Wien. Ein Video, Tausend Kommentare. Heinz-Christian Strache weiß, wie Facebook geht - und wo die neuen Grenzlinien in der politischen Landkarte gezogen sind, nämlich nicht mehr zwischen Rot und Schwarz, den einstigen großen Lagern. Am Montag postete der FPÖ-Parteichef ein kurzes Interview einer Unterstützerin von Alexander Van der Bellen aus einer ORF-Nachrichtensendung. Sie sagt: "Ich habe mir gedacht, dass die ÖsterreicherInnen klüger sind". Mehr hat’s nicht gebraucht.

In den paar Worten ist genug drin, um die blaue Kommentarmaschine anzuwerfen: der Vorwurf des Verwählens, der Dummheit und - auch das treibt die Wut an - das gesprochene Binnen-I. Selbst so ein Detail spaltet mittlerweile offenbar die Gesellschaft.

Mit klassischer Politik hat das aber nichts mehr zu tun, es geht vielmehr um Lebensstile und die Sicht auf die Welt und ihren Wandel. Selbst das Fahrradfahren ist inzwischen eine politisch punzierte Tätigkeit geworden, ebenso das Rauchen und bestimmte Essgewohnheiten.

Eine Unversöhnlichkeit zweier politischer Lager ist Österreich nicht unbekannt, doch man kennt sie fast nur mehr aus Geschichtsbüchern und Erzählungen. "Es war charakteristisch für die Zwischenkriegszeit", sagt Max Preglau, Soziologe an der Uni Innsbruck. In der Zweiten Republik zog sich dies vorerst zwar weiter. Doch erstens boten die beiden "Reichshälften" genügend Möglichkeiten - von der Bank, dem Sportverein bis zum Supermarkt - um die Welt (heute: Blase) des anderen kaum betreten zu müssen. Zweitens gab es auf politischer Ebene durch die Sozialpartnerschaft einen institutionalisierten Ausgleich zwischen den Lagern. Dieses mediative Element fehlt bei Blau und Grün.

"Mit der Wachstumsentwicklung hat sich das Lagerdenken relativ schnell aufgelöst", sagt Preglau. Die Gesellschaft hat sich mehr und mehr in die Mitte bewegt, ökonomisch wie politisch. Österreich erlebte damit eine Periode starker gesellschaftlicher Stabilität. Lagerdenken? Das war einmal. Bernhard Heinzlmaier, Leiter des Instituts für Jugendforschung, sagt: "Es gibt keine großen Ideologien mehr."

Dennoch bricht da offenkundig etwas auf. Soziologe Preglau beobachtet eine "Differenzierung der Lebensstile", wie er sagt. "Es gibt sozioökonomische Gruppen, die sich von einander abkoppeln, sich abschätzig betrachten und nicht mehr kommunizieren. Von diesen segmentierten Milieus scheint es viele zu geben, die sich nicht mehr zu gesellschaftlichen Projekten versammeln."