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Neue Lage: triste Tage

Von Werner Reisinger und Jan Michael Marchart

Politik

Das Heer sei "demontiert und mutwillig zerstört" worden, kritisiert der Milizverband und fordert Übungen für Grundwehrdiener.


Wien. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass - so ähnlich könnte man die aktuelle Diskussion um das österreichische Bundesheer, oder das, was von ihm noch übrig ist, beschreiben. Einerseits ein seit Jahren andauernder Sparkurs, andererseits ein steigender Bedarf an Soldaten für das Grenzmanagement, das das Bundesheer gemeinsam mit dem Innenministerium zu stemmen hat. Am Montag meldete sich der Milizverband zu Wort und forderte einen Kurswechsel. Das Bundesheer sei "demontiert und mutwillig zerstört" worden, kritisierte Michael Schaffer, Präsident des Milizverbandes, die Führung der Streitkräfte der letzten Jahre.

Die Bevölkerung habe jegliches Vertrauen in die Sicherheitspolitik verloren. Die Forderung der Milizionäre: Grundwehrdiener sollen künftig nach Ableistung ihres sechsmonatigen Dienstes wieder Übungen absolvieren müssen, wie das - zumindest optional - vor der Wehrdienstzeitverkürzung 2006 der Fall war. Für Schaffer sind verschiedene Modelle vorstellbar, sechs plus zwei Monate, fünf plus ein oder vier plus zwei Monate. Grundwehrdiener sechs Monate auszubilden und dann nicht einzusetzen, sei völlig sinnlos, so Schaffer. Ein weiterer Kritikpunkt des Milizverbandes ist die "generalstabsmäßige Aushöhlung" der Miliz. Die Grenzsicherung sei für diese überhaupt kein Problem, wenn es sie denn gäbe, sagte Schaffer vor Journalisten.

Internationaler Fokus?

Vollstes Verständnis für diese Position hat auch Erich Cibulka, Präsident der österreichischen Offiziersgesellschaft. Auch aus seiner Sicht ist das System "Sechs plus Null" sinnlos. Rein in Ausbildung zu investieren und die personellen Ressourcen dann nicht einzusetzen hält er für den größten verteidigungspolitischen Fehler der letzten Jahre. Ob der Allgemeinheit die Fähigkeiten der im Grundwehrdienst ausgebildeten Soldaten weiter zur Verfügung stehen, hänge zurzeit von deren freiwilliger Meldung zur Miliz ab, so Cibulka.

Aktuelle Zahlen würden jedoch belegen, dass altersbedingte Abgänge aus der Miliz durch freiwillige Neuzugänge nicht aufgewogen werden können. Cibulka verweist im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zudem auf § 21 Absatz 3 des Wehrgesetzes, wonach bis zu 12 Prozent eines Grundwehrdiener-Jahrgangs zum Eintritt in die Miliz verpflichtet werden können, wenn sich nicht genug Freiwillige für ebendiese melden. "Seit den Tagen der Minister Platter, Darabos und zuletzt Klug ist diese Bestimmung totes Recht und kommt nicht zur Anwendung", kritisiert der Präsident der Offiziersgesellschaft.

Hat sich die Verteidigungspolitik der letzten Jahre zu sehr auf internationale Einsätze konzentriert und mögliche Herausforderungen im Inland und an den Grenzen falsch eingeschätzt? Ja, meint der oberste Bundesheer-Gewerkschaftler Wilhelm Waldner (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, GÖD). "Quer durch alle Parteien gibt es seit 2010 die Annahme, dass es im Inland für das Bundesheer keine echte Aufgabe mehr gibt. Man hat deshalb begonnen, massiv einzusparen und das gesamte System herunterzufahren", so Waldner. Man sei bezüglich Bedrohungsszenarien im Inland oder an den Grenzen von einer "Vorwarnfrist" von bis zu zehn Jahren ausgegangen - genug Zeit, um das System wieder hochzufahren, hätten die damals Verantwortlichen gedacht. "Die Flüchtlingssituation hat die Politik nun eines Besseren belehrt", so Waldner.

Dabei hätten die sicherheitspolitischen Vorgaben des damaligen Ministers Klug aus dem Juli 2013 gleichermaßen auf das Inland wie auf das Ausland abgezielt und auch eine entsprechende Sicherung des Milizsystems festgeschrieben. Dem Konzept zufolge sollten im Ernstfall bis zu 55.000 Soldaten zum Einsatz bereitstehen. Dem stimmt auch Erich Cibulka zu: "Die Politik der permanenten Kürzungen führte zu einer Schwerpunktbildung." Und dieser Schwerpunkt liegt seitdem offenbar zusehendes bei den internationalen Einsätzen.

Der Sparkurs im Bundesheer der letzten Jahre wurde auch von Ex-Verteidigungsminister Klug fortgesetzt, 2014 ein weiteres Sparpaket beschlossen. Angesichts der Situation an den Grenzen mit tausenden einreisewilligen Flüchtlingen und nach den Terroranschlägen in Paris verständigten sich alle im Parlament vertretenen Parteien Ende November letzten Jahres auf einen Entschließungsantrag: Klug möge das Sparpaket überdenken und evaluieren, ob dieses angesichts der veränderten Bedrohungslage nicht geändert werden müsse. "Klug sah darin eine Fehleinschätzung des Parlaments und beschönigte die Situation", so Cibulka. Der neue Minister Hans Peter Doskozil gestehe wenigstens ein, dass es mehr Geld für das Bundesheer brauche. Ob nun wirklich etwas in Bewegung komme, hänge davon ab, ob Doskozil sich auch durchsetzen könne, allen voran bei ÖVP-Finanzminister Schelling. Die Gefahr, dass es sich nur um ein bewusstes Signal an die verunsicherte Bevölkerung handle, sei jedenfalls gegeben. "Die Frage ist: Hat Doskozil die Unterstützung der entscheidenden Stellen, oder muss er dem Volk eine Beruhigungspille verabreichen?"

Bald Vollbetrieb in Spielfeld

Hinsichtlich der zu erwartenden Herausforderungen an der Grenze kann sich Cibulka auch eine intensivere Verwendung von Grundwehrdienern vorstellen. Laut dem Konzeptpapier für die Wehrdienstreform vom Frühling 2013 sei es möglich, Grundwehrdiener bereits nach dem vierten Ausbildungsmonat zu sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsätzen heranzuziehen: "Vielleicht nicht in den schwierigsten Situationen, sollten wieder Tausende vor der Grenze stehen, aber durchaus zu Sicherungsmaßnahmen und bei der Abwicklung."

Noch im Laufe der Woche soll in Spielfeld der Vollbetrieb des Grenzmanagments anlaufen. Dann sollen vorerst keine Migranten mehr von Slowenien über Kärnten nach Österreich einreisen, sondern nur mehr über die Südsteiermark, wodurch sich dort die Anzahl der ankommenden Flüchtlinge kumulieren soll. Etwa 2500 Menschen werden laut dem Sprecher der steirischen Landespolizeidirektion Fritz Grundnig täglich die Grenze passieren - vorausgesetzt das Innenministerium beschränkt die Ankünfte nicht auf eine niedrigere tägliche Obergrenze, so der Sprecher.

Bis das "Grenzmanagement" am Karawankentunnel einsatzbereit ist, wird es noch länger dauern, heißt es bei der Kärntner Polizei. Für den Übergang zwischen Slowenien und Kärnten werde es gröbere Umbauten brauchen. Das Beispiel Spielfeld könnte aber noch auf weitere Standorte ausgedehnt werden. Hierzu prüft das Innenministerium gerade verschiedene Szenarien. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) verwies am Wochenende darauf, dass vor allem Fragen der Topografie von Experten geprüft werden müssten. Eine Option dürfte der Brenner sein, was der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) bereits begrüßt hat.