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Die große Reform als Kompromisspapier

Von Bettina Figl und Simon Rosner

Politik

Nach langen Verhandlungen präsentierte die Regierung ihre Bildungsreform: Sie erntete Kritik, aber auch Lob von Experten. Wirklich mutig ist das 18-seitige Reformpapier aber nicht.


Wien. Es ist nicht so, dass es nicht ausreichend Zeit gegeben hätte, die Bildungsreform zu beschließen. Die Reformgruppe konstituierte sich schon vor einem Jahr, allerdings fiel sie dann nach Querelen im Juli zum Teil wieder auseinander. Erwin Pröll und Hans Niessl wollten nicht mehr debattieren, dafür zogen Wiens Michael Häupl und Tirols Landeschef Günther Platter ein.

Am Montag fand die letzte Verhandlungsrunde statt - und sie endete erst um 5 Uhr in der Früh. Bis zuletzt wurde um jeden Zentimeter gerungen. Herausgekommen ist ein 18-seitiges Papier, das man wohl auch als österreichischen Kompromiss bezeichnen könnte: Nicht wirklich mutig, nicht wirklich überraschend, aber bisweilen mit interessanten Ansätzen. Doch auch die müssen erst einmal mit Leben erfüllt werden, um tatsächlich nachhaltig zu wirken und die Hauptbedürfnisse für diese Reform zu befriedigen: mehr Chancengleichheit, bessere Förderung der Kinder und auch positive Effekte für gesellschaftspolitische Fragen wie Integration.

Die Reform setzt sehr früh an, nämlich im Kindergarten. Dass die Elementarpädagogik gerade in Sachen Chancengleichheit von Bedeutung ist, gilt in der Bildungswissenschaft als Konsens. Es gehe um die Frage, sagt Wilfried Smidt von der Uni Innsbruck, inwieweit sich schon im Kindergarten Bildungsungleichheit anbahnt, die sich später dann noch verfestigt. Als Gegenrezept dafür findet sich im Reformpapier ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, allerdings mit einer Opt-out-Möglichkeit.

Die von den Sozialpartnern reklamierte Bundeszuständigkeit für Kindergärten kommt jedoch nicht, vereinbart wurde dafür ein bundesweit einheitlicher Qualitätsrahmen, der bis Ende 2016 beschlossen und dann schrittweise bis 2025 umgesetzt werden soll. Das ist doch ein langer Zeitraum, dürfte aber zum Teil auch mit Auswirkungen für die Ausbildung zusammenhängen.

Keine Gesamtschule

Bei dieser geht die Regierung nicht den Schweizer Weg einer tertiären Ausbildung für Kindergartenpädagogen, lediglich die Anrechnungen aus dem universitären Bereich soll verbessert werden. Ansonsten bleibt es bei den Bakipss, den Kindergarten-Bildungsanstalten, die zu berufsbildenden höheren Schulen (BHS) werden. Raphaela Keller, Vorsitzende des Berufsverbandes ÖDKH, kritisiert dies, da die Berufsentscheidung mit 13 Jahren zu früh sei. Entsprechend hoch sei die Drop-out-Rate. "Nur 40 Prozent gehen dann auch in den Beruf", sagt sie. Das seien verschwendete Ausbildungskosten.

Dabei braucht es in Zukunft vermehrt gut ausgebildete Pädagogen, da von jedem Kind eine Entwicklungsdokumentation angelegt wird, die das Kind bis zum Ende der Schullaufbahn begleiten soll. Eine vernünftige Idee, wie die Experten meinen. Bisher gibt es eine klare Abgrenzung zwischen Elementar- und Schulbereich, was sich eben auch in der Ausbildung widerspiegelt. Doch während diese weitgehend unreformiert bleibt, soll immerhin der Übergang der Kinder in die Schule verbessert werden.

Auch bei dem ideologisch heiklen Punkt der Gesamtschule haben sich die Verhandlungspartner auf einen Kompromiss geeinigt: Die flächendeckende, gemeinsame Schule für die 6- bis 14-Jährigen kommt zwar nicht, dafür können die Länder Modellregionen zur Gesamtschule einrichten (siehe Bericht unten). Stefan Hopmann, Bildungswissenschafter an der Universität Wien, ist kein Freund dieser Modellregionen, da aufgrund regionaler Unterschiede keine Rückschlüsse auf ganz Österreich zulässig seien.

"Besser als Hau-Ruck-Aktion"

Anders sieht das Christiane Spiel. Für die Bildungsexpertin ist die sorgfältige Auswahl der Modellregionen wichtiger als eine flächendeckende Gesamtschule: "Das ist besser als eine Hau-Ruck-Aktion. Die Einführung der Neuen Mittelschule war schlecht vorbereitet, deshalb haben kaum Gymnasien mitgemacht."

Die Autonomie war jener Punkt, bei dem sich die Verhandlungspartner rasch einigen konnten. De facto wurde vieles von dem, was an den Schulen bereits gelebt wird, formalisiert: So können Schulen nun Öffnungszeiten oder Unterrichtsbeginn autonom festlegen. Auch beim Mitspracherecht der Direktoren bei der Auswahl ihrer Lehrer wird eine bereits gängige Praxis formal abgesichert. Nun können sie offiziell Einspruch erheben, wenn sie mit einem von der Behörde zugeteilten Lehrer nicht einverstanden sind. Neu ist, dass Direktoren aus einem Pool an Junglehrern oder Lehrern mit befristeten Verträgen auswählen und auch entscheiden können, ob sie stattdessen Psychologen, Sozialarbeiter oder IT-Experten einsetzen wollen. Außerdem dürfen sie das Globalbudget der Schule selbst verwalten. Allerdings gilt auch bei der Autonomie: Die Reform kommt nicht so umfassend, wie es sich viele gewünscht hätten. Für Christiane Spiel aber eher ein Vorteil als ein Manko: "Die Schulleitung muss besser qualifiziert und vorbereitet werden, Verantwortung zu übernehmen. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen."

Mehr Autonomie für Lehrer

Laut dem Papier zur Bildungsreform sollen Lehrer im Unterricht stärker vom Lehrplan abweichen können als bisher. Derzeit beträgt der "Autonomiegrad" je nach Schule zwischen 5 und 10 Prozent, künftig sollen Abweichungen im Gymnasium sogar bis zu 33 Prozent möglich sein. "Das sind völlig aus der Luft gegriffene Zahlen, das kann man überhaupt nicht messen. Ich habe davon abgeraten, sich hier auf Zahlen festzulegen", sagt Hopmann dazu. Der Bildungsexperte war selbst Teil der Reformgruppe - als einziges Mitglied, das nicht von den Ministerien beschickt wurde. Hopmann geht die Autonomie nicht weit genug, da die Direktoren nach wie vor wenig Spielraum haben, strukturell etwas am Schulstandort zu ändern.

Die schwierige Frage, ob die Lehrer dem Bund oder den Ländern unterstellt sein sollen, wurde auch mit einem Kompromiss entschieden. Neue Bildungsdirektionen werden als "gemeinsame Bund-Länderbehörde" eingerichtet. Der Bildungsdirektor wird ein Bundesbediensteter sein, der auf Vorschlag des Landeshauptmanns bestellt wird. In allen Bundesländern sollen Bildungsdirektionen die bisherigen Landesschulräte ablösen.

Die neue Behörde verwaltet sowohl Bundes- als auch Landeslehrer, das Bundesverwaltungspersonal und die Schulaufsicht. Die bisherigen amtsführenden Präsidenten und Vizepräsidenten werden abgeschafft, was Einsparungen von sechs Millionen Euro bringen soll. Hopmann kritisiert, dass so aber wieder keine Klarheit bei den Zuständigkeiten geschaffen wurde. Er hätte sich gewünscht, dass die Personalverantwortung bei den Schulen und die Budgetverantwortung beim Bund liegt.

Stiftung für Digitalisierung

Weiteres Ziel ist die Digitalisierung: Bis 2020 soll jede Schule High-Speed-Internet und WLAN haben. Analog zur Nationalstiftung für Forschung wird ab 2017 eine "Bildungsstiftung" eingerichtet, die vom Bund mit einem jährlichen Fixbetrag ausgestattet wird und durch private Spenden noch höher dotiert werden kann. Dieses Geld soll in Digitalisierungsprojekte fließen.

"Das ist ein Kompromisspapier. Die Frage ist, was davon realisiert wird und was das in der Schulpraxis bedeutet", so Hopmann. Für die ehemalige AHS-Lehrerin Christa Koenne ist es "kein großer Wurf", sie vermisst vor allem die Mindeststandards für Pflichtschulabsolventen. Und tatsächlich beinhaltet das Konzept nichts zu den 15-Jährigen. Christiane Spiel hätte sich Verbesserungen beim Lehrerdienstrecht gewünscht. Insgesamt sieht sie die Bildungsreform aber positiv: "Es wurden viele Behörden und Zuständigkeiten abgeschafft, das klingt nach einem gar nicht so schlechten Kompromiss. Bund und Länder sollen mit gemeinsamen Daten zusammenarbeiten - wenn das wirklich so umgesetzt wird, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung." Reformen hätten nie einen unmittelbar messsbaren Effekt, betont Hopmann. Und auch die Regierung hat sich Zeit gegeben: Die Evaluation der Bildungsreform ist 2025 anberaumt.