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Das verschwindende Kind

Von Jan Michael Marchart

Politik
Der siebenjährige Noah ist mit Downsyndrom zur Welt gekommen. Er spricht zwar noch nicht, ist aber im Kindergarten bestens integriert. Er kommuniziert auf seine "eigene Art und Weise", erzählt seine Mutter.
© Volker Weihbold

Laut Schätzungen werden 90 Prozent der mit Downsyndrom diagnostizierten Babys abgetrieben.


Wien. Das Leben von Noah verläuft etwas langsamer - gemütlicher - als jenes seiner Altersgenossen. Er ist sieben Jahre alt. Noah spricht aber noch nicht, deshalb hat er bisher auch noch keinen Schulplatz bekommen. Seine Eltern kämpften dafür, dass er noch ein Jahr im Kindergarten bleiben kann, wo er sich in seiner Gruppe pudelwohl fühlt. Noah ist mit dem sogenannten Downsyndrom zur Welt gekommen.

Der kleine Bub besitzt das 21. Chromosom in dreifacher Ausführung, deshalb auch die ebenfalls gängige Bezeichnung "Trisomie 21". Dieses überschüssige Chromosom trägt jene Gene, die Menschen mit Downsyndrom so unverwechselbar machen.

Viele Dinge wird Noah mit hoher Wahrscheinlichkeit nie lernen und ein völlig eigenständiges Leben führen können. Mit Förderung kann er aber vieles lernen. "Es kommt tatsächlich alles langsamer", sagt seine Mutter, Birgit Brunsteiner. "Es dauert länger, bis die Kinder anfangen zu krabbeln, zu gehen oder zu sprechen." Die Entwicklung äußert sich bei Kindern mit Downsyndrom aber völlig unterschiedlich.

Noah der Skifahrer

Noah spricht zwar noch kein Wort, dafür kann er Skifahren, was für viele seiner Freunde undenkbar ist. "Sie sprechen in grammatikalisch korrekten Sätzen, können dafür aber keine drei Treppen selbständig gehen." Laut Brunsteiner, die 2010 das Downsyndrom-Netzwerk 46+1 im oberösterreichischen Vöcklabruck gründete, würden sich entweder der motorische oder der sprachliche Bereich schneller entwickeln. Noah ist trotz seiner fehlenden Sprache bestens im Kindergarten integriert und "sehr beliebt", sagt sie. Ihr Bub kommuniziert auf seine "eigene Art und Weise", sehr herzlich. Ein besonderes Merkmal von Kindern mit Downsyndrom.

Noah ist allerdings nur eines der wenigen Kinder mit Trisomie 21, das geboren wird. Laut Schätzungen werden 90 Prozent der mit Downsyndrom diagnostizierten Embryos abgetrieben. Die Fortschritte in der Medizin lassen sie nahezu verschwinden. Möglich ist dies aufgrund der "eugenischen Indikation", die Abtreibung von Menschen mit Behinderung bis zur Geburt hierzulande straffrei stellt. Dafür wurde Österreich auch 2013 bei der UN-Staatenprüfung in Genf gerügt. Laut österreichischem Recht sind schließlich alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Gesunde Kinder dürfen nur die ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft abgetrieben werden. Eine politische Debatte über eine Streichung der "eugenischen Indikation" fand zuletzt vor einem Jahr statt, verlief sich aber. Laut Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) bleibt das eine Angelegenheit zwischen der Schwangeren und dem behandelnden Arzt.

Um auf die "unerträgliche" Diskriminierung aufmerksam zu machen, demonstrierte am Montag "Jugend für das Leben" am Weltdownsyndromtag vor dem Parlament für die Rechte von Menschen mit Downsyndrom. Die momentane Situation sei "ein Armutszeugnis für Österreich", sagte Carina Eder, Sprecherin der Jugendorganisation. Einer Faustregel nach wird jeder 800ste Mensch mit Downsyndrom geboren, in Österreich sind es aber viel weniger. Auf ungefähr 81.000 Geburten jährlich in Österreich sollen ungefähr 100 Downsyndromkinder geboren werden. Etwa 9000 Menschen mit Trisomie 21 sollen Schätzungen zufolge in Österreich leben.

Eine exakte Statistik existiert nicht. Im Fehlbildungsregister der Statistik Austria werden nur jene Diagnosen erfasst, die zum Zeitpunkt der Geburt feststanden. Viele Fehlbildungen werden aber erst später diagnostiziert, in manchen Fällen auch das Downsyndrom. Aufgrund der dadurch ungesicherten Datenlage wurde das Register aufgelöst. Mit Letztstand 2011 wurden in Österreich sechs Säuglingen Trisomie 21 attestiert, im Jahr davor waren es laut Statistik noch doppelt so viele. Laut Experten sind diese Zahlen viel zu niedrig und daher nicht valide.

"Mitleid wofür?"

"Das Leben ist nicht da, um einem leicht gemacht zu werden", sagt Noahs Mutter philosophisch. Es sei schon viel gewesen, was am Anfang zu meistern war. Die vielen Therapien, die Noah brauchte. Was man von mir nie hören wird ist, dass wir es ach so schwer haben", sagt sie. "Ich glaube, eine Familie zu gründen, ist in jedem Fall eine Herausforderung."

Im Kindergarten wird Noah mit einer zusätzlichen Stützkraft auf die Schule vorbereitet. Sein zusätzliches Jahr im Kindergarten war vor allem ein Kampf gegen die Behörden, "nicht gegen das Downsyndrom", sagt Brunsteiner. Von Mitleid möchte sie nichts hören. "Mitleid wofür? Noah wird später lesen, später schreiben, später ausgehen, später erwachsen werden, aber er wird."