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Streitfrage Europa

Von Reinhard Göweil

Politik
© jamdesign/Fotolia

Einstimmigkeit bei den europäischen Beschlüssen - Alexander Van der Bellen ist dagegen, Norbert Hofer dafür. Was den Verbleib in der EU betrifft, sind sich die Kandidaten näher als gedacht.


Wien. Die unterschiedlichen Meinungen zu Europa offenbaren sich bei den beiden Präsidentschaftskandidaten nicht unbedingt auf den ersten Blick. Ein Beispiel: Sowohl Alexander Van der Bellen als auch Norbert Hofer sind für ein "subsidiäres Europa", also eine Aufgabenteilung zwischen Nationalstaat und EU von unten organisiert. Der Teufel liegt aber schon hier im Detail.

Die "Wiener Zeitung" versucht, die unterschiedliche Meinung herauszuarbeiten. Mit Alexander Van der Bellen gab es dazu ein persönliches Gespräch, mit Norbert Hofer war ein solches aus Termingründen nicht möglich. Er hat sich zur EU aber mehrfach in der Öffentlichkeit geäußert.

Der deutlichste Unterschied der beiden tritt bei der Frage nach dem Einstimmigkeitsprinzip von EU-Beschlüssen zutage. Norbert Hofer will dies beibehalten, vor allem in "Wirtschaftsfragen", wie er bei der jüngsten ORF-Konfrontation sagte. Dadurch könnten kleine Länder auf Augenhöhe mit den "Großen" mitentscheiden. Van der Bellen hält dagegen: "Es ist die hohe Kunst der Politik, Allianzen zu bilden."

Alexander Van der Bellen kann diesem Prinzip nur noch wenig abgewinnen. "Den Regierungschefs ist im Ernstfall das Hemd näher als der Rock. Die Einstimmigkeit macht die EU nahezu beschlussunfähig, das zeigt sich seit der Finanzkrise 2008 und auch beim Flüchtlingsthema."

Sein Beispiel: Wäre Österreich ähnlich organisiert wie die EU, müssten neun Landeshauptleute und die von ihnen nominierten neun Kommissions-, sprich: Regierungsmitglieder, alle Gesetze einstimmig ausarbeiten und dann auch einstimmig beschließen. Das würde die Gesetzeswerdung wohl zum Stillstand bringen. In der Finanzkrise ging die EU daher den Weg, die diversen Rettungspakete bilateral zu beschließen, also zwischen den Mitgliedsstaaten. Dadurch verlor allerdings das Europaparlament jegliche Kontrollrechte an den doch sehr weitreichenden Beschlüssen. Dafür sollte sich Europa auf weniger und große Fragen konzentrieren, das ist die sogenannte Subsidiarität.

Hier stimmen Van der Bellen und Hofer grundsätzlich überein. Allerdings blieb im laufenden Wahlkampf offen, welche Aufgaben der jeweilige darunter versteht. Van der Bellen nennt aber die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik - als Zukunftsprojekt.

Ein Austritt Österreichs aus der Europäischen Union kommt für ihn nicht in Frage. Norbert Hofer will einen EU-Austritt, wenn die Türkei der EU beitreten sollte. Das ist allerdings in sehr weite Ferne gerückt, niemand in der Union, also weder im Parlament noch im Europäischen Rat, forciert ein solches Vorgehen. De facto ist also auch Hofer für einen Verbleib in der EU. Er sagte allerdings am 10. April bei der ORF-Pressestunde: "Wenn Österreich heute nicht Mitglied wäre und beitreten wollte, würde ich mit Nein stimmen." Diesen Satz wiederholte Hofer aber im Wahlkampf zur Stichwahl nicht mehr, sondern verwies auf das Modell Schweiz.

Industrie und Wirtschaft forcieren Van der Bellen

In Wirtschaftskreisen wird aber befürchtet, dass Hofer als Bundespräsident einem klaren Anti-EU-Kurs das Wort reden würde. Das führte zu Wahlempfehlungen für Van der Bellen von eher ungewohnter Ecke: Die ehemaligen ÖVP-Politiker Franz Fischler und Josef Pröll sind für den Ex-Grünen-Chef. Und zuletzt sprach sich auch Irmgard Griss wegen der Haltung zu Europa öffentlich für Van der Bellen aus.

Auch beim geplanten Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, sind die beiden Anwärter aufs Präsidentenamt eher semantisch getrennt denn inhaltlich. Hofer bekämpft TTIP grundsätzlich, durchaus auf Linie mit der "Rechtsaußen"-Fraktion im Europaparlament, der auch die FPÖ angehört. Van der Bellen ist nicht grundsätzlich gegen freien Handel, aber sehr wohl gegen das Abkommen, wie es im Moment auf dem Tisch liegt. Allerdings sprechen sich auch die Regierungsparteien im österreichischen Parlament einstimmig dagegen aus.

Hofer mutmaßt, dass die EU-Kommission Teile von TTIP "vorläufig" in Kraft setzen will und dadurch Fakten schafft. Das wird von Europarechtlern allerdings vehement verneint. Die Kommission in Brüssel verfüge nicht über die notwendigen Kompetenzen dafür. Der aus der ÖVP stammende Europa-Abgeordnete Othmar Karas stellte zudem klar, dass TTIP als sogenanntes "gemischtes Abkommen" verhandelt werde. Das bedeutet, dass die nationalen Parlamente dem Abkommen zustimmen müssen.

Einig sind einander Van der Bellen und Hofer auch bei der Frage der Atomenergie. Die jüngsten Ideen der EU-Kommission, Atomkraftwerke zu fördern, hat bei beiden die Forderung ausgelöst, aus dem Euratom-Vertrag auszusteigen.

Die Frage aber lautet, welche Kompetenzen der Bundespräsident bei diesen Fragen hat. Van der Bellen will sich hier durchaus Heinz Fischer zum Vorbild nehmen und nicht immer laut auftreten, sondern "diplomatisches Einfühlungsvermögen" zeigen.

Norbert Hofer scheint hier gewillt, die verfassungsmäßigen Möglichkeiten des Präsidentenamtes viel deutlicher wahrzunehmen. "Sie werden sich noch wundern, was alles geht", hat als Satz seine Befürworter erfreut und Hofers Gegner erschreckt.

Die Vertretungsbefugnis Österreichs in der EU liegt allerdings klar beim Bundeskanzler. In den Ministerräten vertreten die jeweiligen Regierungsmitglieder das Land, Finanzminister Hans Jörg Schelling etwa im Ecofin.

Hofer will nun manchmal, wenn es um wichtige Dinge geht, nach Brüssel reisen. Diplomaten befürchten, dass hier - abseits der Regierung - eine "Präsidial-Diplomatie" entsteht, die in der EU eher für Verwirrung führen wird. Hofer sieht diese Gefahr nicht. Einig sind beide Kandidaten übrigens auch beim Bargeld. Von der Abschaffung des 500-Euro-Scheins halten sie nichts.