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Weniger Arbeit, besseres Leben?

Von Werner Reisinger

Politik

Mittels Arbeitszeitverkürzung mehr Jobs, sagen die einen. Wir arbeiten bereits weniger, die anderen.


Wien. Mitten in der Weltwirtschaftskrise, im Jahre 1930, behauptete der große britische Ökonom John Maynard Keynes in seinem prophetischen Aufsatz "Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder" ("Economic Possibilities for our Grandchildren"), dass die Menschen in hundert Jahren nur mehr 15 Stunden in der Woche arbeiten würden. Das Problem der Arbeitnehmer, so Keynes damals, werde bei drei Stunden täglicher Arbeitszeit eher sein, ihre dann im Übermaß vorhandene Freizeit zu gestalten.

Keynes hatte sich kräftig verschätzt. An die 1700 Stunden im Jahr arbeiten jene Österreicher, die Arbeit haben - die Arbeitslosigkeit jedoch ist so hoch wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Fast eine halbe Million Menschen suchen Arbeit, gleichzeitig waren noch nie so viele Menschen in Beschäftigung. Trotz einer stetig steigenden Produktivität ist die Arbeitszeit in den letzten 30 Jahren gleich geblieben, argumentiert der Soziologe Jörg Flecker. Die Produktivitätssteigerung würde aber eine Umverteilung der Arbeit nicht nur möglich, sondern auch notwendig machen, ist Flecker überzeugt. Automatisierung und Digitalisierung würden den Steigerungstrend der Produktivität fortsetzen, die Verkürzung der Arbeitszeit sei notwendig, um so mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. So argumentiert seit Jahren auch die Gewerkschaft.

In der Tat ging die steigende Produktivität seit der ersten industriellen Revolution mit einer stetigen Reduktion der Arbeitszeit einher (siehe Grafik). Im Unterschied zu andern Ländern, etwa Großbritannien oder den USA, führte die hohe Produktivität hierzulande eher zu kürzerer Arbeitszeit als zu höheren Löhnen. Wieso aber stagniert nun die Arbeitszeit, und würde eine Reduktion tatsächlich zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit führen?

Alles eine Frage der Betrachtung, sagt Helmut Hofer, Ökonom am Institut für höhere Studie (IHS). "Die vertragliche Arbeitszeit ist zwar gleich geblieben, die tatsächlich realisierte Arbeitszeit pro Beschäftigten ist jedoch sehr wohl stark zurückgegangen." Grund dafür ist laut Hofer vor allem die markante Zunahme von Teilzeitbeschäftigung, vor allem am Dienstleistungssektor.

Der These, eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit würde der steigenden Arbeitslosigkeit entgegenwirken, fuße auf einer falschen Grundannahme: Man könne eben nicht davon ausgehen, dass es eine fixe Menge an Arbeitsstunden gibt, die es auf die Dienstnehmer zu verteilen gilt. Gerade die Tatsache, dass der industrielle Sektor nur mehr einen kleinen Teil der Produktivität ausmache und der Dienstleistungssektor stetig wachse, mache die Maßnahme Arbeitszeitverkürzung wirkungslos. Personalintensive Branchen im Dienstleistungssektor, vor allem im Gesundheitsbereich, dem Handel oder in der Gastronomie würde eine Arbeitszeitverkürzung hart treffen. Die hochautomatisierte Industrie hätte das Problem nicht, mache aber eben nur mehr einen Teil der Produktivität aus. Dem widerspricht auch Soziologe Flecker nicht. Er schlägt vor, die Last zwischen Dienstleistungs- und Produktionssektor umzuverteilen: Der Faktor Arbeit solle durch niedrigere Sozialversicherungsbeiträge entlastet und durch eine Wertschöpfungsabgabe ersetzt werden.

Privatleben wird wichtiger

Von einer fixen Arbeitsmenge auszugehen, die es zu verteilen gilt, hält auch Peter Rosner, Ökonom an der Universität Wien, für falsch. Obwohl die vertragliche Arbeitszeit gleich geblieben ist, würden wir, auf eine Lebensspanne gerechnet, in Summe trotzdem weniger arbeiten. "Aufgrund längerer Ausbildungszeiten steigen wir viel später ins Erwerbsleben ein und gehen sogar früher in Pension als etwa in den 70er Jahren. Vor allem aber leben wir länger." Auch Rosner sieht im wachsenden Dienstleistungsbereich den Hauptgrund, wieso eine Arbeitszeitverkürzung schwierig umzusetzen wäre. In den 50er und 60er Jahren, als die Industrie von entscheidender Bedeutung für den Produktivitätszuwachs war, hätte eine Reduktion der Arbeitszeit auch Sinn gemacht. "Wie aber misst man die Produktivität von Polizisten, Ärzten und Pflegern oder Lehrern?" Bei entsprechenden Arbeitsplätzen im öffentlichen Bereich würden mehr Arbeitsplätze automatisch zu höheren Steuern führen. Wie aber wird sich die Arbeitszeit in Zukunft entwickeln?

Was John Maynard Keynes bei seiner Prognose vergessen habe, sei die Tatsache, dass mit der Produktivität auch der Lebensstandard und damit die Konsummöglichkeiten der Dienstnehmer mitgewachsen seien, argumentiert IHS-Ökonom Hofer. Würde heute ein Lebensstandard wie in den 30er Jahren ausreichen, hätte Keynes mit seiner Prognose recht behalten. Er verweist auf die Tatsache, dass durch die technologische Revolution neue Branchen entstehen, sowie aufgrund der Globalisierung auch neue Absatzmärkte gefunden werden. Standardisierte Jobs, auf die sich die Befürworter einer Arbeitszeitverkürzung beziehen, würden ohnehin in Zukunft immer weniger werden.

Der Trend gehe stark in Richtung flexiblere Arbeitsverhältnisse, die Zahl der Selbständigen und Freiberufler nehme stetig zu. Auch Männer würden in Zukunft stärker zur Teilzeit tendieren, es finde eine Umschichtung der Interessen auf den privaten Lebensbereich statt. Implizit würde dies also sehr wohl eine Arbeitszeitverkürzung bedeuten. Spätestens dann stelle sich laut Hofer allerdings die Verteilungsfrage. Es ist wie im Witz über den Autoproduzenten Henry Ford. Dieser führte einst einen Gewerkschafter durch die Produktionshalle: "Statt 100 Arbeitern brauchen wir in 20 Jahren nur mehr einen, um dieses Modell zu fertigen." Darauf der Gewerkschaftler: "Fein, aber wer soll dann das Auto kaufen?"

Serie: Neue Arbeitswelt