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Flexibilisierung oder bessere Verteilung?

Von Simon Rosner

Politik

Jeder Fünfte leistet regelmäßig Überstunden, dank Teilzeit verteilt sich das Arbeitsvolumen aber auf immer mehr Köpfe.


Wien. Der Arbeitsmarktgipfel am Freitag brachte kleine, die Beteiligten werden sagen: feine Maßnahmen, um den Arbeitsmarkt zu beleben. Und siehe da: Schon gibt es erste positive Meldungen. Mit den beschlossenen Maßnahmen haben diese freilich nichts zu tun, sie betreffen auch das vergangene Monat, den Oktober. Zwar stieg die Zahl der Arbeitslosen erneut auf mittlerweile 410.854 arbeitsuchende Personen (21.699 mehr als vor einem Jahr), doch vereinzelt konnte Johannes Kopf, Vorstand des Arbeitsmarktservices, Positives vermelden.

Es gab eine insgesamt steigende Anzahl der offenen Stellen und eine vergleichsweise gute Entwicklung in Tirol und Vorarlberg mit nur sehr leichten Anstiegen der Arbeitslosigkeit. Rechnet man die rückläufige Zahl der Schulungsteilnehmer noch hinzu, ergibt sich für diese beiden Bundesländer sogar ein kleines Minus. Nach vielen Monaten der andauernden negativen Berichte gibt es nun also so etwas wie ein kleines Licht der Hoffnung.

Ab 1. Jänner treten dann gleich zwei Maßnahmen in Kraft, bei denen weitere Hoffnung angebracht ist, die Arbeitslosigkeit zu senken. Erstens beginnt die Steuerreform zu greifen, die den Konsum und damit die Konjunktur anregen soll. Zweitens wird die erste Etappe der am Freitag beschlossenen Senkung der Lohnnebenkosten aktiviert.

Inwieweit beide Maßnahmen tatsächlich eine Wirkung entfalten, ist allerdings schwer zu prognostizieren. Konsum ist nicht gleich Konsum, da etwa beim Erwerb ausländischer Produkte über internationale Onlinehändler die Wertschöpfungskette eine viel kürzere ist als bei heimischen Waren, die in lokalen Geschäften gekauft werden. Und ob den Betrieben die Lohnnebenkostensenkung reicht, um in zusätzliche Arbeitnehmer zu investieren, wird ebenfalls erst die Zukunft weisen.

Ein Thema, das beim Arbeitsmarktgipfel nahezu komplett ausgeklammert wurde, ist die Arbeitszeitflexibilisierung. Beschlossen wurde nur, dass bei Dienstreisen die Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden angehoben wurde. Das soll verhindern, dass beispielsweise Monteure nach einem Arbeitseinsatz verpflichtend über Nacht bleiben müssen, wenn sie binnen der Zehn-Stunden-Grenze nicht mehr nach Hause gelangen.

Die Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden bei Gleitzeit ist dagegen ein nach wie vor offener Punkt, der zwar im Arbeitsübereinkommen der Regierung steht, bisher aber noch keine Realisierung erfahren hat. Die Industriellenvereinigung hat deshalb am Montag erneut die Umsetzung dieses Themas reklamiert.

© M. Hirsch

Umstrittene Auswirkung

Allerdings war es auch die Wirtschaft, die im Vorjahr das auf Expertenebene bereits paktierte Gesamtpaket, in dem auch die sechste Urlaubswoche vereinbart wurde, wieder aufgeschnürt hatte. Zudem ist es umstritten, ob eine Flexibilisierung der Arbeitszeit tatsächlich positiv auf die Beschäftigung wirkt. "Die Idee dahinter ist, die Arbeitszeiten auf ein Nachfragemuster anzupassen, was wahrscheinlich die Produktivität erhöht und deshalb Anreize schafft, in Arbeitnehmer zu investieren", sagt Nikolaus Graf vom Wirtschaftsforschungsinstitut Eco Austria, das der Industriellenvereinigung nahesteht. Auf Seite der Arbeitnehmer sieht man darin jedoch primär die Abwälzung unternehmerischer Risiken (geringere Auftragslage) auf den Rücken beziehungsweise die Konten der Belegschaft.

Die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden könne, heißt es auch aus der Arbeiterkammer, sogar negativ auf die Zahl der Beschäftigten wirken, wenn etwa die nötige Mehrarbeit auf weniger Köpfe verteilt wird als bei einer maximalen Arbeitszeit von zehn Stunden.

Weniger Überstunden

Für Wifo-Experte Rainer Eppel müsse vielmehr die gleichmäßigere Verteilung des Arbeitsvolumens im Vordergrund stehen. In der Realität passiert das auch durch den nachhaltigen Trend zur Teilzeitarbeit. Das Beschäftigungsplus der vergangenen Jahre ist in erster Linie dieser Form der Arbeit zuzuschreiben. Doch gerade bei Teilzeitjobs ist das Thema Flexibilisierung schwierig. "Sie verursacht in den Betrieben auch einen höheren Koordinationsaufwand", sagt Graf.

Eine gerechtere Verteilung des Arbeitsvolumens hängt in Österreich auch stark von den Überstunden ab. Ein Fünftel der unselbständig Erwerbstätigen leistet Überstunden. "Sie sind für Arbeitnehmer und Arbeitgeber attraktiv", sagt Christoph Klein, stellvertretender Leiter der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer. Rainer Eppel vom Wifo hält es für vernünftig, steuerliche Begünstigungen für Überstunden zu streichen. Man müsse aber auch auf Arbeitgeberseite ansetzen. "Es ist nicht sinnvoll, Anreize dafür zu schaffen, dass ein Teil der Beschäftigten übermäßig viel arbeitet und ein anderer gar nicht oder deutlich weniger als gewünscht", sagt Eppel.

Doch nicht nur Teilzeit bedeutet eine reale Flexibilisierung, auch der nach wie vor wachsende Sektor der Leih- oder Zeitarbeit ist Beleg dafür, dass die Betriebe Möglichkeiten suchen und finden, auf Schwankungen in der Nachfrage zu reagieren.

In der Praxis war auch eine kreative, bisweilen auch auf betrieblicher Ebene vereinbarte Auslegung des Arbeitszeitgesetzes Realität in Österreich. Man könnte es als "österreichische Lösung" umschreiben. Gesetze werden zwar restriktiv formuliert, deren Einhaltung aber eher unscharf kontrolliert. Tatsächlich hat es im Jahr 2011 einen enormen Sprung bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz gegeben. Waren im Jahr davor noch 3413 Übertretungen geahndet worden, schnellten diese dank einer Schwerpunktaktion auf 6722 hinauf und blieben auf hohem Niveau.

Hohe Anzahl von Verstößen

In den meisten Fällen geht es dabei um fehlende oder unvollständige Arbeitszeitaufzeichnungen, gefolgt von Verletzungen von Ruhepausen. Aber auch Überschreitungen der zulässigen Höchstarbeitszeiten finden sich häufig bei den Verstößen. "Die Höchstarbeitszeiten sind mit den Notwendigkeiten der Praxis nicht mehr vereinbar, es bräuchte flexiblere Durchrechnungszeiträume", fordert Helwig Aubauer von der Industriellenvereinigung. Er verweist auf die Arbeitszeitrichtlinie der EU, die eine Höchstarbeitszeit von 13 Stunden erlaubt. "Da wäre noch viel Spielraum", sagt er.

Eine Erleichterung für die Betriebe wäre es mit Sicherheit, eine messbare Auswirkung auf die Beschäftigung ist jedoch unsicher. "Ich sehe darin wenig Potenzial", sagt Eppel vom Wifo.