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Was war die Leistung?

Von Simon Rosner

Politik

Das Finanzministerium will Förderungen für NGOs mit privaten Spenden gegenrechnen.


Wien. Als in den ersten Septembertagen die Flüchtlinge kamen, räumten hunderte Wienerinnen und Wiener ihre Kleiderschränke, tätigten Großeinkäufe und fuhren an die Bahnhöfe. Es dauerte nur wenige Stunden, bis die Hilfsorganisationen um einen Spendenstopp baten. Es kam zu viel. Zu viel, um alles lagern zu können, zu viel, um die Spenden gleichzeitig annehmen und auch an die Flüchtlinge ausgeben zu können.

Diese Septembertage waren auch eine Art Leistungsschau der Zivilgesellschaft. Welche Kraft hat sie denn überhaupt noch? Schließlich waren über Jahrzehnte immer mehr gesellschaftliche Hilfsleistungen, auch im Zusammenhang mit Flüchtlingen, zu staatlichen Aufgaben mutiert. Sie werden von der Politik auf allen Ebenen (EU, Bund, Länder) durch Richtlinien, Gesetze und Verordnungen definiert und ihre finanzielle Verantwortung festgelegt.

Insofern waren diese ersten Septembertage ein bemerkenswertes Zeichen, dass dieses gar nicht leicht zu definierende Kollektiv namens Zivilgesellschaft nach wie vor eine hohe Leistungskraft entwickeln kann, und zwar explizit auch im Zusammenspiel mit staatlichen Einrichtungen und professionellen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz, der Volkshilfe oder der Caritas, die als Ansprechpartner für Bürger und Staat eine wichtige Zwischenebene darstellen.

Ein Brief aus dem Innenministerium an die NGOs von Mitte Februar lässt sich nun aber so interpretieren, dass die Regierung zumindest einen Teil der staatlichen Aufgaben wieder re-privatisieren will, zumindest die finanzielle Verantwortung. Wie das Ö1-"Morgenjournal" berichtete, sollen nämlich auf Basis einer im September beschlossenen Sonderrichtlinie die Hilfsorganisationen darlegen, wie viele Spenden sie eingenommen haben. Um diese Beträge sollen dann die Förderungen an die NGOs gekürzt werden.

Das Finanzministerium argumentiert, dass Spenden an die in der Flüchtlingshilfe engagierten NGOs steuerlich absetzbar sind, weshalb die öffentliche Hand dann gewissermaßen doppelt zahlen müsse. Zuerst für die Leistung der Hilfsorganisation, dann noch einmal den Spendern selbst über den Steuerausgleich.

"Staat hat sich Millionen erspart"

Die NGOs sehen das naturgemäß anders. "Der Staat hat sich Millionen erspart, weil Freiwillige in der Betreuung ihre Zeit geopfert und die Flüchtlinge mit Essen versorgt haben", sagt Martin Gantner, Sprecher der Caritas. Ähnlich argumentiert das Rote Kreuz. Die entsprechende Passage in der Sonderrichtlinie, wonach nur Kosten förderbar seien, die "nicht durch Zuwendungen Dritter (insbesondere Spenden) abgedeckt sind" habe man auf Sachspenden bezogen, sagt das Rote Kreuz.

Bei dem Streitfall geht es grundsätzlich nur um Kosten für Hilfsmaßnahmen für Transitflüchtlinge, nicht um die gewöhnliche Betreuung von Asylwerbern. Auch hier gibt es freilich staatliche Förderungen. Im Gesetz ist dabei genau festgelegt, wie viel Geld eine private Einrichtung oder eine Hilfsorganisation pro betreutem Flüchtling erhält.

Für die Situation, die Österreich jedoch ab den ersten Septembertagen erlebte, gab es keine Definition der Aufgaben und finanziellen Verantwortung. Wer versorgt die Flüchtlinge an den Grenzen? Wer organisiert die provisorische Unterbringung? Wer den Transport durch Österreich?

Die FPÖ forderte am Montag, Asyl solle wieder "staatliche Aufgabe" sein, wie es in einer Aussendung heißt. "Die Asylindustrie verdient sich mit den Asylwerbern und auf Kosten der Steuerzahler eine goldene Nase", sagt FPÖ-Sicherheitssprecher Gernot Darmann.

Tatsächlich ist es für die öffentliche Hand deutlich günstiger, im Fall der Fälle Leistungen zuzukaufen, als permanent eine Art Bereitschafts-Infrastruktur für allfällige Krisenfälle zu installieren. Dabei ist dann freilich die Rolle der Zivilgesellschaft zu klären. Trägt sie eine moralische Verantwortung? Oder soll sie auch eine finanzielle Verantwortung tragen?

Bis Dezember rechnete das Innenministerium jedenfalls mit den NGOs nach eingereichten Belegen und Rechnungen ab - ohne eingelangte Spenden aufzurechnen. Für Jänner erinnerte nun das Finanzministerium an die Passage aus der Sonderrichtlinie und veranlasste das Innenministerium, den Brief an die Hilfsorganisationen zu schreiben.

Möglicherweise ist der Zeitpunkt auch kein Zufall, denn in zwei Wochen läuft die zeitlich befristete Sonderrichtlinie aus und muss neu verhandelt werden. Es ist dabei wohl die Frage zu klären, welche Aufgaben und Verantwortungen beim Staat liegen. Bliebe die Gegenrechnung mit Spenden, wäre dies ein fundamentaler Richtungsschwenk.

Offener Brief der Spender

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Johanna Mikl-Leitner,
die Flüchtlingssituation in Österreich hat uns alle betroffen gemacht. Um zu helfen, haben wir in den vergangenen Monaten aus eigener Tasche mit unseren Spenden Organisationen unterstützt, die dort eingesprungen sind, wo der Staat nicht oder nicht ausreichend geholfen hat oder helfen konnte.
Wir sind nicht damit einverstanden, dass das Innenministerium den Organisationen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv waren, die Förderung kürzt, weil sie Spenden von uns erhalten haben. Unser Geld muss bei denen ankommen, für die wir es hergegeben haben - bei den Flüchtlingen!
Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, indem er nachträglich unsere Spenden dafür einzieht, wofür er von Anfang an verantwortlich gewesen wäre.
Im Namen aller UnterzeichnerInnen