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Debatte um Sterbehilfe: Eine böse Vermutung

Von Walter Hämmerle

Politik
Alois Birklbauer, Christina Grebe und Ulrich Körtner (v.l.n.r.). Foto: Simon Rainsborough

Die Parteien sind sich einig: Am Verbot der Sterbehilfe soll nicht gerüttelt werden. Doch beim versprochenen Ausbau der Palliativmedizin geht wenig weiter.


Wien. "Juristisch ist man als Arzt immer auf der sichereren Seite, wenn man behandelt", erzählt die Palliativmedizinerin Christina Grebe aus ihrem Berufsalltag. Allerdings kann es durchaus der Fall sein, dass Nicht-Behandlung genau das ist, was ein Patient in seinen letzten Stunden, Tagen oder Wochen benötigt. Oder anders formuliert: Um strafrechtliche Probleme zu vermeiden, passiert es in Österreich, dass Patienten am Lebensende leiden. Unnötig, wohlgemerkt.

Dass dieser Befund nicht zwangsläufig zur Forderung nach einer Aufhebung des Verbots der Sterbehilfe führen muss, zeigte sich diese Woche bei der Podiumsdiskussion zum Thema Sterbehilfe, die von der Diakonie Österreich und der "Wiener Zeitung" im Rahmen der neuen Serie "future ethics" veranstaltet wurde. Tatsächlich sind sich alle Parteien einig, dass am Verbot zur Mitwirkung am Selbstmord, wie es im §78 des Strafgesetzbuches heißt, nicht gerüttelt werden soll.

Unterversorgungliegt bei 50 Prozent

Stattdessen wurde nach einer Enquete "Würde am Ende des Lebens" Ende März 51 Punkte vom Parlament beschlossen, um die heimische Hospiz- und Palliativversorgung zu verbessern. Der dringende Bedarf ist gegeben, laut Studien liegt die Unterversorgung in diesem Bereich bei rund 50 Prozent. Geschehen ist seitdem de facto nichts. Die Politik hat geredet, sehr viel sogar, mit sich selbst, Experten und Betroffenen, nur gehandelt wird nicht.

Das führt bei Michael Chalupka zu einer bösen Vermutung: Womöglich, so der Diakonie-Direktor, ist es genau der breite politische Konsens in der heiklen Frage des Sterbehilfe-Verbots, der dazu führt, dass beim Ausbau der Hospiz- und Palliativmedizin nur geredet wird, aber nichts - oder zumindest viel zu wenig - weitergeht. Sein Argument: In den Niederlanden ist nicht nur seit 2002 die aktive Sterbehilfe bei Schwerstkranken erlaubt, das Land verfügt auch über eine im Vergleich zu Österreich hervorragende palliativmedizinische Infrastruktur. Gut möglich nämlich, dass der Wunsch zu sterben direkt mit der Qualität des zur Verfügung stehenden Betreuungsangebots zusammenhängt.

Diese Befürchtung teilt auch Alois Birklbauer, Professor für Strafrecht an der Universität Linz. Er, der für eine maßvolle Liberalisierung der Sterbehilfe eintritt, vermutet, dass es in Österreich auf absehbare Zeit weder zu einer Lockerung noch zu einem ordentlichen Ausbau der Versorgung kommen werde. Und der Jurist gibt zu bedenken, dass es eben auch immer Menschen geben werde, für die auch das beste Palliativangebot nicht passe und die stattdessen selbstbestimmt den Moment des Todes entscheiden wollen. Dies zu kriminalisieren sei eine schlechte Lösung, da das ungeheuren Druck, vor allem auf Angehörige, ausüben könne.

Kaum Wissen über dieRealität des Sterbens

Gegen eine Kriminalisierung im Einzelfall, aber gleichwohl für die Beibehaltung des jetzigen Sterbehilfeverbots, spricht sich der evangelische Theologe Ulrich Körtner von der Universität Wien aus. Körtner sieht das Grundproblem darin, dass viel zu wenig Wissen darüber bestehe, wo und wie in Österreich die Menschen sterben: Wo liegen die tatsächlichen Defizite, wie schaut die Realität etwa von Single-Haushalten aus - in der großen Stadt wie am Land? Wie ist die Situation in den Pflegeheimen? Welche Rolle spielt der absehbar massive Zuwachs an schwer Demenzkranken?

Wie der Theologe will auch die Palliativmedizinerin Grebe an der aktuellen Gestezeslage festhalten. Es sei fatal, dass die Gesetze theoretisch ausreichend Spielraum für Ärzte wie Angehörige bieten, diese aber in der Praxis aufgrund von Unsicherheit und Informationsmängel nicht angewandt werden könnten. Zwar ist das aktive Töten auf Verlangen untersagt, sinnlos lebensverlängernde Maßnahmen dürfen aber unterlassen oder Patienten in einen Schlafzustand versetzt werden. Leid verringern stehe im Vordergrund, so Grebe, indem nicht zuletzt durch Gespräche die Angst vor Schmerzen genommen werde.

Die Grenzen einer rein strafrechtlichen Perspektive auf die Problematik zeigt sich auch darin, dass es - laut Birklbauer - wohl noch zu keiner einzigen rechtskräftigen Verurteilung aufgrund des §78 gekommen ist - und dennoch Sterbehilfe in der Praxis stattfindet.