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Die blaue Zwickmühle

Von Werner Reisinger

Politik

Die FPÖ zwischen bürgerlichen Wahlerfolgen und ihrem rechten Kern.


Wien. Was in der FPÖ geht und was zu weit geht, ist nicht immer genau definiert. Die Grenzen, so scheint es, werden "situationselastisch" gezogen. Was für den einen blauen Politiker eine Grenzüberschreitung darstellt und zum politischen Aus führt, muss für einen anderen nicht zwingend zum Problem werden. Susanne Winter hat mit ihrem antisemitischen Kommentar auf der sozialen Plattform Facebook "eine Grenze überschritten", sie wurde aus der Partei ausgeschlossen. Ihr niederösterreichischer Parteikollege Christian Höbart bezeichnete Asylsuchende schon mal als "Höhlenmenschen". Vergangenen Sonntag, wenige Tage nach Susanne Winters antisemitischem Kommentar, postete er mit den Worten "eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön" ein Video, das Flüchtlinge während ihrer lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer aufgenommen haben. Im Video zeigen sich die Flüchtlinge erfreut über die gelingende Überfahrt, sie lachen. Die Konsequenzen für Höbart? Zumindest parteiintern zurzeit keine. Mit einer Aussendung, in der der Facebook-Eintrag als "Satire" bezeichnet wird, wird die Causa von der FPÖ vom Tisch gewischt. "Ich wüsste nicht was ich dazu noch sagen soll", so Höbart am Dienstag zur "Wiener Zeitung". Wieso muss Winter gehen und Höbart bleibt, zumindest vorerst?

Nicht berechenbar

Der grüne Karl Öllinger dokumentiert auf seiner Plattform "stopptdierechten.at" seit Jahren rechtsextreme und rassistische Austritte von FPÖ-Politikern und ihrem Umfeld. Für ihn ist klar: Susanne Winters Position in der Partei wurde massiv geschwächt, seit sie im Juni 2009 rechtskräftig wegen Verhetzung und Herabwürdigung religiöser Lehren verurteilt worden war. Christian Höbart hingegen sei "sehr vorsichtig", wenn es um antisemitische Äußerungen geht, so Öllinger. Er wisse genau, wie weit er gehen kann. Spätestens nachdem die ebenfalls für ihre teils extrem rechten Haltungen bekannte Barbara Rosenkranz im Juni 2013 die Parteiführung der FPÖ-Niederösterreich zurückgelegt hatte, sei der Nationalratsabgeordnete Höbart zu einer zentralen Figur der FPÖ-Niederösterreich avanciert. Formal folgte als niederösterreichischer Parteiobmann Rosenkranz’ Namensvetter Walter Rosenkranz. Höbarts Leistung aber sei es, so Öllinger, unter anderem via soziale Medien den Kontakt zu den schlagenden Burschenschaften und ins rechtsextremistische Milieu aufrechtzuhalten. Höbart dementiert zwar nicht, sagte aber: "Darüber kann ich nur lachen." Winter hingegen habe durch ihre Aktionen und Äußerungen in der Partei immer wieder für Kopfschütteln gesorgt. Im März 2015 zeigte sie sich auf einer Demonstration der "Pegida"-Bewegung in Graz, im April befürchtete sie einen "Einmarsch der EU" nach Österreich und im Juli bestritt sie im Parlament den Klimawandel ("Insekten produzieren mehr CO2 als die Menschheit"). Christian Höbart sei zwar, wie auch Winter, über Jahre hinweg als "konstant rechtsextrem" aufgefallen. "Im Unterschied zu Höbart ist Susanne Winter aber nicht berechenbar." Winter stelle ein Risiko für die FPÖ dar. Man sei froh, sie losgeworden zu sein, so Öllinger. Dass in der FPÖ vor allem antisemitische Äußerungen nicht mehr salonfähig seien, zeigt auch der Fall Andreas Mölzer. Als er im März 2014, im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament, die EU als "schlimmer als das nationalsozialistische Deutsche Reich" bezeichnet hatte, führte dies für Mölzer letztlich ins politische Abseits. Mölzer musste seine Kandidatur zurückziehen.

Straches neue Linie

Antisemitismus ist für die FPÖ in unverhohlener Form nicht mehr tragbar. Dies ist nicht verwunderlich. Spätestens seit 2012 gibt Parteichef Heinz-Christian Strache eine Pro-Israel Linie vor, er reiste mehrmals ins Heilige Land. Dass sich Strache auf einer seiner Reisen demonstrativ mit einer "Biertonne", der Kopfbedeckung der schlagenden Burschenschaften, fotografieren ließ, könne auch als Signal an die eigenen Reihen werten, meint der Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Die Botschaft: Der Hauptfeind ist der Islam, aber ich vergesse nicht auf euch und eure Gesinnung. Auch antisemitische Karikaturen, die Strache auf Facebook posten ließ, könne man als Signal an die ideologisierten Rechtsextremen werten. Und die würden nach wie vor den Kern der Parteifunktionäre ausmachen, so Peham. Zahlreiche FPÖ-Abgeordnete seien in schlagenden Verbindungen, die als rechtsextrem eingestuft würden. Aufgrund der neuen, pro-israelischen Linie könne man die antisemitischen Inhalte jedoch nur mehr codiert transportieren, so Peham.

Strache ist in der Zwickmühle. Auf der einen Seite steht der rechtsextreme Kern der FPÖ mit seinen ideologischen Traditionen. Auf der anderen Seite ist klar zu erkennen: Der "Hauptfeind" der Freiheitlichen ist, wie bei vielen anderen europäischen Parteien, der Islam. Seite an Seite mit dem rechtsextremen "Front National" Marine Le Pens in Frankreich, dem belgischen "Vlaams Belang", der niederländischen "Partei für die Freiheit" von Geert Wilders und anderen extrem rechten Parteien hat sich die Strache-FPÖ dem Kampf gegen die Zuwanderung von Muslimen verschrieben. Der gemeinsame Feind hält die recht unterschiedlichen Parteien seit Juni 2015 in einer gemeinsamen Fraktion im Europaparlament zusammen.

Zwischen den Stühlen

Dass trotz Straches Aufstieg die extreme Partei-Rechte nicht immer mit der Linie des Parteichefs konform geht, sei laut Peham auch während der sogenannten "Wehrsport-Affäre" deutlich geworden. Die 2006 und 2008 aufgetauchten Fotos des jungen Strache in Kampf-Uniform und in Gesellschaft von bekannten Neonazis sei als "Wink mit dem Zaunpfahl" eben der extremen Rechten in der Partei zu verstehen gewesen, so Peham. Die Fotos seien bewusst aus den eigenen Reihen öffentlich gemacht worden, um zu signalisieren: Du bist einer von uns, du führst die Partei, weil wir das so wollen, und wenn der Kurs nicht passt, können wir dich auch wieder demontieren. Es sei nicht auszuschließen, dass sich ein derartiger Vorfall wiederholen könnte, so Peham. Die Serie von Wahlerfolgen der FPÖ, die europäische Zusammenarbeit mit anderen Rechtsparteien, die Beteiligung der FPÖ an zwei Landesregierungen und nicht zuletzt der Ausblick auf politische Macht im Falle einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene ließe interne Kritiker aber zur Zeit stillhalten, ist Peham überzeugt.

Am Dienstag feierte die FPÖ ihr 60-jähriges Bestehen. Die Zukunft und nicht zuletzt die künftigen Wahlergebnisse der FPÖ werden zeigen, ob Strache die Spannungen zwischen den ideologischen Rechten in der Partei auf der einen Seite sowie der Ausweitung seiner politischen Ambitionen auf das bürgerliche Millieu auf der anderen bewältigen wird können. Am vorläufigen Höhepunkt der blauen Erfolgswelle aber muss Strache jene, die "Grenzen überschreiten", in die Schranken weisen.