Zum Hauptinhalt springen

"Ein Stellvertreter-Krieg"

Von Marina Delcheva und Nina Flori

Politik

Der Beziehungsstatus zwischen Regierung und Sozialpartnern wird komplizierter, der Umgangston rauer.


Wien. Jahrzehnte lang wurde die Sozialpartnerschaft in Österreich von allen Seiten hochgehalten. Der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sei es zu verdanken, dass Österreich kein, wie etwa Frankreich, von Streiks gebeuteltes Land sei, sondern der Interessensausgleich hier bestens funktioniere, hieß es.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) verlangt aber nun von den Sozialpartnern, sich "komplett" zu ändern. Er empfiehlt ihnen "eine Umorientierung auf das, was Österreich braucht, und nicht, was die jeweilige Gruppe gerade braucht".

Dass er jetzt sogar an den eigenen Reihen Kritik übt, zeige, wie sehr Mitterlehner innerhalb der ÖVP unter Druck stehe, meint der Politikwissenschafter Emmerich Tálos im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Mitterlehner will die Verbände dafür verantwortlich machen, was die Regierung Faymann-Mitterlehner nicht zusammengebracht hat, nämlich Kompromisse zu finden. Die Problemursache wird verlagert." Den Verbänden dabei vorzuwerfen, dass sie nur ihre eigenen Interessen vertreten würden, erscheint Tàlos absurd. "Welche Interessen sollten, sie denn sonst vertreten, als die ihrer jeweiligen Klientel?"

An Einfluss verloren

In den vergangenen Jahrzehnten hat der Einfluss der Sozialpartner spürbar abgenommen. Vor allem der Beitritt zur EU in den 90er Jahren hat dazu geführt, dass viele Materien - wie etwa die Agrarmarktpolitik -, die zuvor von den Verbänden gestaltet wurden, auf europäische Ebene gewandert sind. "In der Schwarz-Blau-Regierung wurden die Sozialpartner kaum mehr in die Gesetzgebung eingebunden. Erst ab 2007 haben sie unter der großen Koalition ein Revival erlebt", sagt Tálos.

Die starken Verflechtungen mit den Großparteien sind aber freilich nach wie vor vorhanden. "30 Prozent aller Minister und Staatssekretäre kommen aus Kammern und Gewerkschaften", weiß Laurenz Ennser vom Institut für Staatswissenschaften der Universität Wien.

Genau diese, wie etwa Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) oder Sozialminister Alois Stöger (SPÖ), die selbst aus der Gewerkschaft kommen, können die Kritik Mitterlehners daher nicht nachvollziehen. Auch für Wiens Bürgermeister Michael Häupl sind die Sozialpartner "ein toller Bestandteil der Realpolitik".

"Bei der Kritik an der Sozialpartnerschaft handelt es sich um einen Stellvertreter-Krieg für Rot-Schwarz", sagt Ennser. Dieser laufe eindeutig entlang der Parteigrenzen. "Die Sozialpartner sind so etwas wie eine institutionalisierte Nebenregierung. Sie haben zwar politisch nicht mehr so viel Einfluss, aber in der Partei schon."

Dieser Stellvertreter-Krieg wird derzeit unauffällig hinter den Kulissen geführt. Vizekanzler und Kanzler sind tunlichst um Einigkeit bemüht. Mit seiner Forderung, die Gebietskrankenkassen und Sozialversicherungsträger "effizienter" zu machen, begeht auch SPÖ-Kanlzer Christian Kern einen sanft formulierten Tabubruch. Mit der Kritik an den Sozialpartnern hält sich Kern allerdings zurück. "Er steht auch nicht so sehr unter Druck wie Mitterlehner", sagt Politikwissenschafter Tàlos.

Seine Forderung, die Gewerbeordnung zu reformieren, richtet Mitterlehner gegen die eigenen Reihen. Das ist neu. Er kommt selbst ursprünglich aus dem Wirtschaftsbund, dem mächtigsten Bund in der Wirtschaftskammer (WKO) und verdankt seine Karriere gerade den Verflechtungen zwischen den Sozialpartnereliten und den politischen Parteien. Am Dienstag nach dem Ministerrat kündigte er erste Vorschläge bezüglich einer Reform der Gewerbeordnung noch vor dem Sommer an. Es gehe darum, Bürokratien bei der Unternehmensgründung oder beim Zugang zu Gewerbe abzubauen. Man müsse auch über Pflichtbeiträge reden. "Die Sozialpartner sehen hier aber nicht dieselbe Dringlichkeit wie wir", sagte Mitterlehner im Pressefoyer.

WKO verteidigt sich

Mitterlehners Kritik stößt so manchem Wirtschaftskammer-Funktionär sauer auf. "Gerade von der Regierungsstelle, die in letzter Zeit nicht durch erregende Performance aufgefallen ist, brauchen wir uns das nicht sagen lassen", sagte WKO-Präsident Christoph Leitl in Zusammenhang mit Mitterlehners Vorstoß vom Wochenende im ORF-Radio.

"Die Gewerbeordnung wird ständig weiterentwickelt. Im Schnitt 3,8 Mal im Jahr", erklärt Reinhard Kainz von der Bundessparte Gewerbe und Handwerk. Dass diese zum Teil streng und restriktiv sei, habe den Grund, entsprechende Qualität zu sichern. Sie wäre auch ein Garant für die duale Ausbildung, weil ja für die Ausübung einiger Gewerbe ein Meister-Abschluss notwendig ist. "Das ist auch eine Waffe gegen Jugendarbeitslosigkeit."

Allein steht Mitterlehner mit seiner Kritik an der Gewerbeordnung nicht da. Die Europäische Kommission (EK) kritisierte etwa in den strengen Zugang zu Freien Berufen, etwa Ärzte, Notare oder Architekten. Auch der Gebietsschutz für Rauchfangkehrer musste nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gelockert werden. "Wenn manche Voraussetzungen nur von Österreichern erfüllt werden können, dann ist diskriminierend", sagt Heinz-Rudolf Miko, Sprecher der EK in Österreich.