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"Schwarzmalerei ist unangebracht"

Von Brigitte Pechar

Politik

Pensionsexperte mahnt Anpassungen für die Zukunft ein, den Jungen aber versichert er: Auch sie werden eine Pension bekommen.


Wien. Die Österreicher flüchten so schnell sie können in den Ruhestand. Erleichtert wird das durch viele Schlupflöcher in den vorzeitigen Ruhestand. Zwar dürfen Frauen erst mit 60, Männer mit 65 Jahren - bei den Beamten gilt für beide Geschlechter 65 Jahre - in Pension gehen. Aber die Schwerarbeiterpension, die Korridorpension, die Pension wegen Langzeitversicherung (Hacklerregelung), die Altersteilzeit, die teilweise noch immer geblockt konsumiert werden darf, schaffen Möglichkeiten, das Arbeitsleben gegen die vermeintliche arbeitsfreie Welt, in der Milch und Honig fließen, zu tauschen. Zumal man in Österreich von einem späteren Wechsel in den Ruhestand nicht profitiert. Jeder Monat, der länger gearbeitet wird, ist eine Spende an die Sozialversicherung.

Der schwierige Arbeitsmarkt trägt dazu noch bei. Denn wenn es darum geht, den Mitarbeiterstand zu reduzieren, versuchen Arbeitgeber zumeist, sich zuerst von Mitarbeitern zu trennen, die in Pension gehen können. Das tun sie auch, um den sozialen Frieden in ihrem Betrieb nicht zu gefährden. Mit einer Pensionslösung können alle gut leben.

Arbeitsdruck steigt

Diese Art der Arbeitskräftefreisetzung ist nicht neu. Sie wurde schon in den 1970er Jahren begonnen, als die Vollbeschäftigung noch hochgehalten wurde und eine Arbeitslosenquote von einem Prozent bereits allseits Kopfzerbrechen hervorrief. Gemessen an den zehn Prozent von heute eine völlig vernachlässigbare Größe. Auch deshalb, weil viele Unternehmen Mitarbeiter im Betrieb gehalten haben, die ihren Aufgaben nicht gerecht wurden. Heute ist der internationale Druck so groß, dass überall rationalisiert wird und Mitarbeiter nicht mehr mitgeschleppt werden. Das erkläre noch nicht die Differenz zwischen einem und zehn Prozent Arbeitslosigkeit, mache aber einen Teil davon aus, sagt der Ökonom Ulrich Schuh vom industrienahen Forschungsinstitut Eco Austria.

Um also die Arbeitslosenzahlen gering zu halten, suchte man in den 10er Jahren nach Programmen, um den vorzeitigen Ruhestand attraktiv zu machen. Es gab wenige ältere Arbeitnehmer, aber sehr viele Junge, die auf den Arbeitsmarkt drängten. Das Problem ist: Jetzt kommen die vielen Babyboomer ins Pensionsalter oder in dessen Nähe und können die Anreize für den früheren Ruhestand nützen.

Der Weg der kleinen Schritte

Andere Länder wie die Niederlande, sagt Pensionsexperte Schuh, hätten darauf schon in den 1990er Jahren reagiert und den Zugang zum Beispiel zur Invaliditätspension erschwert. "In Österreich konnte man sich das noch leisten, deshalb hat man sich hierzulande sehr lang Zeit gelassen mit Eingriffen in das Pensionssystem", sagt Schuh. Auch Bert Rürup, der nicht nur die deutsche, sondern auch die österreichische Bundesregierung in Pensionsfragen beriet und berät, sagte vor einiger Zeit in einer Diskussionsveranstaltung: Österreich gehe es noch immer zu gut, um große Einschnitte im Pensionssystem setzen zu müssen. Der Weg der kleinen Schritte sei durchaus sinnvoll.

Damit liegt das SPD-Mitglied Rürup, das in Österreich allerdings stets von ÖVP-Seite zu Rate gezogen wurde - er war in der Pensionsreformgruppe während der Kanzlerschaft von Wolfgang Schüssel und berät jetzt Finanzminister Hans Jörg Schelling - ganz auf Linie der SPÖ. Der nunmehrige Präsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer hat als Sozialminister die Politik der kleinen Schritte im Pensionsbereich bevorzugt - und auch sein Nachfolger Alois Stöger will eher an kleinen Rädchen drehen. Stöger und Schelling wurden unterdessen von Bundeskanzler Werner Faymann beauftragt, für den 29. Februar ein gemeinsames Papier zu den Pensionen vorzubereiten.

ÖVP drängt

Hauptverantwortlich für die derzeitige Debatte ist die ÖVP, die darauf drängt, das Pensionsantrittsalter an die steigende Lebenserwartung anzugleichen - und zwar automatisch. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter wird in Österreich nur von wenigen im Job erreicht. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter lag laut Sozialministerium zwar Ende Dezember 2015 bei 61,6 Jahren, allerdings sind darin die ungefähr 18.500 Rehabilitationsgeld-Bezieher nicht enthalten. Die Herausrechnung dieser Personen ist ein Streitpunkt zwischen ÖVP und SPÖ. Das Reha-Geld ersetzt die Invaliditätspension für unter 50-Jährige, am häufigsten wird es wegen psychischer Erkrankungen (Burn-out) gewährt. Eigentlich soll versucht werden, diese Personen durch verschiedene Module (Gesundheitsstraße, fit2work, Umschulungen) wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Das gelingt allerdings nur bei 40 Prozent.

Teilweise können die psychischen Erkrankungen durch den steigenden Druck auf die Arbeitnehmer erklärt werden. Schuh glaubt nicht, dass durch die Digitalisierung der Arbeitswelt - Stichwort Industrie 4.0 - die Arbeit ausgehen wird. Es werde sich aber die Produktion verändern. Während bisher Produkte für alle gleich gefertigt wurden, fertige die Industrie nun abgestimmt auf Kundenwünsche: "Massenproduktion auf dem Niveau des Handwerks."

Hackeln zwischen 25 und 50

Warum ab 50 die gesundheitliche Anfälligkeit der Arbeitnehmer steigt, erklärt Schuh auch damit, dass die Menschen im Hinterkopf haben, sie müssten zwischen dem 25. und dem 50. Lebensjahr sehr viel und intensiv arbeiten, dann habe man es geschafft: "Wenn die Betroffenen wüssten, dass sie bis 65 oder länger durchhalten müssen, würden sie vorher gegen allzu großen Arbeitsdruck auf die Bremse steigen." Das könnte dann auch die vorzeitige Erschöpfung verhindern.

Tatsache ist, dass von der OECD bis hin zur EU-Kommission und zahlreichen Experten Österreich empfehlen, an der Pensionsschraube zu drehen - und da scheint die Erhöhung des Pensionsalters das gelindeste Instrument. Denn eine geringere Pensionshöhe oder noch höhere Sozialversicherungsbeiträge mag sich niemand so recht vorstellen. Alleine eine Verlängerung der Arbeitsphase aller Pensionsanwärter um zwei Wochen, würde das Budget um 50 Millionen Euro entlasten.

22 Jahre in Pension

Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt derzeit laut OECD, der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung, bei 85,6 Jahren für Frauen und 82,2 Jahren für Männer. Das effektive Arbeitsmarkt-Ausstiegsalter (Stand 2014) der Frauen in Österreich ist 60,2 Jahre, daraus ergibt sich die erwartete Rentendauer von 25,4 Jahren. Männer, deren Berufsausstieg mit 62,2 Jahren erfolgt, sind 19,9 Jahre in Pension - gemeinsam kommen die Geschlechter auf durchschnittlich 22 Pensionsjahre. Länger in Pension sind Männer nur in Frankreich (23), Italien und Belgien (je 21,1), Griechenland (20,5), Spanien (20,4) und Finnland (20,0). Im OECD-Schnitt können Männer mit nur 17,6 Jahren im Ruhestand rechnen, Frauen mit 22,3. Das Antrittsalter der Männer liegt im Schnitt bei 64,2 Jahren, bei Frauen sind es 63,1 Jahre.

2060 wird laut Prognose der Statistik Austria ein Mann durchschnittlich 87,3 Jahre alt werden, eine Frau 90,6 Jahre, wodurch sich die Zeit in Pension weiter erhöht, wenn nicht gleichzeitig das Pensionsantrittsalter angehoben wird. "Das Pensionsalter müsste in kleinen Schritten nach oben wandern, damit das aktive Alter zum Ruhestand in etwa gleich bleibt", rät Schuh.

Aber führt ein höheres Pensionsalter nicht zu höherer Arbeitslosigkeit gerade auch bei Älteren? "Nein", sagt Schuh. Die Arbeitssituation Alterer in Österreich sei gut, ihre Arbeitslosenquote liege unter dem Durchschnitt. Das sei übrigens in ganz Europa so. "Wir haben ein Plus von 40.000 bis 50.000 Beschäftigten im Alter über 50. Diese tragen das Beschäftigungswachstum", sagt Schuh. Daher würde ein höheres Pensionsantrittsalter die Arbeitslosigkeit dieser Gruppe nicht ansteigen lassen.

Bundeszuschuss gesunken

Zuletzt kam von unverdächtiger Stelle, nämlich vom Finanzministerium Entwarnung. Der Bundeszuschuss zu den ASVG-Pensionen betrug im Vorjahr 10,7 Milliarden Euro und lag damit um 506 Millionen Euro unter der Budgetprognose, aber auch 230 Millionen Euro unter dem Zuschuss von 2014.

Karl Blecha, Präsident des SPÖ-Pensionistenverbandes, wird nicht müde zu erklären, dass der Bundeszuschuss dem ASVG-Pensionssystem immanent sei. "Ein Drittel tragen die Arbeitgeber bei, ein Drittel die Arbeitnehmer und höchstens ein Drittel der Bund." Das sei die Formel, die den ASVG-Pensionen zugrunde liege. Und von einem 33-prozentigen Bundeszuschuss zu den ASVG-Pensionen sei man noch weit entfernt, so Blecha. Derzeit betrage dieser rund 20 Prozent.

Laut Sozialministerium betrug der Bundeszuschuss zu allen Pensionen - inklusive Beamten, Bauern und Gewerbetreibenden - 6,03 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP), bis 2035 sollen die Staatszuschüsse auf einen Höchstwert von 6,7 Prozent ansteigen und dann bis 2060 wieder auf 6,36 Prozent sinken. Dies liegt auch daran, dass die Zahl der Beamten sinkt und die öffentlich Bediensteten Schritt für Schritt in die gesetzliche Pensionsversicherung integriert werden (Pensionsharmonisierung 2004). Deren Ausgaben werden damit langfristig deutlich sinken - behauptet jedenfalls das Sozialministerium.

20 Prozent weniger für Junge

Tatsächlich wurden die Pensionsleistungen ab Inkrafttreten des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes 1956 bis 1985 nur ausgebaut, ab 1985 gab es einige kleinere Einschränkungen (so wurde etwa der Durchrechnungszeitraum verlängert), aber es gab weiterhin Verbesserungen. Erst ab 2000 drängte der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) auf eine Pensionsreform - und setzte sie schließlich gegen großen Widerstand aus der Gewerkschaft und gegen Massendemonstrationen durch. 2004 trat diese Pensionsreform in Kraft, seit 2014 gilt das Pensionskonto. Alle Versicherungszeiten bis 31. Dezember 2013 wurden in einer Erstgutschrift auf ein Konto gestellt, ab 1. Jänner 2014 wird die Abrechnung nur noch über das Konto weitergeführt.

Wesentlich ist dabei, dass die Altersjahrgänge ab 1990 eine volle Durchrechnung der Pensionsbeiträge haben. Das führt dazu, dass deren Pensionen um 20 Prozent niedriger sein werden, und bringt eine Entlastung für die Zukunft.

Auswirkungen hat auch die fast endgültige Abschaffung der Pension aufgrund langer Versicherungszeiten, der sogenannten Hacklerregelung. Diese wurde ebenfalls unter Schüssel eingeführt, um das Aus für die Frühpensionen abzufedern. Tatsächlich sollte diese Hacklerregelung auslaufen, stattdessen wurde sie in der berühmt-berüchtigten Nationalratssitzung vor der Wahl 2008 verlängert und noch dazu verbesser (so wurden etwa Arbeitslosigkeitszeiten angerechnet). "Hätten wir diese ominösen Beschlüsse nicht gehabt, hätten wir jetzt kein Problem", sagt Schuh.

Teilzeit mindert Pension

Das ist inzwischen korrigiert. Die Zahlen zeigen deutliche Erfolge: 2014 gab es noch 17.547 Neuzugängen in der Hacklerregelung, im Vorjahr waren es nur noch 9372 Neuzugänge. Deutliche Anstiege werden in den kommenden Jahren hingegen noch bei der Korridorpension, der Nachfolgerin der klassischen Frühpension, erwartet. Dafür muss man 62 Jahre alt sein und Versicherungszeiten von 474 Monate (39,5 Jahre) - ab 2017 gelten 480 Monate (40 Jahre) - vorweisen.

Die hohe Beschäftigung - die natürlich gleichzeitig positiv wirkt - könnte auch zu einem Problem werden, weil ein erklecklicher Anteil der Arbeitskräfte in Teilzeit arbeitet. Ein Jahr Teilzeit vermindert die Pensionshöhe aber um ein Prozent, ein Jahr Unterbrechung kostet in der Pension zwei Prozent. Das kann hohe Pensionsausgleichszahlungen verursachen. In anderen Ländern sind diese Ausgleichszahlungen und Zuschüsse nicht Teil des Pensionssystems, sondern des sonstigen Sozialsystems.

Bis 2030 kein Handlungsbedarf

Grundsätzlich, analysiert Schuh, "kommen wir mit dem Pensionssystem, das wir jetzt haben, die nächsten 20 Jahre, sicher aber bis 2030, aus. Wir haben kein massives Ausgabenproblem." Dass beim Pensionssystem "der Hut nicht brennt", beweise auch der Budgetabschluss des Bundes.

Man sollte aber das Pensionssystem gerechter gestalten, sagt der Ökonom. Von dem Pensionsreformtreffen der Regierung am 29. Februar sei angesichts der positiven Entwicklung nur ein Kompromiss für die Zukunft zu erwarten - etwa in der Art, dass die Lebenserwartung beim Pensionsantrittsalter berücksichtigt wird oder beim Reha-Geld nachjustiert wird.

Aber man sollte den 40-Jährigen schon heute sagen, was sie erwartet, sagt Schuh, und an einem fairen, zukunftstauglichen Modell arbeiten. Gleichzeitig warnt er vor Schwarzmalerei. So viel sei sicher: "Auch die Jungen werden eine Pension bekommen."