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Ist Hofer in Stichwahl noch zu schlagen?

Von Brigitte Pechar und Jan Michael Marchart

Politik

Van der Bellen schafft es in den zweiten Wahlgang. Politikberater sehen es aber als fast unmöglich an, den großen Vorsprung des FPÖ-Kandidaten einzuholen - außer die Wahlbeteiligung steigt deutlich. Einer sieht das "Ende der Zweiten Republik".


Wien. Schockstarre. So kann man die ersten Reaktionen aus SPÖ und ÖVP beschreiben. Man hatte in den Regierungsparteien schon mit einem blassen Ergebnis rechnen müssen, aber nicht mit einer derartigen Vernichtung. Norbert Hofer dagegen ist ein Triumph gelungen. Zum ersten Mal in der Zweiten Republik wird an der Spitze des Staates kein Mitglied von SPÖ oder ÖVP oder ein ihnen Nahestehender sein.

Der FPÖ-Kandidat Hofer liegt so weit vor seinen Kontrahenten, dass er nach Meinung von Politikexperten bei der Stichwahl am
22. Mai kaum zu schlagen sein wird. Als Gegner wird ihm der ehemalige grüne Bundessprecher Alexander Van der Bellen gegenüberstehen, der als unabhängiger Kandidat angetreten ist. Er konnte sich in einem knappen Rennen um Platz zwei gegen Irmgard Griss behaupten.

Und für Van der Bellen gilt es nun knapp 16 Prozentpunkte aufzuholen. Nur ein fulminanter Wahlkampf mit einem emotionalen Atout könnte einen Bundespräsidenten Hofer noch verhindern, ist der Politologe und Meinungsforscher Peter Hajek überzeugt. "Dennoch: Es gibt noch eine Mehrheit jenseits von Hofer", sagt Hajek.

Wahlbeteiligung lag unter der Wahl Heinz Fischers 2004

Auch Günter Ogris vom Forschungsinstitut Sora glaubt, dass es schwer wird, Hofers Vorsprung aufzuholen. Andererseits müsse man sagen, dass er sein Potenzial schon ausgeschöpft habe - und die Wahlbeteiligung war nicht allzu hoch, niedriger als bei der Wahl von Heinz Fischer im jahr 2004. "Wenn die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl signifikant steigt, ist es möglich, dass bei der Stichwahl der Zweite vorne ist."

Das zeigte sich zuletzt im Wiener Landtagswahlkampf im Vorjahr, in dem die FPÖ von der SPÖ auf Distanz gehalten werden konnte. Heinz-Christian Strache hatte den Kampf ums Rathaus ausgerufen - und verloren.

Ein offener Punkt ist laut den Politologen auch die Reaktion aus dem Ausland. Ein Beispiel dafür war der Bundespräsidentschaftswahlkampf 1986, als Kurt Waldheims Zugehörigkeit zur SA bekannt wurde und die ÖVP eine "Wir Österreicher wählen, wen wir wollen"-Kampagne auslöste.

Auch Politikberater Thomas Hofer (nicht verwandt mit dem Präsidentschaftskandidaten) befindet, dass der FPÖ-Kandidat in der Stichwahl "ganz schwer einzuholen" sein wird. "Stand heute, Sonntag, sind nur noch geringe Chancen da. Selbst wenn es einen Schulterschluss zwischen allen anderen gibt, wird es ganz schwer."

Griss, schätzt der Politikberater, hätte möglicherweise noch etwas größere Chancen gehabt als Van der Bellen. Jedenfalls spricht Hofer vom "Ende der Zweiten Republik, so wie wir sie kennen".

Das katastrophale Abschneiden von Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol ist nicht nur der allgemeinen schlechten Stimmung gegenüber der Regierung geschuldet. Der Wahlkampf selbst hat sicherlich auch einen Teil dazu beigetragen. Da wurde einerseits einem Kandidaten von den Wahlkampfstrategen etwas vorgeschrieben, das er nicht verkörpert - wie etwa im Fall Hundstorfer, der ja im Umgang mit den Menschen bisher eher unverkrampft gewirkt hat. Im Wahlkampf ist das Leutselige, das Hundstorfer als Gewerkschafter durchaus verkörpert, nicht rübergekommen.

Andererseits musste von der ÖVP plötzlich ein Polit-Pensionist aus dem Hut gezaubert werden, weil Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll in letzter Minute einen Rückzieher gemacht hatte. Dass weder Hundstorfer noch Khol als Antipoden zur Regierung auftreten konnten, war klar; sie waren daher von Beginn an - das haben die Meinungsforscher immerhin korrekt vorhergesagt - auf verlorenem Posten.

Der stringente Wahlkampf des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer hingegen hat gepasst, er war professionell gemacht wie die meisten FPÖ-Wahlkämpfe. "Die Flüchtlingsgeschichte beziehungsweise die Nachrichtenlage am Praterstern (Vergewaltigung, Anm.) haben ihm zusätzlich reingespielt. Aber das alleine ist es nicht. Bemerkenswert ist, dass es die anderen Anti-Regierungs-Systeme, Griss und Van der Bellen, nicht einmal annähernd geschafft haben, an Hofer heranzukommen", meint Politikberater Hofer.

Griss, Van der Bellenund der Frust vieler Bürger

Der Frust darüber, wie Demokratie in Österreich gelebt wird, konnte weder von Van der Bellen noch von Griss katalysiert werden. Der FPÖ-Kandidat dagegen schaffte es, genau das für sich zu nützen - und er hat triumphiert. Das Gros seiner Stimmen kommt aus einer Protesthaltung gegenüber der Regierung, so Meinungsforscher. Egal, wo man politische Debatten derzeit verfolgt, hört man eine klare Anti-Regierungsstimmung heraus - sehr häufig auch eine gegen "alle Politiker". Diesen Protest der sich marginalisiert fühlenden Menschen, kann die FPÖ, die immerhin von 2000 bis 2006 (auch als BZÖ) in der Regierung war, noch immer am besten an sich binden. Weder den Grünen mit Van der Bellen noch der unabhängigen Griss ist das gelungen. Bleibt anzumerken, dass Van der Bellens Karte mit der Unabhängigkeit vermutlich nicht gestochen hat.

Hofer, der als klarer Parteikandidat angetreten ist, hat sich von den Freiheitlichen nie distanziert. "Er hat rein vom Stil her die FPÖ-Botschaft weichgezeichnet, aber nicht in der Sache. Der FPÖ ist es auch diesmal gelungen, über die FPÖ-Wähler hinaus weitere Wählerschichten anzusprechen", sagt Politberater Hofer.

Van der Bellen selbst, der wohl in den kommenden Tagen prominente Unterstützer erhalten wird, meint: "Ich glaube, das ist im zweiten Wahlgang zu schaffen."

In den Parteizentralen von SPÖ und ÖVP gibt es vorerst bloß noch eine leise Hoffnung: dass ein blauer Bundespräsident die Lust der Österreicher auf einen blauen Bundeskanzler zerstören möge. An Tagen wie diesen klammern sich die Verlierer eben an jeden Strohhalm.