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Zwischen Krieg und Integration

Von Nedad Memić

Politik
Versuch eines Brückenschlages: Bei einer Großaktion in Wien konnten Interessierte bosnischen Kaffee aus der größten Kaffeekanne der Welt probieren.
© ZZI/Izeta Pargan

Einst waren jugoslawische Kulturvereine in Österreich ein wichtiger Treffpunkt der Gastarbeiter, heute wollen nationale Vereine vom Balkan die Geschichte und Kultur der zahlreichen Diaspora bewahren. Ein Einblick in die Arbeit bosnischer Vereine.


Wien. "Der hochgewachsene, bisweilen einem Urwaldriesen gleichende Bosniak, scherzweise auch mit französischer Endung ‚Bosnieur‘ genannt, war ein aus den einst zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörigen südslawischen Gebieten Bosniens und der Herzegowina stammender Verkäufer von Feuerzeugen, Pfeifenspitzen, Uhren, Uhrketten, Ringen, Halsbändern, türkischen Messern und Dolchen, die er gewöhnlich mit Riemen am Leib befestigten kistchenartigen, gefächerten Behälter unterhalb der Brust trug.

In malerischer Tracht, mit seinem dunkelroten, weithin bemerkbaren Türkenfez, mit blauer, oben weiter, unter enger Hose, mit buntem gesticktem Gürtel und braunroten Opanken stand er an belebten Straßenecken der Innenstadt und an den Pratereingängen oder ging dort gemächlich und unhörbar auf und ab." So beschreiben Mauriz Schuster und Hans Schikola einen Bosnier im k.u.k. Wien am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in ihrem kulturgeschichtlichen Wörterbuch des Altwienerischen.

Nach dem Zerfall der Donaumonarchie verschwindet auch der beschriebene Bosniak aus dem Wiener Stadtbild. Doch Bosnier und Herzegowiner bestimmen mittlerweile viele Wiener Straßenszenen. Heutzutage leben laut Medienservicestelle Neue Österrecher/innen rund 91.000 Menschen mit bosnisch-herzegowinischer Staatsbürgerschaft in Österreich, rund 206.000 haben bosnisch-herzegowinischen Migrationshintergrund. In Wien leben gleichzeitig mehr als 43.000 Personen mit Geburtsland Bosnien-Herzegowina und rund 20.000 Menschen, die eine bosnisch-herzegowinische Staatsbürgerschaft besitzen. Damit ist die bosnische Community eine der stärksten Zuwanderercommunitys Österreichs. Die jüngste Vergangenheit ihres Heimatlandes lief an der bosnischen Community in Österreich keineswegs spurlos vorbei.

Ein Großteil der heute in Österreich lebenden Bosnier kam als Kriegsflüchtlinge: Rund 90.000 Menschen flohen von 1992 bis 1995 nach Österreich, mehr als 60.000 von ihnen wählten Österreich nach dem Krieg als Mittelpunkt ihres Lebensinteresses und blieben hier. In den Aktivitäten einiger bosnischer Vereine ist die Aufarbeitung der Kriegsereignisse in Bosnien-Herzegowina deshalb ein wichtiges Anliegen.

Das in Linz tätige Zentrum der zeitgemäßen Initiativen ZZI versteht sich als Kultur- und Wissenschaftsnetzwerk zwischen Österreich und Bosnien-Herzegowina. Obmann Damir Saracevic betont die Brückenbaufunktion seines Vereins: "Wir möchten auf wissenschaftlicher Basis eine Kulturbrücke zwischen Österreich und Bosnien-Herzegowina schlagen und eine Kultur des Miteinanders promoten". Das Thema Krieg und Frieden schreibt das ZZI groß: "Wir arbeiten die bosnisch-herzegowinische Kriegsvergangenheit wissenschaftlich auf und tragen damit auch zum Friedensaufbau im Land bei", sagt Saracevic. Die Themen Srebrenica und Versöhnung stehen im Mittelpunkt der Aktivitäten des Vereins "Srebrenica - Wien".

Obfrau Fahra Salihovic sagt, ein grundlegendes Motiv zur Gründung des Vereins wäre gewesen, jedem zu ermöglichen, seine eigene (Kriegs-)Geschichte zu erzählen. "Nur so werden wir vielleicht auch eine wahre Versöhnung schaffen", hofft Salihovic.

Neben diesem Thema möchte der Verein die Kultur und Kulinarik Bosnien-Herzegowinas präsentieren. Der Verein organisierte bereits zwei gelungene Großaktionen in Wien, an denen alle Interessierten bosnischen Kaffee aus der größten Kaffeekanne der Welt probieren konnten - die "Wiener Zeitung" hat berichtet. "Bosnien-Herzegowina hat ein großes touristisches Potenzial, wir wollen dieses Potenzial auch in Österreich präsentieren", so Salihovic.

Das bunte Leben der bosnisch-herzegowinischen Community in Österreich und Wien ist vom komplexen Staatsgebilde und verworrenen ethnischen Beziehungen in Bosnien-Herzegowina geprägt. Während die meisten Serben und Kroaten aus Bosnien-Herzegowina in den serbischen und kroatischen Vereinen vertreten sind, versammeln bosnische Vereine in vielen Fällen meistens Bosniaken. Für Damir Saracevic ist dieser Umstand eine Folge des jüngsten Krieges: "Dieser brutale Krieg wurde gegen Bosnien-Herzegowina geführt und gegen seine Multiethnizität", sagt er. Die Lösung für ihn wäre eine Rückkehr zur Vielfalt, die es in Bosnien-Herzegowina seit immer gab. "Ein Mangel an gegenseitigem Vertrauen führte uns in diese Situation."

Für Kemal Smajic, Obmann des Vereins Futurebag aus Wien, ist die Überwindung ethnischer Grenzen ein zentrales Anliegen. Sein Verein ist seit 2010 tätig und konnte bisher durch Organisation von populären Konzerten der Sevdah-Musik in Wien und Spendentätigkeiten über 10.000 Schulpakete bedürftigen Kindern in Bosnien-Herzegowina zur Verfügung stellen. "Wir helfen allen Kindern in Bosnien-Herzegowina - ohne Rücksicht auf ihre ethnische und religiöse Zugehörigkeit. Im Verein und an unseren Veranstaltungen herrscht immer eine Vielfalt", betont Smajic.

Alle drei Vereine betrachten Integration als ihr wichtiges Ziel: "Wir versuchen, sowohl Themen aus Österreich als auch aus Bosnien-Herzegowina abzudecken", sagt Damir Saracevic.

Kemal Smajic ist mit dem bisher Erreichten sehr zufrieden: "Ich kann mit Überzeugung sagen, dass wir sehr viel zur Integration von Bosniern und Herzegowinern beigetragen haben. Unsere Konzerte werden mittlerweile auch von Österreichern besucht." Bosnische Kulturvereine in Österreich haben in den letzten Jahren versucht, sich durch Veranstaltungen als Faktor des Miteinanders zu positionieren. Doch vor ihnen stehen weitere große Aufgaben: an der Versöhnung der ethnisch gespaltenen bosnisch-herzegowinischen Community zu arbeiten und sich politisch und gesellschaftlich in Österreich weiter zu verfestigen.