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Die Leidgenossen

Von Simon Rosner

Politik

Die Regierung hat bis 2018 keine Landtagswahl mehr zu befürchten. Das ist eine Chance.


Wien. Die Freude der Erleichterung ist eine besonders intensive Freude, und ein Wahlabend mit doch unerwartetem Ausgang ist zudem hektisch, unübersichtlich und ständigen Planänderungen unterworfen. Da kann es schon einmal passieren, dass im Eifer des Jubels ein Gratulant übersehen wird. Auch wenn es sich um den Bundeskanzler handelt.

Vielleicht war es aber eben nicht ganz unabsichtlich, dass Parteichef Werner Faymann bei der Wahlparty im Zelt der SPÖ eine buchstäbliche Randerscheinung blieb, sich bei der Rede von Bürgermeister Michael Häupl in der zweiten Reihe ganz außen hinstellen musste. Immerhin ist Faymann aus Liesing, wo die SPÖ knapp aber doch auf Gemeindeebene den ersten Platz gegen die FPÖ verteidigen konnte.

Es mag an diesem hektischen Abend vielleicht nur passiert sein, aber dass es - generell gesprochen - um die Beziehung zwischen Bundes- und Landespolitik schon einmal besser bestellt war, ist kein Geheimnis. Was auch der Koalitionspartner auf Bundesebene am Sonntag zur Schau stellte. Die schweren Verluste der ÖVP in Wien veranlassten die Bundesspitze dazu, nur auf eine Stippvisite in die Parteizentrale zu kommen. Nach wenigen Augenblicken war Parteichef Reinhold Mittlerlehner wieder verschwunden. Wahlniederlagen sind eben schlechtes Karma.

Die gute Nachricht für die Koalitionsparteien im Bund: Das war’s jetzt mit unangenehmen Landtagswahlen. Erst im Frühjahr 2018 stehen die nächsten auf dem Wahlkalender - die Legislaturperiode läuft dann im Herbst des Jahres aus. In den vergangenen zwei Jahren wurden alle neun Landtage neu gewählt, dazu fand im Vorjahr die EU-Wahl statt, was fast immer auch mit einer Hinsichtl-Rücksichtl-Politik auf Bundesebene verbunden ist. Zudem sorgen Wahlniederlagen auf Landesebene - und deren gab es reichlich für Rot und Schwarz - verlässlich für Aufregung, Nervosität und innerparteiliche Kritik, wobei letztere dann wieder zu Aufregung und Nervosität und einem gewissen Maß von Hinsichtl-Rücksichtl-Politik führt. Ein Dilemma.

Plan B greift auch nicht mehr

Wenn nichts mehr ging zwischen SPÖ und ÖVP, gab es für die Bundesregierung aber immer noch einen Plan B. Der lautet: das Problem wurde zur Lösung an die Sozialpartner delegiert. Diese konnten dann einen Konsens finden, auch wenn wirklich große Reformen und Maßnahmen mit diesem Plan B kaum möglich sind. Aber darum geht es dann auch nicht, sondern um ein Weitertun und darum, die Regierung aus einer verzwickten Situation zu bringen.

Doch im vierten Jahr der Wirtschaftsflaute ist das Klima bei den Sozialpartnern schlecht wie selten zuvor. Das Arbeitsmarktpaket war eines jener großen Projekte, die die Regierung an die Sozialpartner weitergereicht hat, doch bisher ohne Ergebnis.

Auf einmal sind die Vorzeichen andere: Nicht die Sozialpartner verlangen Entscheidungen der Bundesregierung, sondern SPÖ- und ÖVP-Politiker erwägen eine Fristsetzung für die Sozialpartner, ihre Zustimmung zum bereits paktierten Bonus-/Malus-System zu geben. Andernfalls will die Regierung selbst entscheiden.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl ärgerte sich über die Fristsetzung und richtete der Regierung aus, dann auch dieser in Sachen Bildungsreform eine Frist zu setzen. In Sachen Bildung haben sich die Sozialpartner schon vor längerer Zeit geeinigt.

Das vordringlichste Thema, dem sich die Regierung freilich widmen muss, ist die Unterbringung der Flüchtlinge. Diese Woche sollte kein Asylwerber mehr in einem Zelt schlafen. Das war die eigene Vorgabe von Koordinator Christian Konrad. Einige Tage hat er dafür noch Zeit, es dürfte aber jedenfalls knapp werden.

Eine gemeinsame Linie der Regierung in Sachen Flüchtlingspolitik steht noch aus. Es bleibt abzuwarten, ob die SPÖ dem von der ÖVP vorgelegten Asylgesetz zustimmen wird. Das Ergebnis der Wien-Wahl bietet nun jenen in der Partei Rückenwind, die den Humanismus in der Flüchtlingspolitik stärker gewürdigt sehen wollen.

Interne Kritik

Der Druck auf die Regierung wird auch sonst nicht geringer. Mitterlehner hat alle Hände voll zu tun, um den verärgerten Wirtschaftsflügel zu besänftigen, dem er selbst angehört. Und in der SPÖ wollen auch nach der glimpflich verlaufenen Wahl die Stimmen nicht verstummen, die einen Wechsel in der Bundes-SPÖ anstreben. Am Montag ging eine Initiative online ("Wir wollen mehr"), die Unterschriften für einen Rücktritt Faymanns sammelt.

Damit ist aber nicht zu rechnen, auch wenn das entschlossene Handeln in der Flüchtlingskrise von ÖBB-Chef Christian Kern die Nachfolgediskussionen wieder befeuerte. Doch es sind noch drei Jahre bis zum Ende der Legislaturperiode. Und wie schnell aus einem Hoffnungsträger ein angeschlagener Chef werden kann, durchlebt gerade Mitterlehner.

SPÖ und ÖVP sind auf Bundesebene nicht nur Partner, sondern so gesehen auch Leidgenossen. Ohne Alternative. Eine Neuwahl würde wohl die FPÖ zur stärksten Partei machen. Freilich: Sollte die Regierung nun, befreit von der Last regionaler Wahlen, dazu übergehen, in Eintracht und mit Reformeifer ein Projekt nach dem anderen abzuarbeiten, ist das auch eine Garantie für eine Würdigung durch die Wähler. In der Steiermark regieren Rot und Schwarz - zumindest nach eigener Sichtweise - gut und fleißig. Und dennoch verloren sie seither gemeinsam mehr als 20 Prozentpunkte.