Wien. Im Kampf um das Präsidentenamt in Österreich liefern sich der Rechtspopulist Norbert Hofer und sein unabhängiger, von den Grünen unterstützte Rivale Alexander Van der Bellen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wer den Wettlauf um das oberste Staatsamt in der Alpenrepublik gewinnt, stand nach der Stichwahl am Sonntag noch nicht fest. Erst die Auszählung der knapp 900.000 Briefwahlstimmen am Montagnachmittag wird Gewissheit über den Sieger bringen. Die Wahlbeteiligung ohne Briefwahl lag bei 60,7 Prozent. Berechnet man den erwarteten Briefwahlrekord mit ein, dürfte die gesamte Beteiligung allerdings noch auf mehr als 72 Prozent steigen.
Der Kandidat der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei (FPÖ), Hofer, lag in der ersten Hochrechnung knapp vorn, verlor im Verlaufe der Auszählung aber stetig Stimmen an den ehemaligen Vorsitzenden der Grünen, Van der Bellen. In der jüngsten Hochrechnung des Instituts Sora im Auftrag des ORF lagen die beiden Kandidaten mit 50 Prozent gleichauf. In diesem Ergebnis sind auch erste Schätzungen für die Briefwahl eingeflossen. Laut vorläufigem Endergebnis - indem noch keine Briefwahlstimmen berücksichtigt sind - liegt Hofer mit 51,9 Prozent voran. Van der Bellen kommt demnach auf 48,1 Prozent.

"Das hat sich niemand gewünscht, wir wollten beide heute gut schlafen. Ich bin schon lange in der Politik, ich habe aber noch nie so einen Wahlabend erlebt", sagte Hofer. Sein Kontrahent Van der Bellen zeigte sich in einer ersten Reaktion stolz, dass er den großen Vorsprung von Hofer aufgeholt habe. Der FPÖ-Kandidat hatte die erste Runde der Präsidentenwahl vor vier Wochen mit gut 35 Prozent klar gewonnen. Das war das bisher beste Ergebnis der FPÖ in einer bundesweiten Abstimmung. Van der Bellen lag rund 14 Prozentpunkte hinter Hofer. Allerdings blieb damals ein Drittel der rund 6,4 Millionen Wahlberechtigten der Abstimmung fern. "Die wenigsten haben geglaubt, dass das aufholbar ist", sagte Van der Bellen nach der Hochrechnung.
Erster rechtspopulistischer Präsident in EU-Mitgliedstaat
Sollte Hofer als Sieger aus dem Rennen gehen, würde erstmals in einem EU-Mitgliedsland ein Rechtspopulist das höchste Staatsamt übernehmen. Auf die Frage, ob ein Sieg der FPÖ der "schlimmste Rechtsruck in Österreich seit 1945" sei, antwortete Hofer: "Das ist völlig absurd". Die FPÖ sei keine Partei, die ganz rechts stehe. "Ich würde mich als Mitte-Rechts-Politiker mit großer sozialer Verantwortung bezeichnen", sagte Hofer.
Die FPÖ profitierte zuletzt vor allem von der Flüchtlingskrise. Die rot-schwarze Bundesregierung hatte zwar zuletzt ihren Asylkurs im Einklang mit den Staaten auf dem Balkan deutlich verschärft. Punkten konnten die Kandidaten von den beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP damit aber nicht. Sie hatten erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs keine Chance mehr, den Bundespräsidenten zu stellen. Ihre Kandidaten landeten im ersten Wahlgang mit jeweils rund zehn Prozent weit abgeschlagen. Auch deswegen trat Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) Anfang Mai zurück.
Wirtschaftliche Angst stärkstes Hofer-Wahlmotiv
Die FPÖ ist hingegen seit Jahren im Aufwind. Die Partei legte bei den jüngsten Regionalwahlen in Wien, Oberösterreich und im Burgenland stark zu und kommt in Umfragen auf Bundesebene auf rund 30 Prozent der Wählerstimmen. Der 45-jährige gelernte Flugzeugtechniker Hofer punktete im Wahlkampf mit seinem Anti-EU-Kurs und seiner Forderung nach einer strengeren Asylpolitik. Auf seiner Internet-Seite wirbt Hofer damit, dass das wichtigste politische Projekt der Schutz der Grenzen sei. Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei bezeichnete er als "fatal". Politologen zufolge war das stärkste Wahlmotiv für Hofer-Wähler jedoch die wirtschaftliche Angst. Demnach trauen die Österreicher Hofer eher zu, die Alltagsproblem zu lösen.
Der 72-jährige studierte Wirtschaftswissenschaftler Van der Bellen vertritt hingegen einen liberaleren Asylkurs und ist nach eigenen Angaben "pro-europäisch". Er ist selbst als Immigrantenkind in Österreich aufgewachsen. Rückenwind bekam der Ex-Parteichef der Grünen vom neuen Kanzler Christian Kern (SPÖ).
Knappste Wahl der zweiten Republik
Wie auch immer das Ergebnis nach Auszählung der Briefwahlstimmen heute Abend, vielleicht bereits am Nachmittag, lautet: Man kann zumindest nach den Prognosen davon ausgehen, dass diese Entscheidung die knappste aller nunmehr 13 Hofburg-Wahlen der Zweiten Republik wird. Das ist der Fall, wenn keiner der beiden Kandidaten über 50,69 Prozent kommt.
Denn diese knappen 50,69 Prozent verhalfen 1965 Franz Jonas (SPÖ) zu seinem Einzug in die Hofburg. Damals hatte es schon im ersten Wahlgang nur zwei Kandidaten, Jonas und Alfons Gorbach (ÖVP) gegeben. Sechs Jahre später hielt sich Jonas mit 52,78 Prozent im Amt, sein einziger Gegenkandidat war da Kurt Waldheim, der 15 Jahre später erst Bundespräsident wurde. Und zwar als einziger Stichwahl-Kandidat (gegen Kurt Steyrer/SPÖ), der auch im zweiten Wahlgang vorne blieb.
Meinungsforscher tippen auf Van der Bellen
In der aktuellen Hofburg-Wahl sieht es - zumindest nach den Prognosen der Meinungsforscher - so aus, als könnte letztlich mit der Auszählung der Briefwahl doch der Zweite der ersten Runde, Van der Bellen, Bundespräsident werden. Und dies, obwohl der Vorsprung seines Gegenkandidaten groß wie nie zuvor in einer Stichwahl war. Um 13,71 Prozentpunkte war Hofer am 24. April stärker als Van der Bellen - der jetzt mit dem knappsten Entscheidung aller Wahlen Präsident werden könnte. Er wäre dann der dritte Stichwahl-Kandidat, der es schaffte, das Ergebnis des ersten Wahlganges noch umzudrehen.
Einer von ihnen hat zwischen erstem und zweitem Wahlgang noch etwas mehr wettgemacht: Thomas Klestil (ÖVP) lag 1992 erst um 3,45 Prozentpunkte hinter Rudolf Streicher (SPÖ) - und ging aus dem Stechen um 13,78 Prozentpunkte (und damit 56,89 Prozent) stärker hervor als der SPÖ-Kandidat.
Das bisher knappste Ergebnis der nun vier Stichwahlen gab es im Jahr 1951: Theodor Körner (SPÖ) gewann mit 52,06 Prozent gegen Heinrich Gleißner (ÖVP).
