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Stillstand bei Ausgaben für die Forschung

Von Eva Stanzl

Politik

Die Forschungsausgaben stagnieren. Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny über die Gründe dafür und neue Lösungen.


Wiener Zeitung": Grundlagenforschung bildet die Basis für Innovation und ist entscheidend für die Weitereinwicklung des Standorts, versichert die Politik immer wieder. Dennoch sind im neuen Budget-Finanzrahmen keine Mittel-Erhöhungen dafür vorgesehen. Wie gibt es das?

Helga Nowotny: Ein Teil der Antwort liegt darin, dass die Bevölkerung nichts davon hält. Wir sehen den Nutzen zunächst unnütz erscheinenden Wissens nicht. Eine Frage im Eurobarometer 2015 lautet: Wenn keine unmittelbaren Resultate sichtbar sind, sollte Grundlagenforschung dennoch öffentlich gefördert werden? Von allen EU-Ländern hat Österreich mit 48 Prozent die niedrigste Zustimmung. Es liegt sogar hinter Island, das nur 300.000 Einwohner hat. Innovation Leader wie Schweden und Dänemark aber stimmen mit 82 respektive 78 Prozent zu. Nur in Österreich sind wir offenbar zu kurzsichtig, um einen Nutzen zu erahnen, der sich erst nach Jahrzehnten zeigt.

Es trifft aber nicht die Bevölkerung, sondern die Politik Entscheidungen über Forschungsausgaben.

Aber welche Anreize hat die Politik, etwas zu fördern, das die Bevölkerung für unnütz hält? Jede Regierung will kurzfristige Ergebnisse, die sich unmittelbar auf das Wirtschaftswachstum auswirken.

Der Wissenschaftsfonds FWF, der Grundlagenforschung fördert, ist unterdotiert - die Forschungsförderungsgesellschaft FFG für anwendungsorientierte Forschung vergleichsweise gut ausgestattet. Lässt sich damit politisch besser punkten?

Angewandte Forschung ist immer leichter zu verkaufen. Man tut etwas für die Klein- und Mittelbetriebe. Ich glaube allerdings, dass wir auch ein historisches Defizit haben: Im Kaiserreich hatte die Wissenschaft im Vergleich zur Kultur einen untergeordneten Stellenwert. Anders als in der Wissenschaftsmacht Deutschland ließ sich hierzulande nach dem Aderlass in der NS-Zeit auf keine nationale Identität zurückgreifen. Und anders als die Schweiz war Österreich keine arme Agrarnation, die Forscher aus aller Welt zukaufte. Erst in den letzen Jahren sind wir international offener geworden.

Mit welchen Argumenten könnte man das Ansehen der Grundlagenforschung erhöhen?

Der FWF könnte Programme überdenken - ein Fellowship für Top-Junge halte ich für denkbar, oder Programme nach dem Vorbild der VW-Stiftung, die Neues ausprobiert, das von anderen übernommen wird nachdem sich die Wirkung zeigt. Der Fonds wird auch die Sichtbarkeit der Grundlagenforschung erhöhen müssen: Vermutlich müssten hier auch Unis und viele andere mitmachen. Grundlagenforschung ist letzen Endes auch für die Innovation unabdingbar, hier spielt die Industriestruktur mit. Schweden hat eine Großindustrie - wir haben KMU-Strukturen im Mid-Tech-Bereich, durchaus mit international erfolgreichen Unternehmen. Zusammengefasst: Der Weg zum Innovation Leader hängt nicht nur von der Grundlagenforschung ab, aber ohne sie kann man nicht aufsteigen.

Sie sind für eine Offenheit zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung. Wie kann das ablaufen?

Die strenge Trennung gibt es nicht mehr - es gibt keine Tür, die sich plötzlich zum Produkt öffnet. Wie sich eine Krebszelle verhält, ist Grundlagenforschung, aber eine neue Therapie in Erwägung zu ziehen ein anwendungsorientiertes Ziel. Leider hat die Antragskultur dazu geführt, dass man zu früh angeben muss, wozu eine Idee gut sein soll. Das ist aber am Anfang nicht seriös abzuschätzen - wir haben diese Fragen daher in Anträgen für die ERC-Grants für Top-Forscher gestrichen.

Auch am renommierten Media Lab am Massachusetts Institute of Technology in Boston geht man offen an die Sache heran. Das Media Lab ist eine Spielwiese für Grundlagenforschung, aber die Türen stehen offen für Leute aus der Industrie, die sich für diese Spiele interessieren. Wenn ein Unternehmen sagt, da wäre vielleicht etwas für mich drin, kann man Prototypen machen oder gemeinsam weiterentwickeln.

In Österreich fehlen innovative Konzernriesen. Was können wir stattdessen tun oder verbessern?

An sich geben wir für Forschung, Entwicklung und Innovation im europäischen Vergleich genug Geld aus - mit Ausnahme der Grundlagenforschung. Die Frage ist eine der Verteilung und der Effizienz. Denn nur nach mehr Geld zu verlangen, ist nicht genug - man muss auch über Strukturreformen nachdenken.

Wohin sollen wir stagnierende Budgets umverteilen?

Österreich könnte mehr Mittel für den Wettbewerb zwischen den Unis einsetzen. Man könnte die Hochschulstrukturmittel (7 Prozent des Uni-Budgets zusätzlich bei bestimmtem Voraussetzungen) erhöhen und einen sinnvollen Wettbewerb um diese Gelder ermöglichen. Die Unis könnten mit ihren Stärken ins Rennen gehen und ihr Profil schärfen. Das fördert strategisches Denken - wenn die Summen sind groß genug sind. Neues Geld, das kommen muss, sollte kompetitiv vergeben werden, um Wettbewerb und Profilbildung zu stärken. Wenn die Studierenden dort hingehen, wo für sie die Ausbildung am besten ist, könnte uns das auch in den Rankings voranbringen. Vielleicht wäre das ein Anreiz für den Finanzminister, den Unis mehr Geld zu geben. Die andere Änderung ist das politische Tabu freier Hochschulzugang.

Der freie Hochschulzugang stellt aber auch einen Wert in einer Gesellschaft dar. Wollen Sie diesen Wert abschaffen?

Die Frage ist, wie viele Menschen ihn sinnvoll nützen. Die Mehrheit der Jungen kommt hat oft nur vage Vorstellungen von ihrem Fach. Idealerweise sollte man das Bachelor-Studium umstellen, denn was wir jetzt haben ist Bologna, wie es Österreich interpretiert: Man ist de facto gezwungen, einen Master zu machen, damit man nicht aus dem System fällt. Besser wäre eine Liberal Arts-Option mit einem Kerncurriculum, oder alternativ eine berufsorientierte Ausbildung. Beides bringt Bachelor-Absolventen, die vom Arbeitsmarkt aufgenommen werden sollten. Nur angehende Akademiker machen den Master. Und ab dem Master sollte der freie Hochschulzugang enden.

****<p>Wissen: Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt wird 2016 laut Schätzung der Statistik Austria zum dritten Mal in Folge bei knapp über drei Prozent liegen. Nach 3,07 Prozent 2014 und 3,1 Prozent 2015 soll heuer wieder eine Forschungsquote von 3,07 Prozent erreicht werden. Die Entwicklung wird auf die Stagnation der Forschungsausgaben des Bunds zurückgeführt.

In absoluten Zahlen steigen 2016 die F&E-Ausgaben gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich um 2,9 Prozent von 10,44 Mrd. Euro auf 10,74 Mrd. Euro. Das liegt allerdings unter dem Wachstum der heimischen Wirtschaftsleistung. Für heuer gehen die Statistiker davon aus, dass sich die Unternehmensausgaben auf 5,14 Mrd. Euro oder 47,8 Prozent der Gesamtsumme belaufen werden. Die öffentliche Hand trägt rund 3,83 Mrd. bei, was einen Anteil von 35,7 Prozent bedeutet. Aus dem Ausland kommen 1,72 Mrd. Euro (16 Prozent). Ursprünglich hatte sich die Regierung das Ziel gesetzt, bis 2020 die F&E-Quote auf 3,76 Prozent zu steigern.

Zur Person: Helga Nowotny, geboren 1937 in Wien, ist eine international anerkannte Wissenschaftsforscherin und Professorin emerita der ETH Zürich. Sie war Präsidentin des Europäischen Forschungsrats, ist Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und berät die österreichische Bundesregierung zur europäischen Forschung.