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Kampf der Medaillenkehrseite

Von Simon Rosner

Politik

Österreich versucht Nachteile der Arbeitsmarktöffnung zu bekämpfen, neues Lohndumping-Gesetz könnte Haftung von Bauherren bei Sozialmissbrauch festschreiben.


Wien. Es gibt sie nach wie vor nicht, die eierlegende Wollmilchsau, und das gilt auch für ihr politisches Äquivalent: eine EU, von der jeder Einzelne in jeder Lebenslage ausschließlich profitiert. Bedauerlicherweise gibt es auch die andere Seite, die Seite gewisser Nachteile, und sie steht gegenwärtig im Mittelpunkt europäischer wie innenpolitischer Streitigkeiten.

So verhält es sich zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage mit der Forderung von Österreich und Deutschland nach Solidarität in Richtung jener EU-Länder, die ihrerseits wiederum auf Solidarität bei der Vergabe von Regionalförderungen pochen. Aber auch in der Innenpolitik ist mittlerweile eine Debatte über gewisse Nachteile von europäischen Freizügigkeitsregelungen ausgebrochen. Das Narrativ von Österreich als größtem Profiteur der EU-Osterweiterung ist derzeit jedenfalls weniger zu hören. Stattdessen hallt der Ruf nach Veränderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und nach Einschränkungen der Entsenderrichtlinien, die es Betrieben erleichtern, Arbeitskräfte in andere Ländern zu schicken.

Umsetzung von Richtlinie

Kanzler Werner Faymann sprach sich am Dienstag zum wiederholten Mal für eine Verschärfung dieser Richtlinie aus, um den österreichischen Arbeitmarkt vor jenen Beschäftigten zu schützen, die ihre Arbeitskraft deutlich unter dem heimsichen Lohnniveau anbieten. Das würde die Arbeitslosigkeit in Österreich erhöhen. Das ist aber eben nur die eine Seite. Die andere Seite ist, dass nicht nur heimische Auftraggeber durch günstige Arbeitskräfte auch profitieren, sondern natürlich auch die Arbeitnehmer aus jenen Ländern, die nach Österreich entsandt werden. Sie verdienen hier mehr als daheim, was wiederum den Konsum in diesen Ländern befördert.

Dass die Unterschiede bei Einkommen und Sozialstandards mitunter jedoch zu Ausbeutungen auf dem Arbeitsmarkt führen, ist längst auch der EU-Kommission bekannt. Im Vorjahr hat sie aus diesem Grund eine Durchsetzungsrichtlinie für die Entsendung von Arbeitskräften beschlossen, in die auch ein heikler Punkt geschrieben wurde: die Haftung des Auftragsgebers bei Bauaufträgen für die Einhaltung von Arbeits- und Sozialgesetzen. Österreich muss diese Richtlinie bis zum 18. Juni 2016 umsetzen.

Warum diese Haftung nur die Baubranche betrifft, erklärt die Kommission mit Studien und Berichten, die eine Häufung von Missbrauch in diesem Segment zeigen würde. "Es gibt Hinweise darauf, dass entsandte Arbeitskräfte ausgebeutet werden und das ihnen zustehende Entgelt nur zum Teil oder gar nicht erhalten. Es gab auch Fälle, in denen entsandte Arbeitskräfte ihre Entgeltforderungen gegenüber dem Arbeitgeber nicht durchsetzen konnten, weil das Unternehmen nicht mehr existierte oder nie wirklich existiert hatte", heißt es von der EU-Kommission.

Zahlen, etwa Verurteilungen nach entsprechenden Arbeitsgesetzen, gibt es in Österreich kaum. Im Vorjahr wurden jedenfalls fast 30.000 Betriebe, nicht nur aus der Baubranche, kontrolliert. Daraus resultierten 9709 Strafanträge wegen Verstößen gegen Beschäftigungsvorschriften.

Noch sind die Verhandlungen im Laufen, Sozialminister Alois Stöger kündigte aber am Dienstag bereits an, dass ein Entwurf für ein neues Lohn- und Sozialdumpinggesetz kurz vor der Begutachtung stehen würde.

Haftung für Bauherren

Darin wird unter anderem stehen, dass Verwaltungsstrafen künftig auch im Ausland vollstreckt werden können. Wenn etwa ein ungarisches Unternehmen, dessen Arbeitnehmer in Österreich gearbeitet haben, gegen österreichische Gesetze verstößt, können Bußgelder auch in Ungarn eingezogen werden.

Ein heikler Punkt, der ebenfalls von der EU-Richtlinie gefordert wird, ist die Haftung eines Bauherren beziehungsweise einer Baufirma, die Arbeiten an ausländische Subunternehmen vergibt. In der Baubranche stößt dies auf große Vorbehalte, um es vorsichtig auszudrücken. Ein Insider aus der Branche sagt: "Wie soll man als Privater in die Bücher einer ausländischen Firma hineinschauen? Das muss eine Sache der Exekutive sein und darf nicht als Haftung auf Private abgewälzt werden."

Ein Beispiel: Eine heimische Baufirma vergibt Dachdeckerarbeiten an ein slowakisches Subunternehmen und hält sich auch an den kollektivvertraglich festgelegten Mindestlohn. Bis dahin ist somit alles korrekt. Daheim zieht die Subfirma seinen Arbeitnehmern aber noch etwas vom Lohn ab, womit im Fall einer Klage der Auftraggeber haften würde. Er könnte die Haftung zwar in Form einer Gewährleistungsvereinbarung an seinen Subunternehmer weiterreichen, doch wenn es sich um eine betrügerische Subfirma handelt, ist dieser Anspruch eher hinfällig.

Auch für die Häuslbauer könnte sich durch die Novelle etwas ändern, was vor allem das Baunebengewerbe betrifft. Wer etwa die Asphaltierung der Garageneinfahrt, den Einbau eines Balkons oder die Reparatur eines Daches beauftragt, etwa über ein Versteigerungsportal für derartige Tätigkeiten, könnte künftig haftbar gemacht werden, wenn sich die beauftragte (ausländische) Firma nicht an österreichische Gesetze hält. "Die Haftung", schreibt die EU-Kommission, "wirkt abschreckend, da sie für Auftragnehmer ein starker Anreiz ist, Subunternehmen sorgfältiger auszusuchen und zu überprüfen."