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Die Rechnung geht nicht auf

Von Jan Michael Marchart

Politik

Das neue Ärztearbeitszeitgesetz bringt Engpässe in der Versorgung.


Wien. Wochenlang zierten Bilder von wütenden Ärzten die Artikel der heimischen Gazetten. Mittlerweile ist es wieder ruhig um die Mediziner geworden. Grund für den Unmut der Ärzte war das neue Arbeitszeitgesetz, an das sie sich seit Jahresbeginn halten müssen. Nur noch 48 statt 72 Stunden pro Woche dürfen sie in den heimischen Spitälern werken. Zum Teil bestätigen sich heute die Befürchtungen der Branche: Weniger Arbeitszeit sorgt für Engpässe in der Versorgung.

Nur zum Teil, weil es in manchen Spitälern noch eine Gnadenfrist gibt. Dort kann befristet noch länger gearbeitet werden, um den Betrieb zu sichern (Opt-out). Bis 2021 ist diese Übergangslösung möglich. Dann müssen sich alle Häuser an das Gesetz halten. Niederösterreich unterschreitet als einziges Bundesland die 48 Stunden bereits.

Weniger Arbeitsstunden klingen zunächst gut, der Nachteil folgt aber auf dem Fuß. Da durch die Novelle Zuverdienste wie Überstunden und Nachtdienste emtfallen, gingen die Ärzte in diesem Jahr für höhere Grundgehälter auf die Straße. Und sie bekamen ihre Aufbesserung. Aber in dieser Debatte geht es nicht nur ums Geld. Sondern darum, ob der Patient noch entsprechend versorgt werden kann, wenn die Arbeitsstunden der Ärzte sinken.

"Bei gleichbleibendem Personalstand kommt es bei gleichbleibendem Patientenaufkommen zu Engpässen in der Versorgung", so lautet die Formel des Vizepräsidenten der Wiener Ärztekammer, Hermann Leitner. Für den einzelnen Patienten gäbe es nun weniger Zeit und dadurch einen Qualitätsverlust bei der Behandlung. Für den Arzt kommt es zu einer Arbeitsverdichtung, denn die Patienten werden nicht weniger. Die Fehleranfälligkeit steigt an. Aus Sicht des Patienten kommt es zu häufigeren Übergaben - es steckt also öfter ein anderes Gesicht im weißen Kittel und untersucht.

Leitner spricht konkret über die Wiener Gemeindespitäler (KAV). Dort gilt seit Juli strikt die 48-Stunden-Woche. Etwa einen Engpass in Abteilungen wie der Anästhesie, der Urologie, und in der Psychiatrie soll es geben. Auch kann es vorkommen, dass Ambulanzen nicht entsprechend besetzt sind und es zu längeren Wartezeiten bei Operationen kommt.

"Die Rechnung geht nicht auf"

Seitens des KAV heißt es dazu: "Es gibt generell einen Mangel an Anästhesisten und Psychiatern in Österreich." Das habe nichts mit dem Arbeitszeitgesetz per se zu tun. Mit einer Psychiatire-Zulage soll ein Anreiz für neue Ärzte geschaffen werden. In der Urologie möchte sich der KAV neu ausrichten. "Es sollen die kleinen, derzeit auf fünf Häuser verteilten Stationen effizienter zusammengefasst werden und damit auch bessere Versorgungsqualität sicherstellen. Größere Abteilungsstrukturen entlasten auch die ärztlichen Mitarbeiter, da die Diensteinteilung in größeren Teams flexibler und individueller gestaltbar ist." Überlegt wurde im KAV einst sogar, 382 Stellen zu reduzieren. Nun setzt man auf Umschichtungen. Mit längeren OP-Zeiten möchte der KAV die Wartezeiten kürzen.

Ein Rundruf der "Wiener Zeitung" zeigt, dass Engpässe auch in anderen Abteilungen an der Tagesordnung stehen. Ein Chirurg aus einem der KAV-Spitäler (Name der Redaktion bekannt) erklärt, wie sich seine Arbeit durch das Gesetz verändert hat. "In meiner Abteilung sind weiterhin fünf Ärzte da, die vorher mehr Stunden gearbeitet haben. Die Rechnung kann bei weniger Arbeitszeit nicht aufgehen." Nun müssten Patienten auf ihre Operation länger warten. In der Chirurgie wären laut dem KAV-Arzt in der Nacht nur mehr vier Ärzte da. Einer der beiden Turnusärzte muss abends gehen, um die 48 Stunden einzuhalten. Denn Ober- und Fachärzte müssen auf der Station bleiben. "Bei einer größeren Operation, bei der immer ein Turnusarzt dabei ist, gibt es nun keinen mehr in der Ambulanz." Das wirke sich negativ auf die Ausbildung aus.

Für Gesundheit und Familie seien die Arbeitszeiten "gut". Aber ohne zusätzliches Personal oder Änderungen im Ablauf könne der Betrieb nicht geführt werden.

Gernot Rainer, Gründer und Obmann der neuen Ärztegewerkschaft Asklepios und Lungenfacharzt im Wiener Otto-Wagner-Spital, fügt an, dass sich das Problem nach 25-Stunden-Diensten verschärft. Früher blieben Ärzte nach dem Nachtdienst noch bis zu Mittag des Folgetages (30 Stunden). Nun müssen sie in der Früh heimgehen und fehlen am Tag. "Das ist gut, weil ein unausgeruhter Arzt gemeingefährlich ist", sagt Rainer. "Aber es wird schwieriger, die Dienstpläne zu schreiben." Ein Grund mehr, Leistungen in den niedergelassenen Bereich auszulagern. "So ist der gewohnte Spitalsbetrieb nicht möglich", sagt er. Im niedergelassenen Bereich gibt es aber das Problem, dass nur eine gewisse Anzahl an Leistungen bezahlt wird. Etwa bei der Radiologie. "Bei uns wartet man auf eine Computertomographie (CT) durch die verkürzte Arbeitszeit knapp einen Monat", sagt er. "Eine Auslagerung kann aber nur funktionieren, wenn sie bezahlt wird." Sonst bleibe nur der private Arzt, der seinen Preis hat. Der KAV dementiert die Wartezeit auf eine CT.

Mehrarbeit sichert Spitäler

Im größten Spital Österreichs, dem Wiener AKH, entschied sich die Mehrheit der Ärzte dafür, befristet noch 60 Stunden zu arbeiten. "Daher haben wir im Moment keine Verzögerungen", sagt AKH-Betriebsrat Martin Andreas. "Außerdem übernimmt die Pflege Tätigkeiten wie die Blutabnahme." Das spare Arbeitszeit für die Ärzte. Derzeit wird aber an neuen Dienstzeitmodellen gearbeitet, um die 48 Stunden bald einhalten zu können. Im nächsten Jahr soll es erste Ergebnisse geben.

In der Uni-Klinik Graz kommt man mit dem Gesetz momentan zurecht, sagt der dortige Internist Eiko Meister. In der Klinik hätten sich die Ärzte mehrheitlich dafür entschieden, befristet länger zu arbeiten. Damit wäre der Betrieb gesichert. "Wir in der Uni-Klinik sind noch besser besetzt", sagt Meister. "Für kleinere und schwächer besetzte Spitäler wird es schwierig." Vor allem allgemeine Chirurgien in kleinen Spitälern würden Probleme bekommen, "egal wo". In der Uni-Klinik wären die Ärzte über die 48-Stunden-Woche zufrieden. Weiter im Westen, in Tirol, versuchten die Landesspitäler ihre Ärzte mit Gehaltserhöhungen und der Möglichkeit, befristet länger zu arbeiten, zu locken. Zum Teil hat das geklappt. "Manche Klinken haben sich gänzlich für die Opt-out-Lösung entschieden, andere nur zum Teil", sagt Johannes Schwamberger, Sprecher der Tirol Kliniken. "Es reicht aus, dass die Versorgung funktioniert", sagt er. Auf Operationen müssten die Patienten etwas länger warten. Leistungen wären bisher nicht gestrichen worden. Geplant ist aber, die Ambulanzbelastung um die Hälfte zu reduzieren und in den niedergelassenen Bereich zu verlagern.

Nicht so locker sieht es der Betriebsrat der Tirol Kliniken, Gerhard Hödl. "In manchen Kliniken arbeiten Ärzte durch die Opt-out-Regelung weiter 60 Stunden in der Woche", sagt er. "Daher gibt es kein Problem." Dort, wo man Dienst nach Vorschrift macht, hingegen schon. Etwa die Anästhesisten hätten sich gegen Opt-Out entschieden und haben Überstunden aufgebaut. 30 der 160 Anästhesisten müssten nun tagelang Zeitausgleich nehmen.

Im Ländle soll laut Schwamberger bald das Arbeitszeitgesetz für Ärzte strikt eingehalten werden. Dafür werden aber auch Ärzte gebraucht und gesucht. Ausgeschrieben sind 100 Stellen bis 2017. Nicht einmal die Hälfte davon wurde besetzt. "Es ist derzeit schwer, in Österreich Ärzte zu finden", sagt Schwamberger. "Wir suchen verstärkt in Deutschland." - "Auch wenn Lücken mit neuem Personal geschlossen werden, Neue könne Alteingesessene nicht adäquat ersetzen", sagt Hödl. Die Mediziner wären aber glücklich darüber, mehr Zeit Zuhause verbringen zu können.