Zum Hauptinhalt springen

Gymnasium: Refugees meistens not welcome

Von Marina Delcheva

Politik

Asylsuchende Jugendliche kommen selten und nur mit wohlwollender Unterstützung auf AHS.


Wien. Flüchtlingskindern bleibt der Weg in ein Gymnasium in der Regel verwehrt. Außer, sie haben wohlwollende österreichische Förderer oder engagierte AHS-Direktoren an ihrer Seite. So wie ein 12-jähriges Mädchen aus Syrien, das im September 2015 nach Österreich kam und deren Pflegemutter Barbara Blaha ist, ehemalige ÖH-Sprecherin. Das Mädchen besucht die Unterstufe des Bundesgymnasiums Maroltingergasse im 16. Wiener Bezirk. Damit ist es eines von 63 Flüchtlingskindern, die im laufenden Schuljahr in Wien in einer AHS-Unterstufe eingeschult wurden. 1006 Kinder kamen auf eine Neue Mittelschule (NMS). Österreichweit kamen, mit Stand Jänner 2016, 114 von insgesamt 8453 schulpflichtigen Flüchtlingskindern in eine AHS-Unterstufe, so die Bildungsbeauftragte des Bildungsministeriums, Terezija Stoisits.

"Wir haben uns an den Hörer gehängt und alle Gymnasien in der Nähe durchgerufen", erzählt Blaha. Sie habe acht oder neun Absagen bekommen, immer mit der Begründung, dass man keinen Platz und keine Ressourcen habe, um ein Flüchtlingskind zu betreuen. In der Maroltingergasse habe es dann geklappt, auch weil man argumentierte, dass das Mädchen in der Heimat eine ähnliche Schulform besucht habe. "Sie fühlt sich sehr wohl dort und lernt wie eine Verrückte. Ich bin erstaunt, wie schnell sie Fortschritte macht", sagt Blaha. Die Schulleiterin war für eine Stellungnahme ohne ausdrückliche Erlaubnis des Stadtschulrats übrigens nicht zu erreichen.

Nun hat aber nicht jedes Flüchtlingskind Unterstützung von wohlwollenden Österreichern, die, wie Blaha, auch öffentlich bekannt sind. Für Eltern, die gerade erst nach Österreich geflohen sind und kein Wort Deutsch sprechen, ist es praktisch kaum möglich, ihre Kinder auf ein Gymnasium oder eine Schule mit Matura zu bekommen. Egal, ob die Kinder davor eine Eliteschule in Aleppo besucht haben oder noch nie in der Schule waren.

"Könnten Kinder nehmen"

Hierzulande gilt grundsätzlich: In ein Gymnasium kommt, wer Gymnasium-fit ist. Also nur Kinder, die in der vierten Klasse Volksschule gute Noten haben und ausreichend Deutsch sprechen, um dem Unterricht zu folgen. Wenn man es als frisch zugezogenes Kind trotzdem in eine AHS schafft, gleicht das einem Lottogewinn und hängt vom Wohlwollen der einzelnen AHS-Direktoren ab, die selbst entscheiden dürfen, ob sie ein Flüchtlingskind als außerordentlichen Schüler aufnehmen oder nicht. Und das bringt die Direktoren unter Umständen in Erklärungsnot. Denn jedes Flüchtlingskind, das einen Platz bekommt, nimmt diesen quasi einem anderen Kind, das hier geboren ist und besser Deutsch spricht, weg.

"Die AHS bewertet in Hinblick auf die Perspektive eines Bildungsabschlusses", erklärt Patrick Wolf vom Wiener Stadtschulrat. Grundsätzlich gilt, dass schulpflichtige Kinder einen Platz an einer Pflichtschule bekommen müssen, nicht aber an einer AHS. Und so landen alle schulpflichtigen Flüchtlingskinder, die zu alt für die Volksschule sind, in der Hauptschule oder in einer Neuen Mittelschule. Diese seien auch auf die Förderung dieser Kinder gut vorbereitet und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet, so Wolf. In Wien wurden wegen des verstärkten Zuzugs heuer 17 "Neu in Wien"-Klassen eingerichtet, in denen ausschließlich Kinder, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, unterrichtet werden.

"Das müsste gar nicht so sein. Wir könnten leicht ein bis zwei Kinder pro Klasse betreuen und sie langsam aufbauen", erzählt eine Gymnasiallehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch eine Direktorin einer innerstädtischen AHS berichtet, dass heuer mit Unterstützung der Lehrerschaft und des Elternvereins Flüchtlingskinder aufgenommen wurden, die sich auch gut und schnell eingelebt hätten. "Je jünger die Kinder sind, desto schneller holen sie auch auf. Wir haben überhaupt keine Schwierigkeiten mit ihnen", sagt sie.

Etwas weniger rosig schildert eine Lehrerin einer NMS die Situation. "Wir Lehrer tun unser Bestes, wirklich. Aber wenn die Kinder aus bildungsfernen Familien kommen und keiner in der Klasse Deutsch als Muttersprache hat, geht wenig weiter", sagt sie. Soziale Durchmischung gebe es an den NMS sowieso keine. Oder anders formuliert: Unter Umständen hat der kleine Akif aus Wien-Favoriten in seiner gesamten Schullaufbahn nie Kontakt zur kleinen Anna aus Währing, deren Eltern studiert haben. Offen und ohne ausdrückliche Erlaubnis des Stadtschulrats will kein Lehrer und keine Direktorin über Flüchtlinge in der Schule sprechen.

Selektives Bildungssystem

"Wir haben in Österreich eine starke Selektion im Bildungssystem in Hinblick auf den Migrationshintergrund", erklärt Mario Steiner, Bildungsexperte am Institut für Höhere Studien (IHS). Die Selektivität treffe vor allem Kinder und Jugendliche aus Drittstaaten, also Nicht-EU-Bürger. In diese Gruppe fallen auch Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Afghanistan.

"Je höher die Schulform ist, desto unterrepräsentierter sind diese Jugendlichen." Laut seiner Studie "Early School Leaving & Drop-out" ist die Wahrscheinlichkeit, das Bildungssystem frühzeitig ohne Abschluss zu verlassen, für Jugendliche mit Migrationshintergrund vier Mal so hoch wie für Österreicher. Laut Steiner verfügen 30 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren mit nicht-deutscher Muttersprache höchstens über einen Pflichtschulabschluss. Zum Vergleich: Im Österreich-Schnitt liegt die Schulabbrecherquote bei 13 Prozent. Zudem schaffen diese Jugendlichen einer IHS-Studie im Auftrag der Arbeiterkammer zufolge unterdurchschnittlich oft den Übertritt von einer NMS oder Hauptschule in eine weiterführende Oberstufenschule.

Vor allem in der Bundeshauptstadt, in die es besonders viele Zuwanderer zieht, ist diese Selektivität spürbar. Brigittenau, der 20. Wiener Gemeindebezirk, ist zum Beispiel der politische Bezirk mit dem größten Anteil an Jugendlichen, die das Bildungssystem früh verlassen haben. Hier haben 26 Prozent der 14- bis 25-Jährigen höchstens einen Hauptschulabschluss. "Mit allen sozialen Folgen, die das mit sich bringt", sagt Steiner. Die meisten von ihnen landen dann mit schlechten Jobchancen beim AMS und damit in den Wiener Parks. "Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wir müssen an der Selektivität unseres Bildungssystems arbeiten", sagt Steiner.