen. Doch was heißt das? Wie kann ein Politiker die Angst ihm unbekannter Wähler "ernst nehmen"? Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet jene Partei, die für sich den Alleinanspruch im Ernstnehmen stellt, im Verdacht steht, Ängste zu verstärken. Das ist der Vorwurf anderer Parteien gegenüber der FPÖ, die das selbst natürlich anders sieht.

Doch verlassen wir einmal kurz das Feld der Politik. Ängste treten nicht nur auf, wenn Menschen zu Wählern werden und an eine ungewisse Zukunft denken. Sie können Menschen ereilen, wenn sie ein Flugzeug besteigen oder vom Stephansdom hinunter schauen. Solche Ängste teilen vielleicht nur wenige, doch es ist Common Sense, dass es sie gibt. Wie verhält man sich nun, wenn der Sitznachbar im Flugzeug auf einmal erbleicht? Erzählt man von denkbaren Abstürzen und Notfallszenarien? Der FPÖ wird nämlich vorgehalten, in diesem Geiste mit verängstigen Wählern zu kommunizieren, wenn etwa Strache die Scharia als drohende Gefahr für die österreichische Gesellschaft insinuiert.

Angst als Projektion

">Will man präzise sein, muss man zunächst zwischen Angst und Furcht oder Real-Angst differenzieren. "Angst ist nur ein Symptom für etwas Dahinterliegendes", sagt Irene Etzersdorfer, Politikwissenschafterin mit psychoanalystischer Ausbildung. Wer Flugangst hat, weiß, dass ein Flugzeug ein sicheres Verkehrsmittel ist, und dennoch stellt sich beim Abflug ein Gefühl der Angst ein.

In Abgrenzung dazu ist Furcht auf eine reale Gefahr bezogen. Zum Beispiel vor einem Blitzschlag, wenn bei einer Wanderung ein Gewitter aufzieht. Wenn dann Furcht ein den Umständen angemessenes Handeln bewirkt, im konkreten Fall wäre dies das Aufsuchen einer Hütte, ist sie uns Menschen sogar nützlich. Furcht hat uns überleben gelehrt.

In der Politik verschwimmen jedoch die Grenzen zwischen Angst und Furcht, und es gibt Projektionen. Hinter einem Gefühl der Angst aufgrund der Flüchtlingswelle kann auch eine durchaus reale Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes stecken, auch wenn dieser durch Migration nicht gefährdet ist, sondern vielleicht durch Digitalisierung. Daneben gibt es aber auch dieses mulmige Sentiment, das sich beim Blick auf Abertausende Flüchtlinge einstellt, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht nur die kleine Vorhut darstellen. Welche Auswirkungen wird das auf das Zusammenleben haben? Wird die Belastung für den Wohlfahrtsstaat zu groß?

"Angst stellt Fragen", sagt Johannes Voggenhuber, grünes Urgestein und Polemik generell nicht abgeneigt. Und Fragen stellen sich nicht nur bei der Asylkrise, sondern auch bei Themen wie Sicherheit, Umwelt, Pensionen.

Wenn der Angst nun etwas komplett Irreales zugrunde liegt, ist der Handlungsspielraum der Politik gering. "Wenn jemand Angst vor Gespenstern hat, ist aber die Frage, ob ich diese Angst verstehe oder behaupte, dass es Gespenster gibt", sagt Voggenhuber. Hier, und das ist eher eine neue Entwicklung, klinkt sich mittlerweile auch die FPÖ ein, vor allem sozial medial. Immer wieder verlinkt Parteichef Strache auf seiner Facebook-Seite auf fragwürdige Nachrichten-Portale beschränkter Seriosität, und er spielt auch ganz direkt mit allseits bekannten Verschwörungstheorien (Bilderberger, Chemtrails, Haider-Unfall). Das sind auch Botschaften an diese Form der Angst. Es mag im Fischen nach Wählerstimmen nur eine marginale Rolle spielen, doch auf dem Gebiet der Verschwörungstheorien ist die FPÖ allein.

Angst macht verführbar

>Sie ist es freilich nicht, wenn es um Ängste mit realen Anknüpfungspunkten geht. "Angst macht schwach, und sie macht die Menschen verführbar", sagt Voggenhuber. Es stellt bestimmt nicht das Ideal von Politik dar, doch in der Realität gibt es sie eben auch: Verführung. Und Ängste der Menschen für die eigenen Zwecke zu nutzen, ist nicht nur auf rechtspopulistische Parteien beschränkt.

Die in dieser Hinsicht unverdächtigen Neos malen etwa gerne das Bild der Überschuldung und insinuieren damit eine unsichere Zukunft. Doch stellen sie den Schulden auch das Vermögen gegenüber? Etwa in Wien das Vermögen an Gemeindebauten? Auch die SPÖ instrumentalisiert Emotionen, geradezu legendär ist der "Pensionistenbrief" 1995 des damaligen Kanzlers Franz Vranitzky. Und war da nicht auch etwas bei den Grünen? Der saure Regen, das Waldsterben, die Ozon-Belastung? Auch die Grünen beschrieben und beschreiben manchmal Szenarien der Übertreibung.

Emotionalisierung als Weckruf

"Politik zeichnet sich darin aus, dass sie über Macht verfügen will und auch ausübt. Die Mittel dafür müssen aber ethisch gerechtfertigt sein", erklärt der Philosoph Peter Kampits. Das Schüren und Verbreiten von Angst bringe jedenfalls ethische Probleme mit sich, sagt er. Doch wo ist die moralische Grenze zu ziehen? Es lässt sich durchaus argumentieren, dass die Überspitzung zumindest manchmal eine Notwendigkeit darstellt, um Debatten überhaupt erst anzustoßen. So hatte sich sinngemäß auch erst jüngst wieder Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl erklärt, warum er im Nationalrats-Wahlkampf von einem "abgesandelten Österreich" sprach.

"Ich sage nichts gegen Polemik", sagt Voggenhuber. Diese sei legitim. "Es geht aber darum: Versuche ich die Gesellschaft für etwas zu gewinnen? Und vermittle ich ein Gefühl, dass wir das bewältigen können, und dass es uns als Gesellschaft nicht spaltet?"

Das könnte ein möglicher Ansatzpunkt sein, die ethische Legitimität einer emotionalisierenden Debatte zu definieren, selbst wenn in einer solchen Diskussion Ängste durch das Beschreiben von Horrorszenarien tangiert und vielleicht sogar verstärkt werden.

Die andere Seite der Angst

Die ethische Grenzziehung ist aber gewiss nicht leicht. Auch die FPÖ könnte argumentieren, dass sie sich der Polemik nur bedient, um Herausforderungen, aktuell eben der Flüchtlingskrise, zu akzentuieren. Tatsächlich haben FPÖ-Politiker auch darauf verwiesen, dass sie als erste Partei Grenzkontrollen gefordert hätten, was dann später vom Innenministerium auch angeordnet wurde. Eine Polemik kann außerdem von den Wählern auch als solche verstanden und entsprechend eingeordnet werden. Aber das passiert eben nicht immer. "Die Reflexionsfähigkeit steigt mit dem Bildungsgrad", sagt Etzersdorfer.

Eine andere, mögliche Abgrenzung wäre, dass es sich bei Flüchtlingen oder auch Bettlern eben um Menschen handelt, bei "Schulden" oder dem "Ozon-Loch" dagegen nicht, dass es also notwendig ist, besonders sensibel vorzugehen, wenn auf der anderen Seite der Angst Menschen stehen, die plötzlich als Bedrohung wahrgenommen werden. Denn eine solche Diskussion evoziert zwangsläufig wechselseitige Reaktionen, die gesellschaftsschädigendes Potenzial in sich bergen. Das Phänomen europäischer Dschihadisten wird auch in einem Zusammenhang antimuslimischer Agitation im Nachhall von 9/11 und anderer islamistischer Terrorangriffe vermutet.

Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Nur selten bieten die tatsächlich Mächtigen Projektionsflächen für die Angst der Menschen. Viele wettern zwar gegen Politiker, Banker und Manager, fühlen sich vielleicht auch drangsaliert, doch dieses Gefühl ist nicht mit Angst gleichzusetzen. "Angst im öffentlichen Raum ist praktisch immer das Anzeigen eines Verteilungskampfes. Es entstehen Ängste, übervorteilt zu werden", sagt Voggenhuber. "Wenn die Mittelschicht Angst hat, abzusteigen, wird sie nicht ,denen oben‘ sagen, ihr drängt uns nach unten, sondern sie wird nach unten treten." Auch Kampits sieht den Verteilungskampf als Fundament diffuser Ängste: "Das Suchen eines Sündenbocks hat etwas mit dem sozialen Gefälle zu tun. Die Ängste, die bestehen, gehen von sozial Schwachen aus."

Vertrauen hilft

Dass in der aktuellen Flüchtlingsbewegung in die EU eine große Herausforderung steckt, werden wenige bestreiten. Sich vor den ungewissen Auswirkungen zu fürchten, ist daher naheliegend. Wo also hin mit der eigenen Angst? Ingrid Etzersdorfer nimmt Anleihen an der Psychologie. "Es braucht Vertrauen in Expertensysteme", sagt sie. Wer einem Piloten nicht vertraut, wird es beim Fliegen mit der Angst zu tun bekommen. Oder in der Medizin. Vertrauen in die Chirurgin mildert die Angst eines Patienten.

Das lässt sich auch auf die Politik übertragen. Es scheint ein Bedürfnis der Menschen zu geben, Politikern zu vertrauen. Nicht zuletzt deshalb wird der Ruf eines Politikers oft in Vertrauensindizes dargestellt. Je krisenhafter eine Situation ist, desto größer wird auch der Wunsch nach einer Autorität. Andererseits ist es für Politiker sicher schwieriger geworden, eben eine solche Autorität zu werden, vor Jahrzehnten reichte allein das Amt. Doch das spielt keine Rolle mehr. "Das hat auch etwas mit der Emanzipation des Menschen zu tun", sagt Etzersdorfer, und Voggenhuber ergänzt: "Was die Autoritätsgläubigkeit betrifft, hat sich viel geändert."

Umso wichtiger ist das, was "Leadership" genannt wird. In dieser Hinsicht war die Reaktion der heimischen Politiker kommunikativ eine gänzlich andere als jene der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die in der Flüchtlingskrise schnell ein "Wir schaffen das" über die Lippen brachte, während die österreichische Regierung zuerst herumlavierte, um dann zum Teil gegensätzliche Positionen einzunehmen.

"Wir schaffen das"

Das Merkel’sche "Wir schaffen das" ist jedenfalls bemerkenswert und entspricht dem, was Voggenhuber fordert: Lösungsorientiertheit und Gemeinschaft. Am Mittwochabend bekräftigte die Kanzlerin diesen Satz noch einmal im deutschen TV. Es wird kein Zufall sein, dass Merkel bisweilen auch als "Mutti" tituliert wird. Die deutsche Psychologin Thea Bauriedl sagte in einem Interview mit der "Zeit": "Es ist bezeichnend für die Beziehung zwischen Merkel und sehr vielen Deutschen, dass man sie zur eigenen Sicherheit immer wieder inthronisiert, wenn Gefahr droht." Und weiter: "Wir wissen, wie diese Mutti ist, nämlich genau so, wie wir sie uns wünschen. Sie wird alles können und alles gut machen."

Im konkreten Fall ist zwar nicht alles gut geworden, doch Leadership bedeutet nicht, immer alles richtig zu machen. Man kann auch falsch liegen. Nirgendwo zu liegen, ist jedoch jedenfalls daneben, und zwar auch aus der Sicht, mit Ängsten seriös umzugehen. Nämlich einerseits Sorgen tatsächlich ernst zu nehmen, aber andererseits zu verhindern, dass diese Ängste zum Instrument innerpolitischer Ränkespiele mit dem Potenzial gesellschaftlicher Radikalisierung werden.

Auch Josef Kalina, Politik- und PR-Berater und einst selbst in der Politik als Bundesgeschäftsführer der SPÖ tätig, sagt: "Das Entscheidende ist Führung. Man muss den Menschen klar machen, dass man das Problem erkannt und eine Lösung parat hat." Unsicherheiten, ergänzt er, seien "Wasser auf die Mühlen der Opposition". Oder, im Fall der FPÖ: viele, viele Wählerstimmen.