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Man spricht Deutsch

Von Werner Reisinger

Politik

Zu wenig Personal, schlechte Bezahlung, mangelnde Unterrichtsqualität: Deutschtrainer für Flüchtlinge beklagen Missstände und prekäre Arbeitsbedingungen in privaten Bildungsinstituten.


Wien. Knapp vier Monate hat Joanna (Echter Name der Redaktion bekannt, Anm.) durchgehalten. Dann war ihr Vertrag zu Ende, ein neuer wurde nicht in Aussicht gestellt. Selbst wenn das private Bildungsinstitut, in dem die studierte Germanistin Migranten und anerkannten Flüchtlingen Deutschunterricht gab, ihr einen neuen Vertrag angeboten hätte - nach ihren Erfahrungen, hätte sie wohl abgelehnt.

Den Flüchtlingen Deutsch beizubringen, um sie danach so rasch wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, das sei angesichts der Flüchtlingsbewegung die große Herausforderung für Österreich, sind sich Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft einig. Doch was Joanna aus ihrem Arbeitsalltag erzählt, entspricht so gar nicht dem, was man sich unter einem fundierten Deutschtraining vorstellt. Drei Kurse zu je drei Stunden, macht in Summe neun Stunden Unterricht - "danach bist du fix und fertig." In den Pausen sei sie mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt gewesen. Sie musste dutzende Formulare ausfüllen, eine Datenbank für das AMS betreuen oder Lehrmaterial organisieren. Oft blieb nicht einmal Zeit, die Toilette aufzusuchen. In manchen Klassenräumen fehlte die für den Unterricht notwendige Infrastruktur. "Ich hatte nicht den Eindruck, dass der Deutschunterricht im Vordergrund stand, so sehr war ich mit anderen Aufgaben beschäftigt", erzählt die ehemalige Trainerin.

Konkurrenz um Aufträge

Seit 15 Jahren vergibt das AMS per Ausschreibung Deutschkurse für Migranten und anerkannte Flüchtlinge an private Bildungsinstitute wie Ibis Akam, Mentor, ZIB Training, BIT oder an das Berufsförderungsinstitut (BFI). Zum Zug kommt, wer das inhaltlich beste und vor allem günstigste Konzept einreicht. Vor allem in Wien konkurrieren die Institute deshalb um die Aufträge des AMS. Den so entstehenden finanziellen Druck geben die Firmen an ihre Angestellten, also die Deutschtrainer, weiter - mit negativen Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. In Zeiten vermehrter Krankenstände oder zur Urlaubszeit wird die Personalknappheit in manchen Instituten offensichtlich.

Diese wird offenbar durch fragwürdige Maßnahmen kompensiert. Fällt ein Trainer kurzfristig aus, kann ein weiterer dessen Kurs mitbetreuen. "Das bedeutet, ich muss den einen Kurs unterbrechen, um in den nächsten zu rennen - mit der Folge, dass ich mich auf keinen der beiden mehr konzentrieren kann", so ein Trainer zur "Wiener Zeitung". Vergütet werden diese "Mitbetreuungen" mit Essensgutscheinen - im Wert von 10 Euro pro mitbetreutem Kurs.

Wenn möglich werden auch Kurse zusammengelegt, auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Kursniveaus handelt. Die Folge: die Trainer haben nicht genügend Zeit, sich den jeweiligen Bedürfnissen der Unterrichtsteilnehmer entsprechend zu widmen. Für einen dreistündigen Deutschkurs steht den Lehrern in manchen Instituten lediglich eine Stunde für Vor- und Nachbereitung zur Verfügung - pro Woche. Bei weitem nicht genug, um die Herausforderungen des Unterrichts zu meistern, kritisiert der Betriebsrat eines großen privaten Instituts: "Zumindest eine Stunde Vor- und Nachbereitung pro Kurstag ist absolut notwendig."

Zudem seien viele der Flüchtlinge traumatisiert, es mangle jedoch an Sozialarbeitern und Psychologen, die die Flüchtlinge betreuen müssten. Mit den psychischen Problemen der Schüler umzugehen, stelle für die Trainer deshalb eine zusätzliche Belastung dar. Die Folge sei eine Häufung von Burnout-Fällen bei den Trainern. Migranten wie auch anerkannte Flüchtlinge, die Anspruch auf einen Deutschkurs haben, werden von den Volkshochschulen in einem bestimmten Sprachniveau eingestuft - die Skala reicht von A0 (absolute Anfänger) bis C2 (muttersprachliches akademisches Niveau).

Quantität vor Qualität

Für die Deutschlehrer aber sind diese Einstufungen oft nicht nachvollziehbar. "Es kommt immer wieder vor, dass Personen, die ein gewisses ÖSD-Niveau bereits absolviert haben, wieder in einem Kurs der selben Stufe landen", so ein Trainer. Das führe meist zur Situation, dass in einem Kurs, dessen Teilnehmer eigentlich ein weitestgehend ähnliches Sprachniveau aufweisen sollten, Personen mit einem völlig unterschiedlichen Sprachschatz zu unterrichten seien. "Die Fortgeschrittenen langweilen sich, während die Schwachen zum Teil gar nicht mitkommen."

Am Ende des Kurses müssen die Trainer entscheiden, welche Schüler sie zur ÖSD (Österreichisches Sprachdiplom Deutsch)-Sprachdiplomprüfung anmelden. Glaubt man den Betriebsräten, stehen die Institute - und damit die Trainer - unter Druck, möglichst viele Schüler positiv durch die ÖSD-Prüfungen zu bringen. Dafür haben sie immer weniger Zeit. 2009 dauerte ein Deutschkurs noch vier Monate und hatte einen Umfang von 320 Unterrichtseinheiten. Seit 2015 gibt es zwei unterschiedliche Modelle mit entweder drei oder vier Monaten Laufzeit - jedoch mit nur 180 Unterrichtseinheiten.

Laut Belegschaftsvertretern mehrerer Bildungsträger müssen die Institute ein Bonus-Malus-System einhalten: schaffen weniger als 75 Prozent der Angemeldeten die Prüfung, bedeutet das weniger Geld für die Institute. "Seit in unserer Firma das Modell mit drei dreistündigen Kursen pro Tag eingeführt wurde, gibt es bei den positiv absolvierten ÖSD-Prüfungen einen Rückgang um 20 Prozent", beklagt ein Betriebsrat. Das stellt Petra Draxl, Geschäftsführerin des AMS Wien, in Abrede. Sie spricht lediglich von einer "Zielvorgabe" bei den ÖSD-Prüfungen für die Bildungsinstitute. Auch ein Bonus-Malus-System gebe es nicht. Dass die Deutschtrainer eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen verlangen, kann Draxl jedoch verstehen: "Die Trainer sind zurzeit gefragt, da es aufgrund der vielen Flüchtlinge einen stetig wachsenden Bedarf an Lehrpersonal gibt. Es ist nicht möglich, in so kurzer Zeit entsprechend mehr Trainer auszubilden." Diese Situation würden die Deutschlehrer nutzen, um ihre Lage zu verbessern. Kritik üben die Trainer vor allem am 2005 erstmals abgeschlossenen Kollektivvertrag für private Bildungseinrichtungen, dem BABE-KV.

Darin werden zwar auch Deutschtrainern unbefristete Dienstverhältnisse zugesichert, in der Praxis würden aber Trainer gekündigt, wenn ein Maßnahmenprojekt des AMS endet oder ein Institut bei den Ausschreibungen leer ausgegangen ist. "Besteht nur der leiseste Verdacht, dass ein Projekt nicht verlängert wird, nötigen manche Institute ihre Trainer zu einer einvernehmlichen Kündigung."

Arbeitslos gewordene Trainer würden sich häufig bei anderen Instituten bewerben, die Vordienstzeiten würden aber nicht oder nur unzureichend angerechnet, kritisieren Betriebsräte. Einschlägige Qualifikationen, wie etwa ein abgeschlossenes Studium, würden nicht berücksichtigt. "Das ist eine völlige Entwertung des intellektuellen Potenzials." Fazit: Der BABE-KV behandle den Trainerberuf "wie einen normalen Bürojob"- er entspreche keineswegs der zentralen gesellschaftspolitischen Aufgabe, die die Trainer zu bewältigen hätten.

"Arbeitsrecht wird eingehalten"

Vonseiten des AMS heißt es, man würde in jedem Falle auf die Einhaltung des Arbeitsrechts bestehen. Die Arbeitsbedingungen für Trainer seien aber Sache der Institute. Bis zu neun Stunden zu unterrichten sei rein rechtlich möglich. Man wolle sich jedoch überlegen, wie man zukünftig die Abhaltung von gleich drei Kursen täglich unterbinden könnte. In den Ausschreibungen sollen künftig entsprechende Bestimmungen festgehalten werden.

Beschwerden von Deutschtrainern oder Kursteilnehmern hätten in den vergangenen Jahren deutlich nachgelassen. Die Betriebsräte der Institute sollen künftig aber an den Treffen der für die Koordination zwischen AMS und Bildungsträgern zuständigen Steuerungsgruppe teilnehmen, verspricht AMS Wien-Chefin Draxl.

"Konkurrenz belebt den Markt. Das ist notwendig, um die Qualität sicherzustellen", ist sich die Geschäftsführerin eines der privaten und gewinnorientierten Institute sicher. Die Trainer wüssten, worauf sie sich einlassen. "Von ihnen wird nichts verlangt, was nicht vertraglich festgehalten wird. Private Bildungsträger sind eben keine Schulen." Bleibt nur die Frage, ob auf diesem Weg die "Herausforderung Integration" gemeistert werden kann.