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"Nichts wird die Flüchtlinge aufhalten"

Von Jan Michael Marchart

Politik
Der stellvertretende Chefredakteur der "Wiener Zeitung", Walter Hämmerle, die Filmemacherin Nina Kusturica und Regierungsberater Kilian Kleinschmidt (v.l.n.r.).

Ein ehemaliger Flüchtling und ein Experte diskutierten bei den Alpbach Talks zum Thema Integration.


Wien. "Die erste Phase, die der Willkommensgrüße, ist weitestgehend vorbei", sagte der einstige Innenminister und Vizepräsident des Europäischen Forums Alpbach Caspar Einem über die Flüchtlingsproblematik in Österreich. Nun sei die Politik eher damit beschäftigt, sich auszudenken, wie man die Mindestsicherung für Flüchtlinge senkt, als der eigenen Bevölkerung die Angst vor der vielleicht schwierigsten Aufgabe der Nachkriegszeit zu nehmen. Das aber, so Einem, "ist die Voraussetzung dafür, dass genügend Kraft da ist, um die Integration zu schaffen." Ereignisse wie jene in Köln und Österreich seien es aber, die in eine "ungemütliche Zeit" führen könnten. "Ich hoffe, dass lässt sich vermeiden."

Diese Worte leiteten den Versuch einer Spurensuche ein. Gemeinsam mit dem Europäischen Forum Alpbach und 400 Gästen ging die "Wiener Zeitung" am 12. Jänner im Odeon Theater in Wien der Frage nach, welche Menschen sich hinter den Zahlen, Strömen und Massen verbergen, über die täglich berichtet wird, und was sich diese Menschen erwarten - abseits von Statistiken und politischen Schwingungen.

Mit anderen Worten: Gefühle und Stimmungen sollten im Vordergrund stehen. Bei dem Versuch half die Filmemacherin Nina Kusturica mit, die 1992 als Kind aus Bosnien nach Wien flüchtete und sich in ihrer filmischen Arbeit intensiv den Themen Flucht und Migration widmet. Sie berichtete von einer emotionalen Zerrissenheit: "Wenn man das Zuhause verlässt, das unter Beschuss steht, weiß man noch nicht, dass man Flüchtling wird", so Kusturica. "Die Hoffnung ist groß, dass man wieder zurückkehren kann." Für Flüchtlinge gehe es aber nicht um ein "besseres Leben, sondern um ein Leben".

Der Gedanke, ein Flüchtling zu sein, würde erst aufkommen, wenn der Krieg länger andauert und man dadurch langsam ein neues Leben im neuen Land beginnt. In Österreich fühlte sich Kusturica einst von menschlicher Seite gut aufgenommen, von den Behörden weniger. Bosnier erhielten damals ein Duldungsvisum, was ihnen die Arbeitsaufnahme verwehrte. "Meine Eltern waren damals 50 Jahre alt und brachten Know-How mit", erzählte Kusturica. "Aber das interessierte die Behörden nicht." Außerdem erklärte sie, dass es immer schwieriger werde, sich in einem neuen Land zu verwurzeln, je älter man ist.

Als Mensch begreifen

Kilian Kleinschmidt war als Entwicklungshelfer für die Vereinten Nationen in Krisengebieten wie Somalia, Kosovo und Pakistan im Einsatz, managte in Jordanien eines der größten Flüchtlingslager der Welt und berät seit Herbst des vergangenen Jahres die heimische Regierung. Auch er beteiligte sich an der Spurensuche. Kleinschmidt beobachtete in den Flüchtlingslagern, dass bei den Schutzsuchenden schnell der Drang aufkomme, sich wieder als Mensch begreifen zu dürfen. In den unterversorgten Lagern gebe es nämlich keine Perspektiven. Die Hoffnung ist Europa, insbesondere Skandinavien, Deutschland und Österreich. Die Nationalstaaten Europas reagierten aber vor allem mit Härte auf die Problematik - mit verschärften Gesetzen. "Wir haben in Europa eine Massenhaltung - ohne Dialog", sagte Kleinschmidt. "Wir müssen mit den Flüchtlingen reden und uns gegenseitig begreifen."

Aber weder Zäune noch Mauern werden die Flüchtlinge aufhalten, fügte der Berater des Innenministeriums an. "Diejenigen, die kommen wollen, werden kommen." Armut, Klimawandel und andere Ungerechtigkeiten würden noch mehr Schutzsuchende bewegen. Man müsse sich abseits von Asylanträgen aber auch damit beschäftigen, wie man in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu einer Lösung kommt. Kleinschmidt spricht von einer Verteilung des Wohlstands dieser Welt.

Die Filmemacherin Kusturica sieht eine Zukunft Europas, in der es nicht mehr möglich sein wird, sich abzuschotten. Auch sieht sie kein Problem darin, sollten Länder von rechten oder konservativen Kräften angeleitet werden. "Das ist den Flüchtlingen noch immer lieber." Sie glaubt mehr an die Stärke der Zivilgesellschaft, die schon zu ihrer Zeit das vollbrachte, was die Politik verabsäumte.