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SPÖ macht Christian Kern zum neuen Kanzler

Von Brigitte Pechar

Politik

Bisheriger ÖBB-Generaldirektor soll schon am Mittwoch Ministerrat leiten, anschließend stellt er sich dem Nationalrat vor.


Wien. Zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik wird ein Quereinsteiger Bundeskanzler. Die SPÖ-Landesparteichefs werden sich am Freitag für ÖBB-Generaldirektor Christian Kern (50) als Nachfolger von Werner Faymann als Bundeskanzler aussprechen - einstimmig. Ort des Geschehens: das Wiener Rathaus.

Bürgermeister Michael Häupl, der seit dem Abgang von Werner Faymann als Bundeskanzler und Parteivorsitzender am vergangenen Montag die SPÖ interimistisch führt, hat die Vorsitzenden der SPÖ-Landesorganisationen geladen. Da sich, nachdem sich auch Burgendlands Landeshauptmann Hans Niessl in die Mehrheit einreihte, alle außer Wien für Kern als Kanzlernachfolger ausgesprochen haben, ist das Treffen am Freitag nur noch Formsache.

Angelobung am Mittwoch

Endgültig abgestimmt wird über diese Entscheidung kommenden Dienstag im Parteivorstand der SPÖ. Dort soll Kern als Parteivorsitzender designiert werden, bereits für Mittwoch früh ist die Ernennung durch Bundespräsident Heinz Fischer geplant. Atempause gibt es keine, denn gleich darauf wird Kern seinen ersten Ministerrat leiten und im Anschluss daran dem Nationalrat seine Vorstellungsvisite ableisten. Die Wahl zum Parteivorsitzenden ist für 25. Juni geplant, im Herbst hält die SPÖ ihren ordentlichen Parteitag mit Beschluss eines neuen Parteiprogramms ab.

Es war eine einmalige Vorgangsweise, dass ein Bundeskanzler Regierung und Partei verlässt, ohne die Nachfolge geordnet zu haben. Als Faymann am Montag Freund und Feind mit seinem Rücktritt überraschte, herrschte vorerst einmal Ratlosigkeit - sowohl bei der ÖVP, aber vor allem natürlich bei den Genossinnen und Genossen. Diese konnten sich in der Vorstandssitzung am Montag noch nicht auf einen der beiden favorsierten Kandidaten - Christian Kern und Gerhard Zeiler - einigen. Vor allem Wiens Bürgermeister Häupl wollte noch mit Zeiler sprechen. Das hat er am Donnerstagvormittag getan.

Der frühere ORF-Generalintendant und nunmehrige Präsident von Turner Broadcasting System International, dem alle Unterhaltungs-, Nachrichten- und Kinderkanäle des Unternehmens außerhalb Nordamerikas, darunter CNN International, unterstehen, hat sich dabei selbst aus dem Rennen genommen. Er stehe für eine Kampfkandidatur gegen den ÖBB-Chef nicht zur Verfügung, teilte er Häupl mit.

Zeiler ist nicht enttäuscht

Zeiler will nicht enttäuscht sein, dass sich die SPÖ für Kern entschieden hat. In der "Presse" berichtet er, dass die beiden vor einigen Monaten die Vereinbarung getroffen hätten, den jeweils anderen zu unterstützen: "Das war eine klare Rollenverteilung."

Egal, was Christian Kern brauche, er werde es von ihm bekommen, sagt Zeiler und meint: "Beratung, meine Sicht und auch die ungeschminkte Wahrheit." Nach Darstellung Zeilers wäre er der Gegenkandidat geworden, hätte sich Faymann am Parteitag noch einmal der Wahl gestellt. Das sei nun nicht mehr nötig: "Faymann ist gegangen. Ich habe erreicht, was ich wollte."

Dem bisherigen ÖBB-Manager fällt nun keine leichte Aufgabe zu. Es gibt mehr als eine Baustelle zu beenden. Da ist zuerst einmal die Neuaufstellung des SPÖ-Regierungsteams. Dem Vernehmen nach soll Kern seine neue Regierung bereits fix und fertig aufgestellt haben.

Mitterlehner für Relaunch

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und der geschäftsführende SPÖ-Vorsitzende Häupl haben jedenfalls schon einmal Pläne für die weitere Zusammenarbeit beraten. Mitterlehner verwies danach einmal mehr auf den Standortpakt für Wirtschaft und Arbeitsplätze, eine Reform der Mindestsicherung sowie die Flüchtlingspolitik. Gerade Letzteres müsse "konsequent fortgesetzt" werden, so der ÖVP-Chef auf Facebook.

Die genannten Punkte würden aber nur beispielhaft dafür stehen, dass ein "Relaunch der gesamten Regierungsaktivitäten notwendig" sei, um wieder mehr Vertrauen bei der Bevölkerung zu gewinnen. Noch vor der Angelobung werde er mit dem neuen SPÖ-Bundeskanzler über diese Themen sprechen, sagte Mitterlehner weiter.

Kann Kern Kanzler? Diese Frage beantworten langjährige Begleiter des Managers (zuerst Verbund, dann ÖBB) mit Ja. Kern werde sofort sehr strategisch an die auf dem Tisch liegenden Themen herangehen: Asyl, Arbeitslosigkeit, FPÖ, Mindestsicherung. Ob Kern bereit ist, die harte Asylpolitik fortzusetzen, ist nicht klar. Schließlich hat er sich im vergangenen Sommer beim Massenansturm der Flüchtlinge sehr engagiert gezeigt, deren geordnete Weiterreise nach Deutschland organisiert, Sonderzüge nach Ungarn geschickt, um Flüchtlinge zu holen, die Bahnhöfe zu Hilfs- und Notunterkünften umorganisiert. Dass er an baldige Neuwahlen denkt, glaubt man in seiner Umgebung jedenfalls nicht.

Inhaltlich erwarten sich Kenner des bisherigen ÖBB-Generaldirektors, dass künftig wieder Politik gemacht werde in diesem Land. Politik statt Taktik - und vor allem statt Boulevard-PR. Wobei Kern nicht als Ideologe gilt, sondern als pragmatischer Denker. Und als einer, der stets auch den Kontakt zu Mitarbeitern suche. So soll er einen Salzburger ÖBB-Schaffner, der von einem Bahnkunden in einem E-Mail lobend erwähnt wurde, extra zu sich in die ÖBB-Zentrale nach Wien bestellt haben, um ihm persönlich seinen Dank auszusprechen. Umgekehrt scheute er als Manager auch nicht davor zurück, Kritik zu üben. Und: Kern gilt als ehrgeizig. Das sei er schon an der Universität gewesen, sagt ein ehemaliger Professor über ihn.

Aufbruchsstimmung in SPÖ

Nicht nur in der Regierung, sondern auch in der SPÖ-Zentrale wird vermutlich kein Stein auf dem anderen bleiben. Gerhard Schmid, ein enger Vertrauter von Faymann, wird vermutlich nicht an der Schaltstelle der Partei in der Wiener Löwelstraße bleiben. Auch die Kommunikationspolitik dürfte sich unter ihm ändern. In seiner neuen Tätigkeit kommt Kern die Erfahrung zu Hilfe, die er an der Seite von Peter Kostelka sammeln konnte: Ab 1991 als Assistent des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt und ab 1994 als Büroleiter und Pressesprecher des Klubobmanns im Nationalrat Auch Kostelka galt als ruhiger, Typ, der sehr pragmatisch und überlegt an Aufgaben herangegangen ist.

In der Partei jedenfalls scheint man sich mit dem neuen Chef schon anzufreunden. Die Wörter "Dynamik" und "Aufbruchsstimmung" kommen häufig vor, wenn Parteimitglieder von ihrem neuen Vorsitzenden in spe sprechen.