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"Dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen"

Von Werner Reisinger

Politik

Interview mit Österreichs oberstem Verfassungsschützer Peter Gridling.


Wien. In einer Tiroler Flüchtlingsunterkunft wird Mitte November ein 20-jähriger Iraker festgenommen. Andere Flüchtlinge hatten Alarm geschlagen. Der junge Mann hatte im Internet die Pariser Anschläge gutgeheißen, er wird der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtigt - konkret der schiitischen Al-Quds-Miliz. Mit den Attentaten in Frankreich stehe er nicht in Verbindung, betont die Staatsanwaltschaft.

Wie sicher ist Österreich? Haben die Behörden die dschihadistische Szene im Griff? Der oberste Verfassungsschützer Peter Gridling im Interview.

"Wiener Zeitung": Einer der Drahtzieher der Pariser Anschläge vom 13. November soll sich Ende August in Ungarn aufgehalten haben. Nach Angaben der ungarischen Regierung soll der Unbekannte am Budapester Ostbahnhof eine Gruppe Flüchtlinge rekrutiert und mit ihnen anschließend das Land verlassen haben. Was genau ist hier passiert?
Peter Gridling: Es geht konkret um die drei Personen, die im August in Oberösterreich in eine Verkehrskontrolle geraten sind. (Gemeint ist der Bruder eines der Attentäter, Salah Abdeslam, sowie zwei weitere Personen, Anm.) Wie die Schengen-Auswertung ergeben hat, ging es hier nicht um einen einwöchigen Aufenthalt der Personen in Österreich. Die Betroffenen sind von Deutschland kommend durch Österreich in Richtung Ungarn unterwegs gewesen, und dann am Rückweg in eine Verkehrskontrolle geraten. Was in Ungarn genau passiert ist, ist uns noch nicht bekannt.


In Salzburg haben Flüchtlingshelfer auf zwei junge Syrer aufmerksam gemacht, die damit geprahlt haben sollen, dass sie Mitglieder der Terrormiliz IS seien.

Was es mit den beiden Personen auf sich hat, ist Gegenstand von Ermittlungen. Die zwei Männer befinden sich bereits in Untersuchungshaft. Es gibt zurzeit noch keine Informationen, ob die Vorwürfe auch stimmen.

Es scheint, als ob Dschihadisten in Österreich sehr wohl vielfältige Aktivitäten entfalten. Sind wir ein Rückzugsort für Terroristen?

Wir haben in europäischen Ländern ein Problem mit extremistischen Islamisten und Dschihadisten, auch in Österreich. Mehr als 250 Personen haben den Weg in den Dschihad gesucht, manche davon sind wieder zurückgekehrt, andere kämpfen dort, einige wurden an der Ausreise gehindert. Im November 2014 haben wir in einer großen Aktion gegen Rekrutierer und Radikalisierer versucht diese Szene aufzuarbeiten, da sind nach wie vor Personen in Haft. Einer der wichtigsten Rekrutierer wartet in Graz auf sein Verfahren. Das zeigt, dass wir auch in Österreich ein entsprechendes Umfeld haben. Auch Österreicher in den Reihen des IS melden sich immer wieder, speziell auf Facebook, und drohen mit Anschlägen oder rufen zu Attentaten in Österreich und Deutschland auf.
Die Terrorismusexpertin Petra Ramsauer spricht von bosnischen und tschetschenischen Netzwerken in Österreich. Seit dem Bosnien-Krieg in den 90er Jahren hätten sich Finanzierungs- und Rekrutierungsstrukturen gebildet, die heute von den Dschihadisten intensiv genutzt werden.

Ich glaube nicht, dass man das mit den seinerzeitigen Strukturen vergleichen kann. Aufgrund der geografischen Lage und der recht großen bosnischen Community in Österreich ist klar, dass Beziehungen zwischen Bosnien und heimischen Moscheen sowie zur Community hier bestehen. Das ist Gegenstand von Beobachtung und von Kooperationen, wir sehen uns das sorgfältig an. Das erwähnte Verfahren in Graz hat ebenso Bezüge zu Bosnien, bosnisch-stämmige Personen sind nach wie vor in Haft. Auch die tschetschenische Community hier ist groß. Sie spiegelt die Konflikte und die Situation im Heimatland wider. Wir finden tschetschenische Islamisten ebenso wie säkulare Separatisten, oder Anhänger des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Dass es unter diesen Gruppen auch Spannungen gibt, ist bekannt. Ungefähr die Hälfte der Personen, die sich von Österreich aus auf den Weg in den Dschihad machen, hat einen tschetschenischen Hintergrund.


Sie spielen auf den in Graz inhaftierten Hassprediger und mutmaßlichen Rekrutierer Mirsad O. an. Wurde mit der Aktion im November letzten Jahres der Kern der bosnisch-tschetschenischen Szene getroffen?


Die Operation "Palmyra" war ein wichtiger und notwendiger Schlag, um der Rekrutierung und Radikalisierung einen Riegel vorzuschieben. Wir können behaupten, dass das auch gewirkt hat, nicht nur bei uns, sondern auch am Balkan. Das ist allerdings nur ein Teil des Problems, wenn auch kein unwesentlicher. Mit Mirsad O. ist eine aus unserer Sicht sehr wichtige Figur aus der Szene neutralisiert worden, er kann die Szene nicht mehr so beeinflussen wie vorher. Es geht aber nicht nur um Mirsad O. Wir haben auch Rückkehrer hier, auch andere, die sich der radikalen IS-Ideologie angeschlossen haben sowie einen Sympathisantenkreis. Hier gilt es entsprechend aufmerksam zu sein und sich nicht aufgrund einer erfolgreichen Vorgehensweise in Teilen der Szene in Sicherheit zu wiegen.

Hat das BVT überhaupt die Kapazitäten, die rund 70 Syrien-Rückkehrer entsprechend zu überwachen?

Die Überwachung der Rückkehrer, sofern sie rechtlich überhaupt möglich ist, stellt eine besondere Herausforderung dar, nicht nur für den Verfassungsschutz, sondern auch für die Polizei insgesamt. Der müssen wir eben bestmöglich gerecht werden.

Kritiker bringen immer wieder vor, dem BVT mangle es an entsprechend geschultem Personal. Es gebe zu wenig Ermittler, die Arabisch sprechen und sich mit dem kulturellen Umfeld auskennen.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie es Außenseitern möglich ist, die Situation im BVT zu beurteilen.

Sind Sie zufrieden mit dem Entwurf für das neue Staatsschutzgesetz?

Der vorliegende Entwurf ist ausgewogen, die Aufgaben und Befugnisse der Staatsschutz-Organe sind genau definiert. Enthalten ist auch ein Deliktekatalog, der die Delikte deutlich einengt. Bei gewissen Delikten reicht nicht nur ein Verdacht aus, sondern es muss drüber hinaus auch argumentiert werden, welche Motivation jeweils dahintersteckt. Zudem wird eine Grundlage geschaffen, damit wir erhaltene Daten auch sinnvoll verarbeiten können.
Und es wird die Aufsicht und Kontrolle durch den Rechtsschutzbeauftragten, aber auch durch Gerichte und die Datenschutzbehörden sowie durch das Parlament auf eine andere Ebene gehoben. Zusätzlich zu dieser Aufsicht wird auch das Recht für die Betroffenen auf Auskunft entsprechend erweitert. Das BVT hat künftig eine Verpflichtung, die Betroffenen entsprechend zu informieren, wenn dies Operationen nicht gefährdet.

Es ist fraglich, ob sich ein entschlossener islamistischer Attentäter durch eine Meldepflicht, durch Hausarrest oder Fußfesseln von seinem Vorhaben abbringen lässt.

Vor allem die Meldepflicht ist sinnvoll und kann die Arbeit unserer Behörde wesentlich erleichtern. Wenn der Meldepflicht entsprechend nachgekommen wird, ermöglicht uns das ein ressourcenschonendes Vorgehen. Wenn der Meldepflicht nicht nachgekommen wird, können wir schneller auf den betroffenen Personenkreis reagieren. Über die anderen Maßnahmen wird noch zu diskutieren sein. Es braucht eine entsprechende verfassungsrechtliche Begutachtung, ob das so überhaupt möglich ist.

Was kann man gegen die Radikalisierung und Rekrutierung in österreichischen Gefängnissen unternehmen?

Wichtig wäre, überhaupt einmal zu erkennen, dass in Gefängnissen Radikalisierung und Rekrutierung stattfindet. Wir haben schon 2006, gemeinsam mit Deutschland und Frankreich, ein Handbuch für die Erkennung von Radikalisierung erarbeitet. Es dient seit einiger Zeit zur Schulung des Personals in unseren Haftanstalten. Aus unserer Sicht ist es klar, dass es nicht reicht, Personen mit einem radikalen Gedankengut einzusperren. Es geht darum, diese Leute in der Haft entsprechend zu betreuen. Hier ist die Justiz gefordert. Die macht das auch, beispielsweise mit Psychologen.

In Deutschland verlassen wöchentlich bis zu zehn Personen das Land, um in den Dschihad nach Syrien zu reisen. Kann der Verfassungsschutz die Ausreise von Islamisten nach Syrien verhindern?

Die österreichischen Behörden haben bisher in 40 Fällen die Ausreise verhindert. Es gibt bei uns nach wie vor einen Trend, in den Dschihad zu ziehen. Der ist allerdings nicht mit den deutschen Dimensionen vergleichbar. Wenn wir rechtlich dazu in der Lage sind, verhindern wir natürlich die Ausreise.

Der in Österreich geborene Mohamed Mahmoud ist eine zentrale Figur des sogenannten "Islamischen Staates". Er soll sich, so wie viele andere in Europa geborene IS Kämpfer, die propagandistisch besonders aktiv sind, im Visier der Anti-IS Koalition befinden.

Dazu liegen uns keine Informationen vor.

Wie wichtig ist Mahmoud aus geheimdienstlicher Sicht?

Es ist schwierig einzuschätzen, auf welch fruchtbaren Boden Mahmouds Aufrufe derzeit in Deutschland und Österreich fallen. Was wir sehen, ist dass er unvermindert zu Anschlägen und anderen Straftaten aufruft. Derartige Aufrufe tauchen regelmäßig im Internet auf. Natürlich ist das Gegenstand unserer Untersuchungen.

Hat Mahmoud für die islamistische Szene in Österreich noch eine Bedeutung?

Wie groß sein Einfluss heute tatsächlich ist, lässt sich eben schwer beurteilen. Man darf nicht vergessen, dass er schon lange aus dem österreichischen radikalen Umfeld weg ist.

Themenwechsel. Die "Identitären" sind eine Bewegung der Neuen Rechten, die sich erfolgreich in Österreich positionieren konnte. Sie geben sich dem demokratischen Spektrum zugehörig. Im Internet kokettieren sie aber immer wieder mit Gewalt und posten Bilder von Waffen. Wie gefährlich sind die Identitären?

Diese Gruppierung fällt bisher nicht unter das Verbotsgesetz, die führenden Personen distanzieren sich öffentlich vom Nationalsozialismus. Das bedeutet für uns, dass diese Entwicklung nicht vor dem Hintergrund des Verbotsgesetzes, sondern vor dem des Strafrechts bewertet wird. Die "Identitären" haben in den letzten Wochen zahlreiche Demonstrationen abgehalten. Diese waren im Sinne des Versammlungsgesetztes zu bewilligen.

Das BVT warnte erst kürzlich vor einer zunehmenden Ausbreitung der radikalen Rechten.

Die österreichische Gesellschaft erlebt gerade eine gewisse Polarisierung. Wir müssen mit einem erhöhten Gewaltpotential bei Protesten im öffentlichen Raum rechnen. Die letzte Demonstration der "Identitären" in Spielfeld hat das unter Beweis gestellt …

… wobei Medienberichten zu Folge die Gewalt hier von den Gegendemonstranten ausgegangen sein soll.

Uns ist es egal, von welcher Seite Gewalt ausgeht. Sie wird in jedem Falle geahndet. Mit Gewalt im öffentlichen Raum ist zukünftig vermehrt zu rechnen, die gesellschaftliche Polarisierung erhöht das Gewaltpotential. Das beobachten wir mit großer Sorge. Aber wir sind vorbereitet.

Peter Gridling, geboren 1957 in Lienz/Osttirol, ist seit 1. März 2008 Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), der obersten Staatsschutzbehörde des Innenministeriums.