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"Ihr seid müde, aber wir sind es auch"

Von Katharina Schmidt

Politik
"Selbst handeln", nicht mit dem Finger auf andere zeigen, forderte Andreas Babler.
© Seòras Tailleares

"NOW"-Konferenz vernetzt internationale Bürgermeister zum Thema Flüchtlinge in Wien.


Wien. Es ist das rechte obere Ende des Buchstaben "N", von dem sich der Blick nicht lösen kann. "NOW" (Jetzt) steht an der Rückwand hinter der Bühne - geschrieben mit den Schwimmwesten von an den Küsten Griechenlands gestrandeten Schutzsuchenden. Den Abschluss des Buchstabens "N" bildet eine kleine Kinderweste. Verziert mit einem bunten Aufkleber in Brusthöhe sieht sie so harmlos aus. Nicht, als hätte sie ein Leben gerettet. Eher wie von einem lustigen Sonntagsauflug zum Ententeich. Dorthin hätte man sich den Träger der Weste so sehr gewünscht.

Auf der Flucht ertrunkene Kinder und Erwachsene, die Probleme der Anrainerstaaten Syriens, die Frage nach der Integration. All diesen Themen widmet sich seit gestern eine zweitägige Konferenz in Wien. Unter dem Motto "NOW" tauschen mehr als 100 hochkarätige Teilnehmer, darunter Bürgermeister aus dem Libanon, Jordanien und den Ländern entlang der Fluchtrouten Strategien und Telefonnummern aus.

Die Idee dazu hatte der Künstler André Heller. Als seine Frau im vergangenen Sommer auf der Insel Lesbos an einem Seminar teilnehmen wollte, es aber nicht dazu kam, weil sie stattdessen unzähligen unterversorgten Schutzsuchenden half, beschloss er, etwas zu unternehmen. Auch, um denen zu helfen, "die diesen Wahnsinn ausbaden müssen", sagte er zur "Wiener Zeitung". Die Ergebnisse des Asylgipfels vom Mittwoch sind für ihn ein "vollkommen unrealistischer Selbstbluff, ich weiß nicht, warum eine Regierung so um den Verlust von Wählerstimmen bettelt". So kam die Konferenz, zu der Heller gemeinsam mit Traiskirchens SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler und Patricia Kahane, Präsidentin der Karl-Kahane-Stiftung und Vorstandsmitglied des Bruno Kreisky Forums, lud, am Donnerstag nicht ohne scharfe Kritik an der österreichischen Regierungsspitze aus.

Sehr wohl kam man ohne Regierungsmitglieder aus. Dafür tauchen gleich zwei Personen, die bereits als mögliche Nachfolger Werner Faymanns als Bundeskanzler gehandelt wurden, auf der Gäste- beziehungsweise Sponsorenliste auf: Gerhard Zeiler und ÖBB-Chef Christian Kern.

Kern: "Ich tue mir schwer, Tatenlosigkeit zu akzeptieren"

Letzterer stellte auch gleich die Fertigungshalle der Bundesbahn für die Konferenz zur Verfügung. Zwischen Schwimmwesten und den für das österreichische Asyl-Sommermärchen so symbolhaften Zügen erzählte Kern davon, wie seine Mitarbeiter tausenden Schutzsuchenden halfen. "Wir haben das Selbstverständliche getan." Und: "Ich tue mir schwer, eine Haltung, die tatenlos bleibt, zu akzeptieren." Der Fokus der Politik müsse eher sein, die Asylwerber ins Gesundheitssystem und in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen Deutschkurse anzubieten, sagte Kern.

Für die Wiener Stadtregierung sprach Sonja Wehsely, die schon am Vortag die Ergebnisse des Asylgipfels scharf kritisiert hatte, davon, dass der Umgang mit den Asylwerbern einem Lackmustest für das vereinte Europa gleichkomme. In dem Zusammenhang sei es eine "Herausforderung, das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen". Dazu müsse aber "Ernsthaftigkeit ableitbar" sein, was bei einer "verfassungswidrigen Obergrenze" sicher nicht der Fall sei. Auch Wehsely pochte auf Integrationsmaßnahmen unter Beachtung der Frauenrechte. Ihr Parteifreund Babler kritisierte die Abschottungspolitik Österreichs und Europas. Man dürfe nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern müsse selbst im eigenen Wirkungskreis handeln.

Wie alleingelassen sich die Anrainerstaaten Syriens in der Krise fühlen, zeigte das anschließende Panel, in dem Bürgermeister aus dem Libanon und aus Jordanien zu Wort kamen. Diese Staaten tragen mit Abstand die Hauptlast der Fluchtbewegung aus Syrien. 40 Prozent der Einwohner Libanons seien syrische Flüchtlinge, meinte etwa Ali Mattar, Bürgermeister von Sahel El Zahrani. "Unsere Grenzen zu Syrien sind nach wie vor offen, wir haben aus dem Bauch heraus reagiert, viele Libanesen haben ihre Wohnungen geöffnet", meinte er. Aber: "Es wird für unser Land immer schwerer, damit umzugehen." Mattar appellierte an die europäische Staatengemeinschaft, Syriens Nachbarländern zu helfen, den Asylwerbern bessere Chancen zu eröffnen. Denn oft fehlt es am Nötigsten: Marej liegt eine halbe Autostunde von der syrischen Grenze entfernt, laut ihrem Bürgermeister Nazem Saleh wurde die Infrastruktur für 15.000 Flüchtlinge geschaffen - ohnehin schon eine große Leistung. Doch jetzt leben dort 20.000. Die schlechter werdende Stimmung der Autochthonen ist da nur ein Nebenprodukt, in Marej geht es darum, dass basale Grundbedürfnisse nicht mehr erfüllt werden können: Unterbringung, Trinkwasser, Abwasser, Ernährung, Schulbildung.

Eine "verlorene Generation"im Morast der Zeltstädte

Die Libanesen und Jordanier am Podium sprechen von einer "verlorenen Generation" an syrischen Kindern, die ohne Schule perspektivenlos und unterversorgt durch den Morast der Flüchtlingslager waten. Diese Bürgermeister verlangen keine Obergrenzen. Sie richten den verzweifelten Appell an die internationale Staatengemeinschaft, ihnen zu helfen. Doch laut Mohammad Al Kilani von einer jordanischen Hilfsorganisation wurde die internationale Hilfe zwischen 2011 und 2015 auf ein Drittel gekürzt - bei stetig steigenden Zahlen Schutzsuchender.

Mai Aleid versteht diese Sorgen, kann aber auch ihre nicht verbergen. "Ihr seid müde, aber wir sind es auch", sagt sie, mit den Tränen kämpfend. Nach Jahren des Mit-sich-Ringens wagte die junge Universitätsabsolventin die Flucht aus Syrien. Am Podium schildert sie, wie die Flucht sie immer weiter trieb, von einem Land ins andere, von einer Unsicherheit in die Nächste. Eine der Schwimmwesten an der Wand hinter dem Podium hätte von ihr sein können.

Weitere Informationen, Videos und die Ergebnisse der Konferenz:

www.now-conference.org