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Antiziganismus hautnah

Von Jerome Segal

Politik
Das Team des Vereins Romano Centro hat am Donnerstag seinen zweiten Bericht präsentiert.
© Segal

Rassistische Übergriffe häufen sich. Das belegt auch der aktuelle Antiziganismusbericht - eine Analyse.


Wien. Rassistische Übergriffe gab es im Jahr 2015 in Europa wieder genug. Egal, ob in Wien oder Paris, egal ob Juden oder Muslime, Minderheiten werden angegriffen. Am 9. Jänner wurden in Paris vier Menschen ermordet - einfach, weil sie Juden waren. Über das Jahr hinweg wurden Muslime angegriffen, Moscheen und Friedhöfe geschändet oder beschmiert. Seit Ende des Sommers macht sich wachsender Hass gegen Flüchtlinge bemerkbar. Nicht so sehr gegen die Steuerflüchtlinge, die den europäischen Staaten wirklich schaden, sondern gegen Syrer, Iraker oder Afghanis. Gegen jene, die ihr gesamtes Hab und Gut in Plastiksäcke packen, aus Kriegsgebieten fliehen und um Asyl ansuchen möchten.

Während über diese Vorfälle laufend berichtet wird, gibt es jedoch eine Art der Diskriminierung, die medial und gesellschaftlich vernachlässigt wird: der Antiziganismus, also der Hass gegen Roma und Sinti. Seit 1991 bietet der Verein "Romano Centro" Unterstützung in Wien für Betroffene von Diskriminierung an und setzt sich gegen Antiziganismus ein. Das Team dieses Vereins hat am Donnerstag den zweiten Bericht zu Antiziganismus in Österreich unter dem Titel "Antiziganismus in Österreich. Falldokumentation 2013-2015" vorgestellt. Darin werden 61 Fälle ausführlich dokumentiert.

Hohe Dunkelziffer

Obwohl im ersten Bericht vor zwei Jahren 82 Fälle verzeichnet wurden, lässt sich daraus nicht schließen, dass Antiziganismus in Österreich sinken würde. Der erste Bericht umfasst nämlich einen größeren Zeitraum. Außerdem: "Wenn man Antiziganismus im Internet betrachten würde, könnte man problemlos 100 weitere Fälle dokumentieren", erklärt Ferdinand Koller, pädagogischer Leiter bei "Romano Centro".

Auf 30 Seiten werden alle Fälle in zehn Kategorien unterteilt, darunter Medien, rechte Medien, Politik, Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, Internet, Polizei, öffentlicher Raum, Bildung und Arbeitswelt.

Unter "rechte Medien" werden darin verschiedene FPÖ-nahe Organe verstanden. Es ist eine Bezeichnung, die vielleicht etwas unglücklich gewählt wurde, denn es handelt sich einfach nur um rechtsextreme Zeitungen und Zeitschriften. So wird in der freiheitlichen Zeitung "Aula" (6/2104) ein Leserbrief veröffentlicht, der die Frage stellt, ob Roma nicht "genetisch bedingt arbeitsscheu" seien.

In den sogenannten "bürgerlichen Medien" ist es nicht viel anders. So der Fall Nummer 4: "In der Tirol-Ausgabe der "Kronen Zeitung" erscheint am 14. April 2014 ein Leserbrief mit dem Titel: "Hilf dir selbst" mit folgendem Wortlaut: "Wir sind machtlos, sagen die Zuständigen wegen der illegalen Zigeunerlager in Tirol. Wie ist denn das zu verstehen? Heißt das, dass sie gegen ein paar Zigeuner aufgegeben haben? Ja dann müssen wir Leute mit mehr Rückgrat wählen. Als Kind in den Dreißigerjahren erinnere ich mich, dass Zigeuner nur 24 Stunden an ein und demselben Ort bleiben durften. Danach hieß es: Abmarsch."

Und sogar im als liberal geltenden "Standard" fand man am 1. April 2014 einen Artikel, in dem Bettler und Roma in einen Topf geworfen wurden. Koller schreibt: "Des Weiteren wird statt von einer Gruppe oder einer Familie zu sprechen, abwertend der Begriff der ‚Roma-Sippe‘ verwendet."

Manche Fälle, die im Bericht beschrieben sind, wurden zuerst an Zara (Zivilcourage und Antirassismusarbeit) gemeldet, einer der vielen Vereine, die eng mit Romano Centro zusammenarbeitet. So wurden etwa Gäste in einem Lokal als "Zigeuner" beschimpft, weil sie sich nicht auf Deutsch unterhielten. Der Kellner unternahm nichts gegen die Belästigung und die Betroffene wandten sich an Zara. Man kann davon ausgehen, dass solche gemeldeten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind, hieß es.

Der Bericht an sich versteht sich nicht als umfassend, sondern eher als repräsentativ für eine Art von Verfolgung und Diskriminierung, die nur Roma betrifft. In manchen Fällen sind auch die Behörden einbezogen. Ein anderer Fall fängt so an: "Die Landespolizeidirektion Tirol veröffentlicht in einer Presseaussendung vom 16. April 2014 folgenden Text: ‚In einem Blumengeschäft in Landeck erbeutete eine ca. 40-50-jährige Frau, der Abstammung nach Zigeunerin oder ähnlicher Herkunft, durch einen Wechseltrick 50 Euro. Die Frau flüchtete nach Entdecken des Betruges und konnte unerkannt entkommen.‘"

Die Untätigkeit der Polizei wird in anderen Fällen dokumentiert: "Am 14. Mai 2015 besucht Frau S., eine Romni, in einer burgenländischen Gemeinde im Bezirk Oberwart ein Lokal. Dort wird sie von einem Gast mit den Worten ‚Scheiß dreckige Zigeunerin, geh hin woher du herkommst‘, ‚Ihr seid’s nix Wert du Drecksau Zigeunerin mit deinen schwarzen Haaren‘ und weiteren Beleidigungen beschimpft. Sie verlässt das Lokal, weil der Mann ihr mit Gewalt droht und ruft die Polizei. Die Polizei erweist sich jedoch nicht als Hilfe: Erst bezweifeln die Beamten, dass überhaupt etwas passiert ist. Dann meinen sie: ‚Und was sollen wir jetzt tun?‘". In diesem Fall, dank der Unterstützung des Vereins Roma in Oberwart, wurde Anzeige erstattet und die Täter mussten noch am Abend des Vorfalls ein Bußgeld in Höhe von rund 20 Euro leisten.

Größte Minderheit Europas

"Es lohnt sich, den Bericht eingehend zu studieren, um zu sehen, wie wichtig die Arbeit solcher Vereine ist", wurde am Donnerstag betont. Mit zehn bis zwölf Millionen Menschen bilden die Roma und Sinti nämlich die größte Minderheit in Europa. "Ihre Geschichte, ihre Integrationsfähigkeit und ihre Abneigung gegenüber Nationalismus sollten heute inspirierend sein, um zum Beispiel Migrationen positiv zu bewerten und alle Formen von Rassismus zu bekämpfen." Denn gerade in einer Zeit, in der Europa so schwach ist, sollte man sich der Worte des deutschen Schriftstellers Günter Grass erinnern, der einmal gemeint hat, dass die Roma und Sinti unter uns allen die Europäischsten seien.