Zum Hauptinhalt springen

"Wer ist dieser Hundstorfer?"

Von Jan Michael Marchart

Politik
Bei der Wahl des Bundespräsidenten taumeln viele der unter 30-Jährigen mit verbundenen Augen zur Wahlkabine. Sofern sie überhaupt teilnehmen.
© corbis/Oivind Hovland

Die jungen Wähler werden ausgeklammert. Über die komplizierte Beziehung zwischen den unter 30-Jährigen und dem höchsten Amt im Staat.


Wien. Bei Wahlkämpfen werden Jungwähler in der Regel mit Kondomen, Keksen und Gummibären etwas unbeholfen angelockt. Offenbar gehen politische Parteien bei Urnengängen von einer desinteressierten Generation aus, die alles im Kopf hat, nur keine Politik. Bei der Bundespräsidentenwahl gibt es nicht einmal die üblichen Kondome. Zur Wahl stehen Kandidaten, die für viele Junge weitgehend unbekannt sind. Alexander Van der Bellen schied vor acht, Andreas Khol gar vor zehn Jahren aus der Bundespolitik aus - Erstwähler waren damals noch in der Volksschule. Dazu kommt, dass im Wahlkampf die junge Generation beinahe ausgeblendet wird. Doch wer sind diese jungen Menschen, auf die hier vergessen wird, was denken sie, und: Wen wählen sie?

Die Spurensuche beginnt in einer Wiener WG, in der sich ein Student und zwei Facharbeiter einige Quadratmeter teilen. "Die habe ich alle noch nie gesehen", sagt Dominik, 21 Jahre jung und Student an der Pädagogischen Hochschule Wien, während Umfragewerte der Kandidaten durch eine Nachrichtensendung laufen. "Doch, den Lugner kenne ich aus dem Fernsehen." Dann folgen schnell Geschichten über den Society-Löwen. Aber wer ist der mit der roten Krawatte? Hundstorfer steht unter seinem Bild geschrieben. "Wer ist dieser Hundstorfer?", fragt Jürgen, 23, Mechaniker. Fragende Gesichter auch bei Khol, Irmgard Griss und Norbert Hofer. "Van der Bellen sagt mir etwas", wirft Dominik ein. "War der nicht bei den Grünen?"

In zwei Wochen steigt die Wahl um das höchste Amt im Staat, doch warum weiß man in der WG so wenig darüber? Es hat wohl auch mit der Priorität der Jungen bei Wahlen zu tun. Die Gruppe ist wahltaktisch vernachlässigbar, weil zu klein. Weniger als ein Fünftel der rund 6,4 Millionen Wahlberechtigten sind unter 30. Ihre Stimmen sind zudem kaum gefestigt, der Stammwähler ist dort nicht zu finden und daher die Kommunikation mit diesem Milieu - in Relation gestellt - zu aufwendig. Die Hofburg-Wahl ist im Bezug auf die Bedeutung der Jungwähler und ihrer Orientierungslosigkeit aber noch pikanter als die üblichen Wahlgänge.

Die Hin- und Her-Gerissenen

Das hohe Alter der meisten Kandidaten könnte auch dazu beitragen, dass sich junge Menschen von ihnen nicht so angesprochen fühlen, wenn sie nicht gerade aus einem politischen Haushalt kommen oder einer Parteijugend angehören. "Als Junger weiß man auch nicht so recht, was es für einen Unterschied macht, wer gerade Bundespräsident ist", erklärt Eva Zeglovits, Geschäftsführerin des Instituts für empirische Sozialforschung (Ifes). Hinzu kommt, dass die Wahl des Bundespräsidenten "allgemein nicht die wichtigste Wahl der Österreicher ist", sagt die Politikwissenschafterin. Hierzulande geht man zur Nationalrats- oder zur Gemeinderatswahl, "weil sie einem nah ist".

Besonders schwer ist es für den Kandidaten, die Gruppe der Jungwähler geeint anzusprechen. "Da ist alles dabei: Der 27-jährige Student, der in einer WG wohnt und grün-affin durch Wien radelt, bis zur Mutter von drei Kindern im Eigenheim, auch Lehrlinge und Schüler sind darunter", zählt Zeglovits auf. Besonders schwer seien aber die 20- bis 25-Jährigen einzuordnen. "Über alle Wahlen gezogen ist in dieser Gruppe die Wahlbeteiligung am niedrigsten", sagt Zeglovits. In diesem Alter befinde man sich in einem Umbruch des Lebens.

"Hier geht es um Beruf, Ausbildung und Partner. Bei diesen Entscheidungen wird Politik nachrangig." In dieser Zeit sei es für junge Menschen schwierig, sich politisch zu verorten - für die Politik sind sie kaum greifbar.

Daher konzentrieren sich Parteien auf mittlere und ältere Gruppen. Da sind auch mehr Stimmen zu holen. "Für Khol ist es leichter, im Feld der Pensionisten Wahlkampf zu machen. Da ist er als Seniorenbundchef nah dran", so Zeglovits. Zwar setzen die Kandidaten auf soziale Plattformen wie Facebook oder Twitter, aber auf neueren Plattformen wie Instagram (hier sind nur Hofer und Van der Bellen zu finden) oder Snapchat mit jüngeren Nutzern sind sie eher nicht anzutreffen. Laut dem Politikexperten Peter Filzmaier hat nur die Werbewirtschaft valide Daten über die Jungen, "aber die sind durch ihre ständige Aktualisierung verdammt teuer".

Der bisherige Stand der Ifes-Wahlforschung deutet an, dass die Jungen im Bezug auf die Bundespräsidentenwahl am wenigsten entschlossen sind, überhaupt an der Wahl teilzunehmen. "Die Altersgruppe ist eine, bei der wählen gehen nicht so selbstverständlich ist wie bei Älteren, die das noch als Bürgerpflicht wahrnehmen", erklärt die Wahlforscherin Zeglovits. Wenn dann noch die konkrete Ansprache fehlt, würden sich die Jungen dazu entschließen, nicht zur Wahl zu gehen. Tun sie es doch, wählen sie unterschiedlich oder aus dem Bauch heraus. "16- oder 18-Jährige stehen hingegen noch unter dem Einfluss der Eltern." Sie machen drei Prozent der Wahlberechtigten aus.

Benachteiligung der Jungen

Auch beim Wahlsieg Heinz Fischers von 2004 war die Teilnahme der unter 30-Jährigen überschaubar. Die Mehrheit stimmte aber für ihn. Bei den jüngsten Wahlgängen machten Jugendliche vor allem bei FPÖ und Grünen ihr Kreuz. Das spielt laut Zeglovits für die Hofburg-Wahl aber keine Rolle, da ihnen, wie erwähnt, die Parteibindung fehlt. Was auf Ältere wie Jüngere zutreffen könne, sei, dass sie die Wahl als Denkzettel für die Regierung sehen, etwa wegen der Flüchtlingskrise. Im Vordergrund stehe aber die Person.

Laut Filzmaier muss diese "glaubhaft zeigen, sich über die Welt der Jungen Gedanken zu machen". Das fehle aber bei der Hofburg-Wahl. Filzmaier sieht eine demokratiepolitische Benachteiligung. "Bei der Hofburg-Wahl halte ich sie aber nicht für so groß wie etwa bei der Wehrpflicht." Filzmaier streicht hervor, dass es vor allem SPÖ und ÖVP in den letzten Jahren verabsäumt haben, mit den Jungen Politik zu machen.

Die weitere Spurensuche zeigt, dass sich bei den unter 30-Jährigen tatsächlich keine Tendenz abzeichnet. Sarah, 21, und in der Werbebranche tätig, wird wählen gehen, ihr fehlt aber der Bezug zu den Kandidaten. Pauline, Anfang 20, und Geschichts-Studentin, ist in einem politischen Haushalt aufgewachsen: "Ich wackle zwischen Hundstorfer und Van der Bellen", sagt sie. Daniel, 21, Berufsoffizier und dem bürgerlichen Milieu zuzuordnen, wird FPÖ-Kandidat Hofer wählen, der mit 45 Jahren der Jüngste am Wahlzettel ist.

Laut Zeglovits spielt das Alter nicht zwingend eine Rolle. "Van der Bellen war als älterer Bundessprecher der Grünen bei den Jungen beliebt." Wahlen seien auch eine Bildungsfrage, die Desinteressierten und -informierten gebe es in allen Altersgruppen. "Bei Jungen spricht man mehr darüber, was wichtig ist, weil die ersten Wahlen darüber entscheiden, ob man weiter hingeht oder nicht."

Zurück in die Wiener WG. Was kann der Bundespräsident überhaupt?", fragt Patrick, 20, gelernter Gartengestalter. Kollektives Schulterzucken. "Zu Neujahr sieht man ihn halt im Fernsehen, ab und zu in den Nachrichten", sagt Patrick. "Und sonst?" Aus der WG wird niemand zur Hofburg-Wahl gehen. Zu fern sind ihnen die Kandidaten und die Funktion des höchsten Amtes in Österreich.

Das Wiener Zeitungs-Spezial zur Hofburg-Wahl:

www.wienerzeitung.at/bpw16/