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Grenzen der Kapazität sind dehnbar

Von Simon Rosner

Politik

Innenministerin Mikl-Leitner will sich an Schweden orientieren und Asylanträge jenseits des Richtwertes nicht mehr bearbeiten. Tatsächlich tut dies Schweden gar nicht, vielmehr stemmt das Land größere Lasten als Österreich.


Wien. Als politische Zielsetzung hat sich in Österreich die Forderung etabliert, "es wie die Schweden zu machen". Es ist von der Opposition zu hören wie auch von der Regierung, wobei das "es" auf die thematische Variabilität dieser Forderung verweist. Denn Schweden dient mittlerweile als Vorbild in Sachen Bildung genauso wie bei Sozialreformen, Pensionen, Sport, Gleichheit, Transparenz sowie - und das ist neu - im Asylwesen.

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner argumentiert den als unbedingte Obergrenze interpretierten Richtwert mit dem Verweis auf Schweden. Dort würden Asylanträge zwar angenommen, aber auf Jahre nicht bearbeitet werden. Für Österreich sei dies eine von zwei Optionen, wenn der Richtwert von 37.500 Asylwerbern erreicht werden sollte. Alternativ würden Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückgewiesen werden, erklärte die Innenministerin.

Eine Rückfrage der "Wiener Zeitung" bei Migrationsverket, der schwedischen Migrationsbehörde, ergab jedoch eine andere als die von Mikl-Leitner beschriebene Realität. Schweden würde sehr wohl auch weiterhin Asylanträge annehmen und diese auch wie bisher bearbeiten. Durch die hohe Anzahl der Anträge käme es jedoch zu zunehmend längeren Wartezeiten, heißt es von der Migrationsbehörde. "Wir tun unser Bestes und haben auch unser Personal aufgestockt", sagt eine Sprecherin.

Zu den Zahlen: Österreich verzeichnete im Vorjahr etwa 90.000 Asylanträge. In Schweden, das mit 9,6 Millionen Einwohnern ein wenig größer ist, suchten im selben Zeitraum rund 160.000 Personen um Asyl an, also um 75 Prozent mehr als in Österreich. Die zuständige Behörde arbeitet auch offenbar schneller als hierzulande, wobei direkte Rückschlüsse aufgrund unterschiedlicher Strukturen wohl nur schwer zu ziehen sind. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, kurz BFA, hat im Vorjahr 36.227 Statusentscheidungen gefällt, in Schweden waren es 2015 exakt 58.842 Entscheidungen, also um 60 Prozent mehr. Das ist insofern nicht überraschend, da es auch deutlich mehr Asylbeamte in Schweden gibt (siehe Grafik).

Kehrtwende des Kanzlers?

Dem Vergleich mit Schweden hält Österreich eben auch beim Thema Asyl nicht stand, was insofern bedeutend ist, da der auf Koalitionsebene vereinbarte Richtwert unter anderem mit beschränkten und seit Monaten überlasteten Kapazitäten begründet wird. Zwar sind diese klarerweise nicht unendlich, das Beispiel Schweden zeigt jedoch, dass die Kapazitätsgrenze durchaus flexibel gestaltet werden kann. Indem etwa auch bei der Verwaltung aufgestockt wird - was in Schweden und Österreich gleichermaßen passiert, wenn auch von unterschiedlichen Startniveaus.

Was nun wirklich mit jenen Flüchtlingen passieren wird, die in Österreich Asyl beantragen, wenn der Richtwert einmal erreicht wird, dürfte in den kommenden Wochen vermutlich noch die unterschiedlichsten Ideen hervorbringen. Kanzler Werner Faymann, der bisher stets das Wort Obergrenze vermieden hat, erklärte in einem Interview mit der "Kronen Zeitung" am Wochenende: "Er (der Flüchtling, Anm.) könnte zum Beispiel in ein Aufnahmezentrum an der EU-Außengrenze gebracht und von dort in ein anderes EU-Land verteilt werden. Das heißt dann: Auch der 37.501. Mensch kann Asyl beantragen, aber nicht mehr bei uns."

Der Vorschlag des Kanzlers hat freilich eine nicht unwichtige Fußnote: Es gibt noch keine Aufnahmezentren an der EU-Außengrenze. Bemerkenswert war jedenfalls, dass Faymann mit dem Interview insinuierte, dass der vereinbarte Richtwert auch für ihn eine Obergrenze darstellt. Das war bisher anders.

Am Montag wollte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer eine Abkehr von der bisherigen Diktion und vor allem der bisherigen Interpretation einer eher dehnbaren Zielgröße von 37.500 Asylwerbern nichts wissen. Man müsse europarechtlich korrekt und verfassungskonform vorgehen, sagte er im Ö1-"Mittagsjournal" und verwies auf die mit der ÖVP vereinbarte externe juristische Prüfung.

Kapazitäten ausweitbar

Am Montag wurden die Gutachten darüber auch formal in Auftrag gegeben, wie erwartet bei Europarechtler Walter Obwexer und dem Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk. Letzterer hatte in dieser Zeitung darauf verwiesen, dass die Kapazitäten der Verwaltung eines Landes beachtet werden müssten: "Niemand kann verpflichtet werden, an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit oder darüber hinaus zu kommen", so Funk vor Weihnachten.

Das Beispiel Schweden offenbart, dass die Grenze schwerlich an einer konkreten Zahl festgemacht werden kann, wie das mit dem Richtwert vulgo Obergrenze in Österreich nun passiert. Wobei hier das letzte Wort ganz offensichtlich auch innerhalb der Regierung noch nicht gesprochen sein dürfte. Auf Ö1 erklärte Ostermayer, dass man eingebrachte Asylanträge nicht absichtlich liegen lassen könne, da dies "eventuell Amtsmissbrauch darstellt". Das ist wohl auch den Schweden bewusst. Dort bleiben Anträge zwar liegen, aber nicht bewusst. Durch den großen Andrang dauert es halt einfach.