
Wien. Zdravko hat es eilig. Es ist drei Minuten vor 12 Uhr und um Punkt 12 steht das Mittagessen auf dem Tisch. Zdravko will nicht zu spät kommen. Die Pünktlichkeit hat sich der 18-Jährige erst mühsam erarbeitet, darauf zu verzichten ist für ihn keine Option.
Zdravko ist einer von 65 Jugendlichen, die derzeit in der "Produktionsschule Volkshilfe Beschäftigung Jobfabrik", wie die Einrichtung im 15. Wiener Gemeindebezirk offiziell heißt, auf das Leben vorbereitet werden. "Unser Ziel ist es, die Jugendlichen ausbildungsfit zu machen", sagt Katrin Neumann, stellvertretende Leiterin des Projekts. Ihre Klientel sind "ausgrenzungsgefährdete Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Beruf" ab 15 bis höchstens 24 Jahren. Manche von ihnen haben einen Migrationshintergrund, manche soziale oder emotionale Defizite, manchmal kommen Jugendliche direkt über die Bewährungshilfe hierher. Die meisten haben keinen Schulabschluss oder wegen schlechter Noten keine Lehrstelle gefunden. Kurz: Es sind Menschen, die von Anfang an keine große Chance im Leben hatten. Auch weil sie von zu Hause aus oft keinerlei Unterstützung erfahren.
Die Jobfabrik gibt ihnen eine Chance - und ersetzt oft das Zuhause. Das Mittagessen, das die Jugendlichen selbst zubereiten und mit dem sie auch die anderen Betriebe im Haus versorgen, ist für viele die erste Mahlzeit am Tag. Manche müssen erst lernen, die Uhr zu lesen oder eine Schürze zu binden. "Wir sind Mama und Papa für die Jugendlichen" erzählt der Trainer der Catering-Gruppe, Andreas Ruzicka. "Natürlich können wir hier nicht in einem Jahr das aufholen, was das Schulsystem in neun Jahren nicht schafft", meint er. Aber es sind die kleinen Erfolge, die den Jugendlichen helfen, selbstbewusster zu werden und wieder an sich und ihre Fähigkeiten zu glauben. "Ich freue mich über jeden Jugendlichen, der zu spät kommt - Hauptsache, er kommt", sagt Ruzicka. Denn viele der Klienten waren vor der Jobfabrik eine Zeit lang zu Hause, haben sich den geregelten Tagesablauf abgewöhnt. Manche von ihnen wurden von den Eltern aus der Wohnung geworfen, andere haben nebenbei Betreuungspflichten: "Für einen Jugendlichen, dessen Eltern arbeitslos sind oder Invaliditätspension beziehen, der vielleicht noch seine Schwester in die Schule bringen muss, ist das eine Wahnsinnsleistung, dass er es noch hierher schafft", betont Neumann.
Und mit der Zeit gelingt es Vielen, wieder pünktlich zu sein. Wobei: Frontalunterricht wie er in der Schule schon versagt hat, gibt es hier nicht. In der Werkstatt bauen Milos und seine Kollegen gerade eine Bar aus Paletten, eine Tür weiter, in der Gärtnerei, werden Dekornester für den Ostermarkt gefertigt. Die Auftraggeber der Jobfabrik sind echt - etwa die Gärtnereien Wien oder auch private Unternehmen. In der Großküche bereiten Zdravko, Vanessa und ihre Kollegen unter Ruzickas prüfendem Blick das Essen zu.
An der Wand hängen die Stundenpläne für jeden einzelnen. Neben den Berufsfeldern, an denen sich die Jugendlichen ausprobieren können, und der Wissenswerkstatt, wo sie praxisnah Defizite in Deutsch oder Mathematik ausbügeln können, werden die Jugendlichen auch gecoacht. Sie erhalten Hilfe beim Verfassen von Bewerbungen und dürfen Berufserprobungen, also Schnuppertage bei Firmen, absolvieren. Mit etwas Glück werden die Jugendlichen in eine Lehre übernommen.
Kooperation mit Firmen als einzige Chance

Die enge Kooperation mit Unternehmen ist dafür die einzige Chance, denn aus den Bewerbungsunterlagen und Lebensläufen der Jugendlichen geht meist nicht hervor, dass sie dazu in der Lage sein könnten, eine Lehre zu machen. Der 16-jährige Milos hat keinen Abschluss. "Es war mir nicht langweilig in der Schule, ich war einfach ein bisschen anders. Ich konnte mich nicht benehmen, mich nicht zusammenreißen", erzählt er. Nachsatz: "Aber als ich das gecheckt habe, war es schon zu spät." Milos hofft, im Herbst eine Lehrstelle als KFZ-Techniker zu bekommen. Laut Neumann hat er gute Chancen dafür. "Milos ist jeden Tag da, war noch nie krank, ist motiviert, ich kann ihm vertrauen. Für ihn kann ich meine Hand ins Feuer legen. Wegen des fehlenden Pflichtschulabschlusses würde er woanders aber nicht einmal einen Termin für ein Gespräch bekommen", sagt sie.
Wären Jugendliche wie Zdravko oder Milos nicht in der Produktionsschule, sie würden Mindestsicherung beziehen. So erwirtschaften sie sich ein Taschengeld selbst - und haben die Chance, auf eigenen Beinen zu stehen.
Mehr als 1200 Jugendliche in Österreich waren 2014 in einer Produktionsschule, die Kosten dafür beliefen sich auf 13,3 Millionen Euro. Ganz billig ist die Maßnahme also nicht. Aber "bevor ein Jugendlicher manifest langzeitarbeitslos ist, was die Gesellschaft viel Geld kostet, steigt man volkswirtschaftlich besser aus, wenn man jetzt Geld in die Ausbildung steckt", sagt Gerda Challupner, Leiterin des Wiener Arbeitsmarktservice für Jugendliche.