Teilqualifikation, verlängerte oder überbetriebliche Lehre
Neben Produktionsschulen stehen Jugendlichen auch andere niederschwellige Angebote zur Verfügung, um sich (wieder) in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Wer keine Lehrstelle findet, hat das Recht auf eine "überbetriebliche Lehre" - dabei wird analog zum ersten Lehrstellenmarkt die Berufsschule besucht, der Lehrling ist dann aber nicht in einem Betrieb beschäftigt, sondern in einer überbetrieblichen Ausbildungseinrichtung mit Firmenpraktika. Am Ende steht zwar eine ganz normale Lehrabschlussprüfung, trotzdem ist das Ziel, möglichst viele in den ersten Lehrstellenmarkt zu vermitteln. Laut Sozialministerium wechseln von den rund 4500 Jugendlichen, die jährlich eine überbetriebliche Lehre beginnen, im Lauf der Lehrzeit in ein betriebliches Lehrverhältnis, die meisten von ihnen im ersten Lehrjahr. Für Jugendliche, die keine Lehre beginnen können, weil sie zum Beispiel einen sonderpädagogischen Förderbedarf oder körperliche Einschränkungen haben, gibt es die Möglichkeit, die Lehrzeit zu verlängern oder eine Teilqualifikation zu erreichen.
Und dann gibt es noch jene Jugendlichen, die im System untergehen. Sie sind so zahlreich, dass die Sozialforschung einen eigenen Begriff für sie entwickelt hat: "Neets" ("Not in Education, Employment or Training" - "Nicht in Ausbildung, Arbeit oder Schulung"). Das sind die Jugendlichen, die nicht oder nur sporadisch beim AMS auftauchen. Ende 2011 waren das laut Statistik Austria österreichweit 121.000 Personen zwischen 15 und 24 Jahren.
Diese Neets will die Regierung nun wieder in den Arbeitsmarkt eingliedern - ein schweres Unterfangen, wie IHS-Forscher Mario Steiner betont. "Denn wer einmal Bildungsabbrecher ist, kommt schwer wieder hinein: Nur 15 Prozent schaffen es wieder ins System." Mit der Ausbildungspflicht bis 18 Jahre, die Präsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer quasi in seiner letzten Minute als Sozialminister in Begutachtung geschickt hat, sollen frühe Bildungsabbrecher erreicht und jugendliche Hilfsarbeit unterbunden werden. Der Entwurf, der mit Juli in Kraft treten soll, sieht vor, dass Eltern von unter 18-Jährigen, die weder eine Schule, Lehre, noch eines der bisher beschriebenen Bildungsangebote oder eine sonstige Maßnahme besuchen, mit Verwaltungsstrafen rechnen müssen. Dem vorgelagert werden ein Ausbau des Jugendcoachings und eine "verpflichtende Berufs- und Bildungswegorientierung".
Yasmin de Silva leitet das Jugendcoaching-Projekt m.o.v.e.on des Vereins Projekt Integrationshaus. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern klärt sie jedes Jahr mehr als 1100 Jugendliche über ihre Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt auf, berät sie bei der Bewerbung und redet mit den Eltern. Die Coaches werden von Lehrern gerufen, wenn ein Jugendlicher vor dem Pflichtschulabschluss schon sehr schlechte Noten hat und von zu Hause nur wenig Unterstützung zu erwarten ist. "Es ist schon wichtig, dass Jugendliche zu einer weiteren Ausbildung angehalten werden", meint de Silva. Ob die Ausbildungspflicht der richtige Weg ist, müsse man sich in der Praxis anschauen. Das Wichtigste sei die Freiwilligkeit: Wenn die Jugendlichen nicht freiwillig mitmachen, dann komme man mit der besten Betreuung kaum weiter. "Ich weiß nicht, ob man da mit Sanktionen viel bewirken kann, aber es hängt davon ab, wie das Gesetz dann vollzogen wird." De Silva nimmt die Firmen in die Pflicht: "Viele Jugendliche bemühen sich um eine Lehrstelle, vonseiten der Wirtschaft werden aber immer nur die Besten ausgewählt. Wenn man immer nur Ablehnungen erhält, führt das zu sozialem Rückzug, sie da herauszuholen wird schwierig."
In der Wirtschaftskammer sieht man das naturgemäß anders. Laut René Tritscher, Geschäftsführer der Bundessparte Handel, wird es trotz massiven Aufwands beim Recruiting immer schwerer, qualifizierte Lehrlinge zu finden. Er sieht mit Blick auf zahlreiche OECD-Auswertungen, die einen hohen Anteil an Schulabgängern mit Problemen im Lesen, Schreiben und in der Mathematik ausweisen, das Schulsystem als Ursache: "Wenn sich jemand bei den Grundrechenarten schwertut, dann wird der beste Kurs nichts helfen." Sascha Ernszt, Vorsitzender der Gewerkschaftsjugend, kritisiert indes, dass die Betriebe oft aktiv die Lehre mit Matura verunmöglichen würden, weil sie Facharbeiter und keine Maturanten benötigten oder Angst vor höheren Lohnforderungen hätten. "Es ist aber die Aufgabe der Unternehmen, Jugendliche auszubilden."
In einem Punkt stimmt Ernszt mit der WKO überein: Das Bildungssystem müsse die Jugendlichen besser auf das Berufsleben vorbereiten. Auch IHS-Forscher Steiner sieht einen Mangel an Bereitschaft, die Stärken der Jugendlichen zu trainieren. "Die Schüler müssen früh erfahren, wo ihre Stärken sind, es kann nicht sein, dass sich manche Schultypen dem verwehren", sagt er mit Blick auf AHS. "Das Bildungssystem hat einen Handlungsauftrag, je weniger dort herausfallen, desto weniger müssen durch die Ausbildungspflicht abgefangen werden."