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Der Mehrwert der "Luxuszelle"

Von Simon Rosner

Politik
Erich Mayer über die neue Justizanstalt in Salzburg: "Wenn man sich den Vollzug dort ansieht, dann hat das eine ganz andere Qualität."
© Justizministerium/Andrew Phelps (4).

Strafvollzug-Chef Erich Mayer über volle Gefängnisse, die Notwendigkeit eines modernen Strafvollzugs und warum es so schwierig ist, ausreichend finanzielle Mittel dafür zu lukrieren.


Seit Juli leitet der Jurist Erich Mayer (41) die Generaldirektion für den Strafvollzug. 2006 war die Sektion unter Ministerin Karin Gastinger in die Vollzugsdirektion ausgelagert wurden, nach diversen Missständen in Haftanstalten holte der nunmehrige Justizminister Wolfgang Brandstetter die Verwaltung der Gefängnisse wieder zurück ins Ministerium. Mayer war Sprecher der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, dann Projektverantwortlicher für die Reformmaßnahmen im Strafvollzug, ehe er die Leitung der neuen Sektion übernah.

"Wiener Zeitung": Die Zahl der Gefangenen in Österreich liegt konstant bei rund 9000 Personen. Als es das letzte Mal einen so hohen Belagsstand gab, 2008, gab es ein Haftentlastungspaket. Braucht Österreich wieder ein solches?Erich Mayer: Es sind schon sehr hohe Belagsstände, aber der Strafvollzug hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Anzahl der Häftlinge. Die unabhängigen Gerichte verhängen Strafen. Diese haben wir zu verwalten, und wir sind gewohnt, mit hohen Belagsständen umzugehen. Es wäre natürlich einfacher, wenn er geringer wäre. Dann hätten wir ein anderes Verhältnis zwischen Betreuung und Häftlingen und könnten die Hafträume besser belegen.

Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Verurteilungen seit Jahren sinkt. Von rund 85.000 im Jahr 1977 auf etwa 33.000 im Jahr 2014. Im selben Zeitraum sind die Freiheitsstrafen jedoch von 19.600 auf 22.800 angestiegen. Warum?

Das ist vor allem durch die Diversion begründet. Heute wird deshalb bei kleineren Delikten nicht mehr verurteilt, der erstmalige Ladendieb kommt gar nicht in das System des Strafvollzugs.

Aber in Deutschland, wo es einen ähnlichen Rückgang bei Verurteilungen gibt, schließen Haftanstalten. Bei uns nicht.

Nur im Norden Deutschlands, im Süden ist das anders. Aber auch das ist eine Frage der Spruchpraxis der Gerichte. Wie wir auf eine Reduktion hinwirken können: Je schneller und besser wir die Insassen fit für das Leben draußen machen, desto leichter kommt es auch zu bedingten Entlassungen. Dazu braucht es Beschäftigung, psychologische Betreuung und Sozialarbeit. Wir wenden auch alternative Haftformen an wie den elektronisch überwachten Hausarrest. Aus unserer Sicht ist das ein Erfolgsprojekt, das wir ausbauen möchten.

Schon klar, dass Recht und Rechtsprechung die Zahl der Häftlinge determiniert. Es scheint aber auch ein Wechselspiel zwischen Gerichtsbarkeit und öffentlichem Druck zu geben. Nach einer Vergewaltigung eines Jugendlichen in U-Haft vor einigen Jahren hat dies ohne Gesetzesänderungen dazu geführt, dass auf einmal weniger Jugendliche in U-Haft genommen wurden.

Das mag sein. Im Bereich der Jugendlichen haben sich Pilotprojekte wie die Sozialnetzkonferenzen gut bewährt. Mittlerweile wurden sie gesetzlich verankert. Auch beim Maßnahmenvollzug sehen wir, dass wir allein durch das Aufgreifen der Probleme Verbesserungen erzielen können.

Derzeit sind 300 Personen im elektronisch überwachten Hausarrest. Könnte man die überhaupt noch in Haftanstalten unterbringen?

Die 300 Personen entsprechen einer mittleren Justizanstalt. Man könnte sie auch unterbringen, aber unter schwierigeren Bedingungen. Wir glauben aber, dass diese Art des Vollzugs schlicht besser ist, weil die Menschen nicht aus ihrem sozialen Umfeld und ihrer Beschäftigung gerissen werden. Das bringt volkswirtschaftlich und der Familie viel. Es funktioniert aber nur bei gewissen Insassengruppen. Bei ausländischen Tätern ohne festen Wohnsitz in Österreich geht es nicht.

Die Fußfessel wird in der Öffentlichkeit oft als Privileg gesehen. Braucht es Haft auch als Maßnahme im Sinne von Bestrafung?

Der Hausarrest greift nur bei Personen, die auch sonst in einer gelockerten Vollzugsform außerhalb der Justizanstalt arbeiten würden. Wir haben das beforschen lassen. Es wird von den Verurteilten sehr wohl als Strafe empfunden. Es gibt auch einige, die lieber im Gefängnis verbleiben wollen, weil sie mit der Situation überfordert sind.

Ist dieses Prinzip des Wegsperrens, und zwar nicht aus Gründen der Sicherheit, sondern als Strafe, nach wie vor unabdingbar?

Da muss man sich jeden Einzelfall ansehen. Die Rechtsordnung ist breit aufgestellt, wir haben als Alternativen etwa Belehrungen bei Jugendlichen oder im Rahmen der Diversion den Tatausgleich. Österreich hat hier eine moderne Rechtsordnung. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass es als ultima ratio Haftstrafen, auch aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen und daher auch Gefängnisse geben muss.

Fast alle Insassen kommen irgendwann wieder heraus. Als geläuterte, bessere Menschen?

Resozialisierung ist der Sinn des Strafvollzugs und auch die gesetzliche Vorgabe. Wir beschäftigen uns mit der Frage: Was brauchen die Insassen, damit sie nicht mehr wiederkehren?

Dann zeichnen Sie doch das ideale Bild des Vollzugs. Wie sieht es etwa für einen jungen Menschen aus?

Der verurteilte junge Mensch kommt zu uns, wird medizinisch untersucht und versorgt. Er bekommt psychologische Betreuung und wird von den Justizwachebediensteten und von Sozialarbeitern in einem möglichst persönlichen Verhältnis betreut. Er erhält eine maßgeschneiderte Ausbildung, wobei es auch kurze Ausbildungen gibt wie die des Fahrradmechanikers. Er lernt geregelte Abläufe, anschließend wird er in ein Beschäftigungsverhältnis gebracht, das er bei uns beginnt und in Freiheit fortführen kann.

Und wie sieht die Realität aus?

Man muss realistisch sein. Die Wiederkehrerraten sind hoch. Wir versuchen ständig, unsere Standards den Gegebenheiten der Gesellschaft anzupassen. Wir haben zusätzlich 100 Personen im Justizwachebereich und 100 im Betreuungsbereich bekommen - ein Plus von knapp fünf Prozent. Aber natürlich kann man immer sagen, dass wir mehr Personal benötigen. Aber es gibt auch budgetäre Realitäten.

Beim Maßnahmenvollzug gibt es bereits sehr konkrete Reformvorschläge. Allerdings bisher eher nur auf Papier. Was ist bereits passiert, was wird noch passieren?

Wir haben gut 800 Insassen im Maßnahmenvollzug. Eine Arbeitsgruppe hat etwa 100 Vorschläge erstattet, die wir Schritt für Schritt umsetzen. Wir investieren da recht viel. Wobei man trennen muss: Es gibt die Gruppe der Unzurechnungsfähigen, die zum Teil in psychiatrischen Einrichtungen betreut werden und in den Therapeutischen Zentren in Asten und Göllersdorf. Dieser Bereich funktioniert großteils recht gut. Die zweite Gruppe sind die zurechnungsfähigen, geistig abnormen Straftäter, die auch in den großen Anstalten, etwa in der Karlau oder in Stein untergebracht sind. Hier gab es in der Vergangenheit auch die größten Probleme. Die Arbeitsgruppe hat unter anderem eine vollständige Trennung von Strafgefangenen und Maßnahmeninsassen vorgeschlagen. Das wollen wir auch umsetzen, bedingt aber auch Um- und Neubauten. Bis zur Fertigstellung werden wir in den Anstalten eine organisatorische Trennung vornehmen in eigenen Departments, mit eigenem, speziell geschulten Personal, besserem Betreuungsschlüssel und einheitlichen Standards.

Die Ansprüche an den Strafvollzug, eben auch aufgrund diverser Missstände, steigen. Kommt die budgetäre Realität mit diesen gestiegenen Ansprüchen mit?

Natürlich könnte man mit mehr Mitteln auch mehr machen. Aber was notwendig ist, um die Reformen umzusetzen, wird uns zur Verfügung gestellt. Uns kostet ein Häftling etwa 110 Euro pro Tag, Schweden gibt das Dreifache aus. Natürlich könnten wir derartiges fordern und damit entsprechend mehr umsetzen. Das hat aber eine gesellschaftspolitische Komponente: Letztlich muss der Steuerzahler das mittragen. Dieser hat mehr Verständnis für Mehrausgaben im Bereich Schulwesen oder Polizei als für den Strafvollzug. Wie Sie wissen, werden dann medial Fotos von den angeblichen "Luxuszellen" für Einbrecherbanden verbreitet. Mehrinvestitionen in den Strafvollzug kämen aber allen zugute, da man auch vermehrt Resozialisierungsmaßnahmen setzen und so eine neuerliche Straffälligkeit besser verhindern könnte.

Wir sind natürlich gefordert, weil sich in Österreich viele Gefängnisse in jahrhundertealten ehemaligen Schlössern oder Klöstern befinden. Es ist notwendig, diese zu renovieren oder durch Neubauten zu ersetzen wie in Salzburg. Wenn man sich den Vollzug in dieser neuen Anstalt ansieht, dann hat das eine ganz andere Qualität. Resozialisierung gelingt leichter in einem Umfeld, in dem es bessere Unterbringungsmöglichkeiten, bessere Ausbildungsmöglichkeiten und bessere Arbeitsstätten gibt.