Linz/Wien. Dieses Wahlergebnis wird das Land und seine Leute noch einige Zeit umtreiben - von den Parteien erst gar nicht zu reden. Zu ein- und gleichzeitig vieldeutig war das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer.
Da ist einmal die regionale Differenz. In den großen urbanen Agglomeration wie Wien, Linz, Graz, Innsbruck lag Van der Bellen um 20 Prozentpunkte vor Hofer, in den ländlichen Regionen war es genau umgekehrt. Und das Ergebnis der rund 770.000 abgegebenen Briefwahlstimmen spiegelte exakt das Wahlverhalten der großen Städte wider, so die Nachwahlanalyse des Politologen Fritz Plasser und des Meinungsforschers Franz Sommer.
Die regionale Herkunft bestimmte aber längst nicht im Alleingang das Wahlverhalten. An einem Vergleich der oberösterreichischen und steirischen Industrieräume lässt sich das gut veranschaulichen.
Die Gemeinden im oberösterreichischen Zentralraum zwischen Linz, Wels und Steyr hatten noch bei der Landtags- und Gemeinderatswahlen vom September 2015 ein blaues Wunder erlebt. Bei der Landtagswahl wurde die FPÖ im ehemals tiefroten Bezirk Steyr mit 31 Prozent stimmenstärkste Partei, in der Stadt Wels waren es sogar 34,5 Prozent, die FPÖ hier stellt mit Andreas Rabl nun auch den Bürgermeister. Doch am vergangenen Sonntag behielt Van der Bellen im Bezirk Steyr mit fast 55 Prozent deutlich die Überhand, in Wels schaffte er 52 Prozent.
Blaue Träume in
Oberösterreich verpufften
Ganz anders das Bild in den steirischen Industriegebieten. Auch hier feierte die FPÖ bei Landtags- und Kommunalwahlen im vergangenen Jahr teils kräftige Zuwächse in den roten Hochburgen, doch anders als im oberösterreichischen Zentralraum votierten die Bürger der Mur-Mürz-Furche mehrheitlich für den FPÖ-Kandidaten Hofer. Was also läuft in Oberösterreich anders?
Der Steyrer SPÖ-Bürgermeister Gerald Hackl hat dafür eine einfache Erklärung: Der städtische Raum habe, auch bei der Stichwahl, links der Mitte gewählt - und zwar in ganz Österreich. In den Industriegegenden der Steiermark fehle eine vergleichbare urbane Struktur, wie sie im oberösterreichischen Zentralraum bestehe, dies, so Hackl zur "Wiener Zeitung", erkläre die unterschiedliche Tendenz im Wahlverhalten. "Sozialdemokratische Wähler entscheiden sich, wenns darauf an kommt, eben für den linkeren Kandidaten", ist der SPÖ-Politiker überzeugt.
Das kann man so sehen, muss es aber nicht. Laut Plasser/Sommer haben bei der Hofburg-Stichwahl 73 Prozent der Wähler, deren Lebensstandard und finanzielle Situation sich in den letzten zwei bis drei Jahren eher verbessert haben (diese machen 17 Prozent der Befragten aus), für Van der Bellen gestimmt; bei denen, deren Lage sich kaum verändert hat (60 Prozent), lagen Van der Bellen und Hofer gleichauf. Der FPÖ-Kandidat konnte aber 70 Prozent derjenigen, deren Lage sich eher verschlechtert hat (18 Prozent), und sogar 81 Prozent derer, deren Lebensstandard sich stark verschlechtert hat (3 Prozent), für sich gewinnen.
"Its the economy, stupid"
auf Österreichisch
Hofer holte also das Gros der Bürger, die einen sozialen und finanziellen Abstieg nicht nur befürchten, sondern auch erfahren. Der Steyrer SPÖ-Bürgermeister Hackl bestätigt das insofern, als er meint: "Auch in Steyr gibt es Gegenden, wo die Frustration so groß ist, dass die, die auf Landesebene FPÖ gewählt haben, auch jetzt Hofer die Stimme gegeben haben, beispielsweise im Stadtteil Münichholz. Die die Angst haben, oder glauben, Angst haben zu müssen, tendieren klar zur FPÖ." Diese Menschen gelte es als SPÖ wieder abzuholen, so Hackl.
Der Welser Vizebürgermeister Gerhard Kroiß (FPÖ) analysiert das Ergebnis anders: "Alle gegen Hofer", habe es zum Schluss im Wahlkampf geheißen, "bei den Leuten ist eine Angst erzeugt worden, dass ein Bundespräsident Hofer das Land ins Chaos stürzen könnte". Dies und die Angst vor der Reaktion des Auslands habe die Partei im Wahlkampf nur teilweise ausräumen können. Er tröste sich nun damit, dass die 48 Prozent für Hofer in Wels der FPÖ noch Potenzial versprechen.
Wie sehr die wirtschaftliche Situation das Stimmverhalten beeinflusst, zeigt auch die Ergebnisse im Mühlviertel. Hier hat nicht nur der prosperierende Linzer Speckgürtel den Stimmanteil für Van der Bellen nach oben geschraubt, auch in entlegeneren Bezirke wie Freistadt oder Perg schnitt der ehemalige Grün-Politiker deutlich besser ab als beispielsweise in den Nachbarbezirken im niederösterreichischen Waldviertel. In Perg liegt das Endergebnis mit rund 51 Prozent für Van der Bellen sogar leicht über dem bundesweiten Ergebnis, in Freistadt schaffte es Van der Bellen mit 50,6 Prozent knapp auf Platz eins.
Ganz anders das Ergebnis nur wenige Kilometer jenseits der Landesgrenze: In Pergs Nachbarbezirk Zwettl im niederösterreichischen Waldviertel schaffte es Hofer auf satte 60 Prozent. Der Perger Bürgermeister Anton Froschauer (ÖVP) sieht vor allem die positive wirtschaftliche Entwicklung als ausschlaggebend an: "Für viele Leute hier war es wichtig, jemanden zu wählen, der Europa positiv gegenübersteht."
Tatsächlich war die Stichwahl auch eine Wahl zwischen zwei Europa-Standpunkten: 72 Prozent derjenigen, für die die EU-Mitgliedschaft mehr Vor- als Nachteile mit sich bringt, stimmten für Van der Bellen; für wen die Nachteile überwiegen, der wählte zu 76 Prozent Hofer.