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Der Optimist und sein Kritiker

Von Walter Hämmerle und Ina Weber

Politik
Die Zeit drängt - im Jubiläumsjahr 2018 soll das neue Museum fertig sein. Die Diskussionen über das Projekt sind deshalb aber noch lange nicht vorbei.
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Am geplanten "Haus der Geschichte" in der Hofburg scheiden sich die Geister. Projektbetreiber Oliver Rathkolb und Grünen-Historiker Harald Walser kreuzen im Streitgespräch die Klingen.


Grünen-Historiker Harald Walser sieht das "Haus der Geschichte Österreich" kritisch.
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<p>Wien. Jetzt ist es so weit. Seit Jahrzehnten wird es gefordert, mindestens so lange wird darüber geredet und gestritten, nun ist das Museum für die jüngere politische Geschichte des Landes auf Schiene: "Haus der Geschichte Österreich" (HGÖ) soll es heißen, die Hofburg der Standort sein und die Nationalbibliothek soll es strukturell mittragen. Vergangene Woche wurde dazu eine Änderung des Bundesmuseengesetzes von SPÖ und ÖVP beschlossen. Für die noch ungewisse langfristige Finanzierung hat Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) eine Vorstudie in Auftrag gegeben, anschließend soll der Direktorenposten ausgeschrieben werden. Die Zeit drängt - im Jubiläumsjahr 2018 soll das neue Museum fertig sein.<p>Die Diskussionen über das Projekt sind deshalb aber noch lange nicht vorbei. Aus diesem Grund hat die "Wiener Zeitung" Oliver Rathkolb, Leiter des wissenschaftlichen Beirats, und Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, zum Streitgespräch über das Haus der Geschichte gebeten. An Leidenschaft ließen es die beiden Historiker dabei nicht fehlen.<p>"Wiener Zeitung":In zehn Jahren, 2026: Was wird aus dem Haus der Geschichte geworden sein?<p>

Projektbetreiber Oliver Rathkolb hingegen sagt: "Wir haben nach wie vor ein verkorkstes und umstrittenes Geschichtsbild, das sichtbar gemacht werden muss."
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Oliver Rathkolb: Ich bin kein Futurologe, dass es aber wichtig ist, so einen Ort zu schaffen, davon bin ich überzeugt. Wir haben nach wie vor ein verkorkstes und umstrittenes Geschichtsbild, das sichtbar gemacht werden muss. Das betrifft nicht nur die Debatte ob "Austrofaschismus" oder "Kanzlerdiktatur", ob Engelbert Dollfuß jetzt als Märtyrer oder Zerstörer der Demokratie zu sehen ist; auch unser Verhältnis zur Habsburger Monarchie muss beleuchtet werden.<p>Harald Walser: Ich fürchte, man wird im Jahr 2026 sagen, dass eine große Chance vertan worden ist. Man hat einmal mehr nicht auf jene Fachleute gehört, die den Weg gewiesen hätten. Ich verweise auf das Konzept von Claudia Haas (Museumsberaterin, die 2009 ein Konzept für ein Haus der Geschichte als Neubau erstellte, Anm. d. Red.). Mit der Hofburg wurde ein Standort gewählt, der schwer bis gar nicht nachvollziehbar ist. Der Versuch eines Narrativs für die Erste und Zweite Republik wurde erneut nicht gewagt, dabei wäre das so notwendig. Und, das ist mein größter Vorwurf, wir haben es nicht einmal geschafft, das Projekt klar als "Haus der Republik" zu definieren, wie das am Ausgangspunkt des Projekts definiert war. Stattdessen gibt es einen rot-schwarzen Kompromiss mit dem unverbindlichen "Haus der Geschichte", das jetzt noch dazu im imperialen Prachtbau Österreichs schlechthin, der Hofburg, angesiedelt ist.<p>Rathkolb: Darauf muss ich erwidern: Dieses Konzept hat ein Beirat mit 31 international angesehenen Expertinnen und Experten beschlossen. Claudia Haas war beauftragt, einen Neubau zu konzipieren, ohne eigene Sammlung. Unser Auftrag war es, das Konzept auf vorhandene Räume in der Neuen Burg umzulegen. Und wir haben uns gegen das politische Diktat gewehrt, keine eigene Sammlung zu haben, das wäre ja auch völlig absurd gewesen: Es gibt kein Museum ohne eigene Sammlung. Vor allem aber bezweifelt der Beirat, dass die Hofburg der falsche Ort ist. Das war ja lang das Problem der Sozialdemokratie: dass sie die autoritären Strukturen des Habsburger Imperiums kritisierte, aber keinen Zugang zur Monarchie als Kultur-, Wissens- und Wirtschaftsraum gefunden hat.

<p>Und was den Ausgangspunkt angeht: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass mit dem 12. November 1918, dem Tag, an dem die "Republik Deutsch-Österreich" ausgerufen wurde, die Gesellschaft plötzlich eine andere geworden wäre. Die Prägung durch die Monarchie ging weiter. Ein Haus der Geschichte hat zwar seinen Schwerpunkt im 20. Jahrhundert, die Auswirkungen der Monarchie müssen aber mitberücksichtigt werden.<p>Es geht nicht darum, etwas zu verschweigen oder zu ignorieren, tatsächlich aber erfolgte die entscheidende Zäsur 1918.<p>Rathkolb: Aber man darf das Jahr 1918 nicht zum Mythos aufbauen. Wir haben jahrzehntelang diesen Mythos gepflegt und das nicht immer zum Guten. Natürlich werden wir die Entwicklung der demokratischen Republiken ins Zentrum stellen, aber in einem breiteren Kontext. Wir wollen den 12. November mit der Gründung der deutsch-österreichischen Republik nicht nur umjubeln. Dieses Datum ist nicht nur positiv zu sehen.

<p>Und dann geht es auch darum, auf Zentraleuropa zu schauen. Österreich muss in einer Rückschau nicht Weltmeister werden. Im Gegenteil, wir werden gemeinsam mit den Bundesländern und Nachbarstaaten eine Wanderausstellung zum ganzen Jahr 1918 konzipieren. Wir wollen andere, multi-perspektivische Narrative schaffen. Das ist ein sehr komplexer Zugang, ich weiß. Das ist aber auch der Grund dafür, warum wir als Namen Haus der Geschichte Österreich und nicht Haus der Republik gewählt haben.<p>Ist der Name in Stein gemeißelt?<p>Rathkolb: Nein. Die letzte Entscheidung sollte man der Nationalbibliothek und der künftigen Leitung überlassen. Unter Umständen kommt etwas anderes heraus.<p>Walser: Wir sind nicht in der Lage, selbstbewusst als Republikaner zu sagen: Ja, der 12. November ist ein Einschnitt. Ich sehe das Datum ausschließlich positiv. Es symbolisiert den Wechsel einer Staatsform, es fand ein grundsätzlicher Neuaufbau des Staates statt. Ich verstehe nicht, wie man dieses Datum abwerten kann. Dass wir alle historische Wesen sind und eine Vorgeschichte haben, darüber besteht kein Zweifel. Dass man sich aber im großkoalitionären Streit nie auf den 12. November einigen konnte und dieses Datum von der schwarzen Reichshälfte nie geliebt wurde, ist empörend und nicht nachvollziehbar. In jedem anderen Staat wäre der 12. November und nicht der 26. Oktober Nationalfeiertag. Die Angst, dass dieses Museum eher der linken Reichshälfte zuzuordnen sein wird, irritiert und ist peinlich. ÖVP-Kultursprecherin Maria Fekter hat angekündigt, darauf zu schauen, dass das Haus kein SPÖ-Museum wird. Das zeigt das Niveau der Auseinandersetzung.<p>Im Konzept heißt es, dass das HGÖ die demokratischen, kulturellen und sozialen Werte Österreichs vermitteln will. Worin bestehen denn diese gemeinsamen Werte? <p>Rathkolb: Wir wollen versuchen, die komplexe Struktur unseres demokratischen Systems so zu vermitteln, dass wir im Stande sind, den in ganz Europa immer stärker werdenden Populismus schon an seinen Wurzeln zu erkennen und als Demokraten dagegen aufzustehen. Hier muss man auch kritisch in die österreichische Gesellschaft blicken. Viele Umfragen zeigen, dass sich jeder dritte Österreicher mit einem neuen "starken Führer" anfreunden könnte. Das Parlament wird marginalisiert. Mancher wünscht sich eine Expertenregierung. Das ist nicht nur ein Problem, das Migranten und Flüchtlinge betrifft, sondern das geht unsere gesamte Gesellschaft an. Wir müssen den Wert soziale Solidarität pflegen, damit wir nicht die Entwicklung der USA nehmen, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird. Auch das soll in dem Haus der Geschichte vermittelt werden.<p>Walser: Ja, das sollten unsere Werte sein, da stimme ich überein. Das sind jedoch leider keine gemeinsamen Werte. Wir erleben derzeit eine besorgniserregende Attacke des Neoliberalismus auf den Sozialstaat. Wenn das so weitergeht, werden wir - global gesehen - gesellschaftlich auf sehr unruhige Zeiten zusteuern.<p>In Österreich spielt sich das zwar noch in einer gemäßigten Form ab, man muss aber sagen, dass wir nie ein besonders inniges Verhältnis zu demokratischen Strukturen wie dem Parlament hatten. Die Parteien bekommen üppig Geld, die Parlamentarier hingegen fristen ein Schattendasein. Die Arbeitsbedingungen im Parlament spotten jeder Beschreibung. Diesbezüglich sind wir ein demokratiepolitisches Entwicklungsland und waren es schon immer.<p>Kampf gegen den Neoliberalismus und für eine ganz bestimmte Form des Sozialstaats: Das klingt, als soll das Haus der Geschichte ein politisches Kampfprojekt werden.<p>Rathkolb: Das sehe ich nicht so. Die beiden großen Parteien wurden vor 1914 als Massenparteien konzipiert und sind mit ihren Institutionen gewachsen. Sie dominieren nach 1918/19 mit ihren deutschnationalen Überresten die Geschichte des Parlamentarismus bzw. die Geschichte der Zerstörung des Parlamentarismus im Jahr 1933. Wenn man einen kritischen Zugang zur Geschichte haben möchte, dann muss man diese Längsschnitte auch reflektieren. Man muss auch sagen, dass die österreichische Demokratie ja nicht von den Österreichern erkämpft wurde, sondern von den alliierten Armeen und dem Widerstand. Hier scheint es mir auch sinnvoll, sich mit der Frage zu beschäftigen, warum wir nicht wie Deutschland eine eigene Verfassung haben. Unsere Verfassung stammt in Teilen aus dem Jahr 1929 mit teils autoritären Strukturen. Das ist eine Aufgabe, die auch Sie, Herr Walser, im Parlament angehen müssten.<p>Walser: Das tun wir. Das Problem ist, dass wir wenig Unterstützung bekommen - auch von außen. Und da sind wir wieder beim Haus der Republik, das ich hartnäckig so nennen möchte. Genau das hätte ich mir gewünscht, dass man auf diese Entwicklung hinweist. Doch daran mangelt es. Genauso wenig, wie wir die Geschichte der Arbeiterbewegung im Schloss Schönbrunn oder die Geschichte der Bauernkriege im Belvedere zeigen können, genauso wenig passt die Geschichte der Republik in die Hofburg. Dieses Gebäude spricht eine komplett andere Sprache. Das ist ein Symbol, das historisch in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft weist.<p>Rathkolb: Sie werden anders reden, wenn der Architektenwettbewerb und das Design entschieden sind und der Direktor oder die Direktorin feststeht. Der derzeit international erfolgreichste Architekt Wolf Prix von Coop Himmelblau hat sogar gemeint, dass genau diese Räume in der Hofburg eine spannende Herausforderung für junge Architekten und Designer darstellen. Natürlich gibt es auch Nachteile. Die imperiale Stiege ist zweifelsohne viel zu groß, keine Frage.<p>Walser: Der Großteil der Ausstellungsfläche ist aber die Stiege.<p>Rathkolb: Ja, Gott sei Dank, sonst hätten wir überhaupt keinen Platz. Auch die Altane (von der Hitler 1938 den "Anschluss" verkündete, Anm.) wird uns 2018 beschäftigen. Man muss sagen, dass diese Altane, dieser Balkon, der für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus steht, international einen wesentlich höheren Stellenwert hat als ein Neubau am Stadtrand. Viele hätten wohl dieses Thema gerne an den Stadtrand verlegt und damit aus dem Zentrum verdrängt.<p>Walser: Ich bleibe bei meiner Kritik: Wir schaffen es, ein Haus der Republik zu machen, ohne die Bürger miteinzubeziehen. Entscheidungen werden im stillen Kämmerlein getroffen. Wesentliche Teile der Historiker-Zunft lehnen dieses Konzept ab. Und dann wählen wir auch noch einen Standort, bei dem alle Welt immer vom Hitler-Balkon sprechen wird.<p>Rathkolb: Völlig richtig. Und genau deshalb werden wir diesen Ort dekonstruieren und den Österreichern einen Spiegel vorhalten. Unser Verhältnis zum Nationalsozialismus ist noch immer ein extrem komplexes. Und ja, dass dieser "Balkon", der eigentlich eine große Terrasse ist, nur mit Hitler verbunden wird, das ist durchaus problematisch.<p>Walser: Und das wird auch so bleiben.<p>Rathkolb: Nein, das wird es nicht. Sonst bräuchten wir dieses Projekt gar nicht erst zu machen. Dann wären Millionen an Steuergeldern hinausgeworfen. Es geht genau darum, diese globale Vorstellung zu brechen, zu dekonstruieren, einen kritischen Zugang zum Nationalsozialismus zu finden - und es ist diese Altane, die uns dazu zwingt. Ich bin überzeugt, dass das Haus der Geschichte genau das wird, von dem wir eigentlich träumen - nämlich ein Diskussionsforum.<p>Woher kommt Ihr Optimismus, Herr Rathkolb, dass dieses Projekt nicht von den Parteien kolonisiert wird? Schwer vorstellbar, bei einem so politisch heißen Eisen.<p>Rathkolb: Es bleibt den Parteien gar nichts anderes übrig, weil der Wählertrend in eine ganz andere Richtung geht, wir am Weg in ein Viel-Parteien-System sind. Da werden die Parteien etwas anderes zu tun haben, als ihre historischen Reminiszenzen vorzudirigieren. Auch in der internationalen Community würde das nicht mehr funktionieren. Und es gibt positive Beispiele, etwa das Jüdische Museum in Wien, das kritische Ausstellungen macht, oder das Haus der Geschichte in Deutschland, das kein Helmut-Kohl-Museum geworden ist. Der internationale Trend geht in Richtung einer unabhängigen wissenschaftlichen Debatte. Und es ist naiv zu glauben, dass Parteienzentralen, die bei der nächsten Wahl ums Überleben kämpfen werden, ein solches Haus beeinflussen könnten. Das kann ich mir nicht vorstellen. Auch die Nationalbibliothek hat noch keine politisch gefällige Ausstellung gemacht.<p>Walser: Diesen Optimismus kann ich nicht teilen. Wenn ich mir anschaue, wie hierzulande Beiräte besetzt werden, erkenne ich die alten politischen Muster der österreichischen Innenpolitik. Ich sehe die wesentlichen Voraussetzungen nicht, die in Deutschland sehr wohl verwirklicht worden sind. Dort hat das Haus der Geschichte mehrere Standorte, dort gibt es eine völlige Unabhängigkeit der Ausstellungsmacher und auch die Finanzierung wurde im Vorfeld geklärt. Wir dagegen haben ein Haus der Geschichte beschlossen, ohne auch nur ansatzweise die Finanzierung geklärt zu haben. Wir haben im Finanzrahmengesetz, das die nächsten vier Jahre umfasst, keine Vorkehrung dafür getroffen. Wir sind nicht in der Lage, den Betrieb des Museums zu garantieren. Ich fürchte, dieses Haus wird zu einer typisch österreichischen Lösung: Es wird für das Jahr 2018 eine Ausstellung geben. Dabei wird man 1938 mitthematisieren. Diese Ausstellung wird dann zu einer Art Dauerausstellung, die man uns als Haus der Geschichte verkaufen wird. Ich bin ja auch dafür, dass wir einen Ort der Auseinandersetzung brauchen, aber das muss ein Haus der Republik sein. Nur damit kämen wir zu einem österreichischen Narrativ.<p>Rathkolb: Das glaube ich nicht. Ich habe durchgesetzt, dass der internationale Beirat bis 2018 bleiben wird und wachsam auf die Unabhängigkeit des Hauses schauen wird. Die internationale Debatte schaue ich mir an, wenn das ein parteipolitisches Haus wird. Wir werden unsere Meinung zur Wahl der Leitung abgeben. Wenn da nicht die/der Beste genommen wird, wird es einen internationalen Aufschrei geben. Mir persönlich wäre auch eine Stiftung lieber gewesen, aber das ist finanziell nicht realisierbar. Vielleicht bin ich zu idealistisch und zu naiv, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei diesem internationalen Druck nicht ein innovatives und attraktives sowie kritisches Museum werden wird.<p>Walser: Wenn das alles eintreffen sollte - wunderbar. Aber am Beginn eines solchen Projektes sollte immer die Finanzierung stehen. Das schaue ich mir an, ob dieses Projekt überhaupt zustande kommt.<p>Rathkolb: Alles, was ich aus dem Bundeskanzleramt höre, ist, dass die Gespräche mit dem Finanzministerium laufen. Es ist alles auf einem guten Weg.

Zur Person

Oliver Rathkolb

geboren am 3. November 1955, ist Univ.-Prof. am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Im Auftrag von Kulturminister Ostermayer hat er einen internationalen Experten-Beirat zusammengestellt, als dessen Vorsitzender er fungiert, und ein Konzept für ein Haus der Geschichte ausgearbeitet (www.hdgoe.at). Für sein Buch "Die paradoxe Republik" wurde er mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnet.