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Die Krise der bestehenden Ordnung

Von Jan Michael Marchart

Politik

Zerfall der Parteibindung, Misstrauen in die Politik und neue Kräfteverhältnisse - | die Hofburg-Wahl verdeutlicht die neuen Zeiten in der heimischen Politik.


Wien. Das Wahlergebnis vom Sonntag brachte die Statik des österreichischen Parteiensystems gehörig ins Wanken. Erstmals haben mit Norbert Hofer (FPÖ) und Alexander Van der Bellen (Grüne) zwei Kandidaten außerhalb von SPÖ und ÖVP die Möglichkeit, das höchste Amt Österreichs zu bekleiden. Die Zeit der Zweiten Republik, geprägt durch die Koalition von Rot und Schwarz, scheint damit ein Ende zu nehmen. Diese Beobachtung unterstreicht eine am Dienstag präsentierte Studie der Politikwissenschafter Fritz Plasser und Franz Sommer auf Basis von 1500 Telefoninterviews.

Die große Koalition hat in den letzten Jahren zunehmend an Einfluss verloren. Sie wird nicht größer sondern kleiner, und obwohl SPÖ und ÖVP nach wie vor alle neun Landeshauptleute stellen, wird mit Rot-Blau im Burgenland oder Schwarz-Blau in Oberösterreich deutlich, dass der heimischen Politiklandschaft eine große Veränderung bevorsteht.

Auch der Zeitgeist spricht gegen dieses über viele Jahre stabile rot-schwarze Parteienkonstrukt. Die Stammwählerschaft erodiert, immer weniger Menschen in Österreich fühlen sich an eine der traditionellen Parteien gebunden. Vor allem bei jungen Menschen ist die Parteiloyalität praktisch nicht mehr zu finden. Das bedeutet auch: SPÖ und ÖVP können nicht mehr davon ausgehen, dass ihnen die Wähler ab einem bestimmten Alter quasi automatisch ihre Stimme geben, gleichzeitig geht die Mobilisierungsfähigkeit der Altparteien von Wahl zu Wahl zurück. Zur Veranschaulichung: In den 1970er-Jahren haben sich noch 65 Prozent der Menschen in Österreich mit einer Partei identifiziert, heute ist es nur mehr knapp ein Drittel. Diese kleiner werdende Loyalität trifft die Traditionsparteien SPÖ und ÖVP ungleich stärker als die Oppositionsparteien, die ohnehin kleine Stammwählerschaften haben.

Plasser und Sommer beobachteten bei der Umfrage zur Bundespräsidentenwahl zudem auch dramatisches Misstrauen in Parteien und Politiker und eine hohe Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit. "Das ist ein ernstes Problem für alle politische Eliten und Parteien", erklärt Plasser. "Und die beiden Koalitionsparteien haben kein Rezept, wie sie mit dieser Destabilisierung umgehen." Keine der ehemaligen Großparteien würde vermitteln, sich mit den Alltagsthemen, mit den Sorgen und Ängsten der Leute zu beschäftigen. "Diskussionen finden nur noch auf einer Meta-Ebene statt", so Plasser. Noch schneiden Regierung, Parteien und Politiker bei den Wählern der Koalitions-Kandidaten Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) aber vergleichsweise gut ab. Die Wähler von Irmgard Griss und Alexander Van der Bellen (Grüne) liegen mit ihrer Zustimmung zwischen einem Drittel und einem Viertel etwa im Durchschnitt. Bei einem Wähleranteil von knapp über 10 Prozent ist das für SPÖ und ÖVP aber allenfalls ein kleiner Trost.

Diese Skepsis gegenüber der Regierung und Politikern sei für das Ergebnis und den beachtlichen Vorsprung Hofers ausschlaggebend gewesen, sagte Plasser. 93 Prozent der Hofer-Wähler haben demnach nur wenig oder gar kein Vertrauen in Parteien und Politiker, 84 Prozent von ihnen sind mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden.

Den wohl stärksten Einfluss auf die Wahl hatte aber die Flüchtlingskrise, obwohl sie weit außerhalb der Kompetenzen des Bundespräsidenten liegt. "Sie spaltet nicht nur die Wählerschaft insgesamt, sondern auch die Wählerschaften der Kandidaten", erklärt Plasser. "Die Einstellung der Wähler, was die Möglichkeiten anlangt, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, ist mehrheitlich skeptisch und ablehnend."

Bei den Stichwahlkandidaten teilt sich die Wählerschaft in zwei Lager. Dreiviertel der Wähler Van der Bellens sind der Meinung, dass die Willkommenskultur anhalten soll und Österreich weitere Flüchtlinge aufnehmen kann. Dem stehen 84 Prozent der Anhänger Hofers gegenüber, die die Kapazitäten des Landes für erschöpft halten. Pikant für den aktuellen Richtungsstreit in der SPÖ: Laut der Studie wollen etwa 60 Prozent der Hundstorfer-Wähler, dass Österreich keine Flüchtlinge mehr aufnimmt.

Welche Konsequenzen der Zerfall der Parteibindungen mit sich bringt, zeigt laut Plasser die zunehmende Aufgliederung der Kandidatenwahl nach Parteipräferenzen. Jeder zweite Wähler, der bei der Nationalratswahl 2013 SPÖ oder ÖVP gewählt hat, entschied sich im Rennen für die Hofburg für einen anderen Kandidaten. Mehrheitlich bei ihrer Partei blieben nur Anhänger der Freiheitlichen und Grünen. Knapp ein Viertel der SPÖ-Wähler von 2013, ging am Sonntag zur FPÖ über. Bei der ÖVP war es jede siebente Stimme. "Die mächtige Wiener SPÖ konnte früher viele Wähler mobilisieren, bei der Hofburg-Wahl suchte man rote Punkte in Wien vergeblich."

Zusammengefasst zeigt sich eine Verschiebung der Machtverhältnisse. SPÖ und ÖVP verlieren an Einfluss durch den Zerfall der Parteienbindung und der Skepsis der Bürger gegenüber den Eliten. Profiteur dieser Entwicklung ist die FPÖ, die auch die Flüchtlingskrise für sich zu nutzen weiß. Diese wird vor der Stichwahl ein dominantes Thema bleiben. Plasser glaubt an ein knappes Rennen. Er schätzt, dass Van der Bellen noch jene Wähler ansprechen kann, die nicht den harten Kurs der FPÖ vertreten wollen. Andererseits sieht er für Hofer auch noch Potenzial bei Wählern von SPÖ und ÖVP, die laut der Studie einen restriktiveren Kurs gegen Flüchtlinge befürwortet haben.