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Rechtliches Hasardspiel um Sozialhilfe

Von Jan Michael Marchart

Politik

Oberösterreich will die Mindestsicherung für Flüchtlinge kürzen. Juristisch ist das heikel.


Wien. Die Balkanroute ist faktisch dicht. An den Grenzübergängen Österreichs erinnert nichts mehr daran, dass vor einigen Wochen noch täglich tausende Menschen ins Land kamen, um mehrheitlich nach Deutschland oder Schweden weiterzureisen. Klar ist: Der größte Teil der mehr als 90.000, die im vergangenen Jahr in Österreich einen Asylantrag gestellt haben, wird bleiben. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und schlecht nachvollziehbarer Ausbildung wird wohl bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage vielen Flüchtlingen nur ein sozialer Strohhalm bleiben: die Mindestsicherung. Aber gerade dieser Strohhalm soll nun einen kräftigen Knick bekommen.

Die Senkung von Sozialleistungen ist ein ständiger Begleiter der Flüchtlingskrise in Europa. Auch in Österreich wird die Debatte geführt. Von der ÖVP wird seit Wochen eine Kürzung der Mindestsicherung vorangetrieben. Bund und Länder haben für diese eine 15a-Vereinbarung geschlossen, es gibt jedoch keine bundesweit einheitliche Handhabe - auch was die Höhe betrifft.

Oberösterreich könnte daher der Startpunkt eines möglichen Domino-Effekts werden. Dort haben ÖVP und FPÖ in der Landesregierung einen gemeinsamen Antrag eingebracht, um die Mindestsicherung für befristet Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte auf das Niveau der Grundversorgung zurückzustutzen: Das wären 320 statt bisher 914 Euro für Einzelpersonen im Monat. Das könnte dazu führen, dass anerkannte Flüchtlinge in jene Bundesländer ziehen, die mehr Mindestsicherung versprechen, allen voran nach Wien. Gegen den Plan in Oberösterreich hat es Proteste von Opposition und NGOs gegeben, es gab aber auch Bedenken hinsichtlich Verfassungs- und EU-Recht. Ein entsprechendes Gutachten soll dazu kommende Woche im Landtag präsentiert werden. Als Gutachter dazu wurde Robert Rebhahn von der Uni Wien durch die Bundesregierung beauftragt, am Mittwoch wollte er sich dazu nicht äußern.

Juristisch ergibt sich bei näherer Betrachung ein gewisses Spannungfeld. Während sich die österreichische Judikatur bei der Mindestsicherung auf den "dauernden Aufenthalt" eines Flüchtlings bezieht, stehen laut dem Artikel 29 der entsprechenden EU-Richtlinie Flüchtlingen Sozialleistungen zu, sobald dem Einzelnen Schutz gewährt wurde. Mitgliedstaaten müssten Sorge tragen, "dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten". Mit anderen Worten: Wenn Österreich die Mindestsicherung senken möchte, dann sowohl für Österreicher als auch für Schutzsuchende.

Maßnahme "nicht gedeckt"

EU-Vorgaben stechen im Normalfall die nationale Auslegung. Neu am Vorhaben der Oberösterreicher ist, dass auch befristete Asylberechtigte (Asyl auf Zeit) von der Mindestsicherungskürzung betroffen sein werden. Und das sind seit November praktisch alle Asylberechtigten. Darauf hat sich die Regierung im November verständigt. Öffnet das eine juristische Tür für die oberösterreichische Landesregierung?

"Es wird derzeit argumentiert, dass diese Leute kein Recht auf einen Daueraufenthalt hätten, und daher könne man sie anders behandeln", erklärt der Walter Pfeil, Professor für Arbeits- und Sozialrecht auf der Universität Salzburg. Die Genfer Flüchtlingskonvention würde diese Differenzierung nicht kennen. "Nach meiner Wahrnehmung sind die Pläne in Oberösterreich nach internationalem Recht nicht gedeckt." Bei Asylberechtigten, auch in der Neuauslegung mit Asyl auf Zeit, sieht Pfeil keine Möglichkeit. Anders wäre es bei den subsidiär Schutzberechtigten. Diese sind nicht in der Gleichstellung von Sozialleistungen erfasst. Das EU-Recht erlaubt hier eine Beschränkung auf Grundleistungen. Im Burgenland und Salzburg zum Beispiel sind subsidiär Schutzberechtigte bereits von der Mindestsicherung ausgenommen.

Der Landesgeschäftsführer der ÖVP Oberösterreich, Wolfgang Hattmannsdorfer, sagt dazu lapidar: "Wir würden diese Maßnahme nicht andenken, wenn wir sie nicht rechtlich geprüft hätten." In Oberösterreich wollen ÖVP und FPÖ nach wie vor die Mindestsicherung nur für Flüchtlinge senken. Gelingt das, ergibt sich dadurch wohl ein Präzedenzfall für andere Bundesländer, die schon jetzt die Sozialleistungen für Flüchtlinge verschieden auslegen.

Integrationsbonus geplant

Das Oberösterreich-Modell sieht auch eine Aufstockung der (beschränkten) Mindestsicherung mit einem Integrationsbonus vor. "Dafür müssen die in einer Integrationsvereinbarung festgelegten Voraussetzungen wie Werteschulungen Spracherwerb erfüllt werden", so Hattmannsdorfer. Sanktionen bei Integrationsunwilligkeit gibt es schon. In Oberösterreich soll auch zuzüglich des Bonus unter dem Strich ein spürbar niedrigerer Betrag herauskommen. Derzeit seien 14.000 Menschen in Oberösterreich in der Grundversorgung als Asylwerber, als Asylberechtigte würden sie laut Hattmansdorfer in die Mindestsicherung wechseln. "Wir müssen unser Sozialsystem absichern", sagt er. Es soll auch ein Signal an jene sein, die noch kommen wollen.