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"Strafverschärfung als Warnsignal"

Von Arian Faal

Politik

Abdul Malyar, Leiter der Gesellschaft für Integration und Kultur der Afghanen, über die schwierige Integration seiner Landsleute in Wien.


Wien. Drei Asylwerber aus Afghanistan werden beschuldigt, im April in Wien eine Studentin vergewaltigt zu haben. Es gilt die Unschuldsvermutung; ein Verfahren ist anhängig. Im Vorjahr kam jeder zweite wegen eines Sexualdelikts angezeigte Asylwerber aus Afghanistan. Der ebenfalls aus diesem Land stammende Arzt Abdul Malyar, der auch seit 2008 die Gesellschaft für Integration und Kultur der Afghanen in Wien leitet, fordert im Interview mit der "Wiener Zeitung" ein hartes Durchgreifen gegen Straftäter. Außerdem sieht er einen großen Bedarf bei Integrationsmaßnahmen.

"Wiener Zeitung": Wieso gestaltet sich die Integration der Afghanen in Wien als so schwierig?

Abdul Malyar: Wir müssen bedenken, dass die meisten Afghanen in ihrem Leben nur Blut, Mord, Krieg und Gewalt erlebt haben. Jeder von ihnen hat ein Trauma hinter sich, physisch und psychisch. Sie müssen daher auch intensiver betreut werden als andere Migrationsgruppen.

Wie kamen Sie dazu, ihren Landsleuten zu helfen?

Ich bin seinerzeit selbst nach Österreich gekommen und wurde mit offenen Armen empfangen, konnte meine Arbeit als Arzt aufnehmen und bin mittlerweile sehr dankbar. Deswegen wollte ich der Gesellschaft etwas zurückgeben und helfen. Daher setze ich mich für die Integration meiner Landsleute ein.

Viele Afghanen haben einen sehr schlechten Bildungsgrad. Sollte man nicht zuallererst hier anfangen?

Ja, der Erwerb von Bildung ist das allerwichtigste Element. Zuerst müssen wir den Afghanen helfen, dass sie die deutsche Sprache lernen. Dann sollen sie aber auch mit den hiesigen Gepflogenheiten vertraut werden.

Einige von den Flüchtlingen aus Ihrem Land, wie zuletzt jene drei minderjährigen Burschen, die am Praterstern eine junge Frau vergewaltigt haben, verüben Gewalttaten. Deren Abschiebung gestaltet sich danach oft als schwierig . . .

Wie Sie selbst schon richtig gesagt haben, handelt es sich fast immer um Burschen. Mehr als 90 Prozent der Afghanen, die zu uns kommen, sind junge Männer. Ihnen allen wurde in der Heimat strikt verboten, mit dem anderen Geschlecht offenen Kontakt aufzunehmen. Nun kommen sie nach Europa und glauben, hier gibt es totale Narrenfreiheit und sie können tun, was sie wollen. Hier müssen wir ansetzen. Ich bin dafür, dass wir das Strafmaß für alle Straftäter deutlich verschärfen, damit es eine Signal- und Warnwirkung für andere junge Männer gibt. Zudem muss man erzieherische Vorbeugemaßnahmen treffen. Diese Gewalttaten sind durch nichts zu entschuldigen und gehören scharf geahndet. Andererseits müssen wir der Mehrheit, nämlich den friedvollen Jugendlichen, die oft aus einer schrecklichen Vergangenheit nach Europa flüchten, eine Chance geben, ein neues Leben zu beginnen.

Welche Maßnahmen halten Sie für sinnvoll?

Zum einen ist es sicherlich dienlich, wenn die jungen Burschen Sport machen. Indem sie Sport betreiben, reagieren sie sich ab, können sich sozialisieren und haben eine Beschäftigung. Zum anderen brauchen wir gemeinschaftliche Aktivitäten und Veranstaltungen. Dort ist es besser möglich, das soziale Gefüge zu üben und die jungen Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.

Ein Hauptproblem ist ja auch, dass die Afghanen zumeist untereinander bleiben. . .

Was wir sicher nicht brauchen, ist eine Abschottung der Afghanen in Wien. Das heißt, wenn sie nur unter sich bleiben und keinen Kontakt zur Wiener Außenwelt suchen. Besonders begrüße ich auch die Initiative, dass afghanische Minderjährige in österreichische Familien aufgenommen und adoptiert werden. Das hat einen beidseitigen positiven Effekt, sowohl für den jungen Afghanen, als auch für die österreichische Familie. Es wird die Integration und die Sprachförderung gefördert. So werden die afghanischen Jugendlichen, die wie wilde Pflanzen in der Wüste sind, besser aufgehoben.

Viele Afghanen in Wien beklagen auch, dass sie als "schlechtere Perser" behandelt werden. Wie kommt das?

Das ist leicht erklärt. Viele der Afghanen in Wien kommen nicht direkt aus Afghanistan, sondern aus dem Iran. Das heißt, sie sind in gewissem Maße Doppelflüchtlinge. Im Iran wurden sie oft wie Menschen zweiter Klasse behandelt und auch hier bei uns in Österreich haben die Perser für gewöhnlich einen besseren Status als die Afghanen. Daher liegt es nahe, dass es hier manchmal zu solchen Emotionen kommt. Hinzufügen möchte ich aber, dass es in Wien auch viele befreundete Perser und Afghanen gibt. Ich persönlich etwa bin Mitglied bei der österreichisch-iranischen Ärztegesellschaft und es gibt einen sehr freundschaftlichen Austausch.

(af) Neben Syrern sind Afghanen derzeit die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe weltweit, zuvor war Afghanistan jahrelang Spitzenreiter. Nun wird das verarmte Land in der internationalen Wahrnehmung von der Tragödie in Syrien überschattet.

Seit Beginn der politischen Umstürze in den 1970er Jahren und dem Einmarsch der sowjetischen Soldaten im Jahre 1979, der späteren Machtübernahme durch die Taliban 1996 und dem US-geführten Krieg gegen deren Regime nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sind Millionen Menschen geflüchtet. Laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist bereits jeder Fünfte in Afghanistan ein Rückkehrer - hatte also zumindest einmal im Leben die Flucht vor den gefährlichen politischen Wirren ergriffen. Die permanente Instabilität führte dazu, dass für viele Afghanen an eine Rückkehr nicht zu denken ist, umso mehr als sie - erst einmal in ihre Heimat zurückgekehrt - wieder auf ganz eigene Probleme wie fehlende Versorgung und Akzeptanz sowie auf Verarmung stoßen. Außerdem hat die humanitäre Katastrophe enorme Ausmaße genommen, dringend benötigte Hilfe wird immer knapper. Viele der geflüchteten Afghanen sind nun in Wien (siehe Grafik). Sie zu integrieren ist manchmal eine große Herausforderung.

Die Gesellschaft für Integration und Kultur der Afghanen in Österreich (Gika) wurde im Dezember 2008 in Wien in einer Generalkonferenz der Afghanen gegründet. Der in Floridsdorf ansässige afghanische Arzt Abdul Malyar wurde seither mit dem Vorsitz der Organisation betraut. Die Struktur des Vereins wurde dahingehend ausgerichtet, dass mehrere Abteilungen im Verein integriert werden. Es gibt etwa Abteilungen für Frauen-Angelegenheiten, Jugend, für die Betreuung der Asylwerber und für Integration, Kultur und Bildung.

In den vergangenen zwei Jahren hat Gika verschiedene Veranstaltungen zur Förderung der Integration organisiert, etwa ein Fest zum Internationalen Frauentag, ein Frühlings- und ein Neujahrs-Kulturfest, ein Muttertags-Fest und die Teilnahme am Integrations-Workshop der Magistratsabteilung17.

Abdul Razeq Malyar ist ein aus Afghanistan stammender Arzt für Allgemeinmedizin und Mikrobiologe im 21. Bezirk und setzt sich seit vielen Jahren für die Integration seiner Landsleute in Wien ein. Der 67-Jährige hält regelmäßig Vorträge zur Integration und hilft Afghanen bei der Erledigung ihrer administrativen Hürden.

www.afghankor.at