Wien/Berlin/Tripolis. Verwunderung und heftige Kritik rief die Aussage von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bei Hilfsorganisationen hervor, Bootsflüchtlinge nach dem Vorbild Australiens rigoros im Mittelmeer abzufangen, dann sofort zurückzuschicken oder auf Inseln wie Lesbos zu internieren. Rettung aus Seenot dürfe kein Ticket nach Europa sein, erklärte Kurz in einem Interview mit der "Presse am Sonntag".

Sowohl das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR als auch österreichische Hilfsorganisationen haben den Vorschlag von Kurz stark kritisiert. Der Schutz von Menschen auf der Flucht sei angesichts der zahlreichen Opfer im Mittelmeer wichtiger als je zuvor, so das Rote Kreuz am Montag in einer Aussendung.

Internierungslager, wie sie Kurz am Wochenende vorgeschlagen hatte, würden keine Menschenleben retten, erklärte Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer. Dies sei "wirklich keine Zukunftslösung für den Flüchtlingsschutz in Europa", sagte auch Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich, in der ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum" am Sonntagabend.

60 Prozent sind Frauen und Kinder

Auch den Vorschlag, Flüchtlinge sofort nach ihrer Identifizierung auf See noch zurückzuschieben, konnte Pinter "nicht wirklich gutheißen". Immerhin handle es sich bei den Geflüchteten zu 60 Prozent um Frauen und Kinder, und diese könne man nicht "irgendwo in ein unsicheres Land" bringen.

Kurz wolle "zuallererst abschotten und menschenunwürdige Zustände herbeiführen, die abschrecken und zermürben sollen", kritisierte auch die Hilfsorganisation SOS Mitmensch auf ihrer Facebook-Seite. Dies sei ein "undurchdachter, unmenschlicher und zutiefst zynischer Plan". Stattdessen forderte die Organisation die Möglichkeit, auch außerhalb der EU einen Antrag auf Asyl oder Immigration stellen zu können.

Rotkreuz-Präsident Schöpfer gab zu bedenken, dass die jüngsten Vorschläge des Außenministers möglicherweise nicht mit geltendem internationalem Recht in Einklang stehen. Bereis jetzt sind Rückführungen nach Griechenland aufgrund systematischer Mängel im Asylwesen nicht zulässig. Positiv bewertete er hingegen die Ankündigung, die Hilfe in den Herkunftsregionen zu verstärken.

Die Volkshilfe rief Kurz auf ihrer Facebook-Seite auf, "endlich mit dem Herzen zu denken". Abschottung bringe Tote, nicht die Willkommenskultur. "Die Abschottung bringt Geschäft für die Schlepper, nicht eine geordnete Aufnahme", hieß es dort.

Doskozil reagiert abwartend

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) reagiert abwartend auf die Vorschläge von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bezüglich einer Abschreckung von Flüchtlingen in Europa. Er kenne die Ideen bisher nur aus den Medien und nehme an, dass Kurz diese noch in der Regierung vorstellen werde. Dann könne man sie auch erörtern, so der Sprecher Doskozils.

Klar sei, dass der Verteidigungsminister eine europäische Lösung für wichtig halte. Dabei gehe es um einheitliche Standards aber auch um die Frage der Rückführungen.

"Äußerst bedenkliche" Aussagen

Verwundert hat sich am Sonntag auch die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger über die Vorschläge von Kurz gezeigt: "Verfolgte Menschen haben das Recht auf Schutz. Mit Internierungslagern auf den Inseln vor der Europäischen Grenze würden wir dieses Recht abschaffen." Es sei äußerst bedenklich, dass Kurz ein Land vor den Vorhang holt, "dessen Einwanderungsbestimmungen international höchst umstritten sind", so Frauenberger in einer Aussendung.

Das Ziel von Kurz sei mehr Abschreckung. Den Hunderttausenden in Nordafrika wartenden Migranten müsse klar werden, dass "die Rettung aus Seenot nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist", sagte der ÖVP-Politiker der Zeitung.

Wer illegal nach Europa kommt, soll Anspruch auf Asyl verwirken

"Die EU sollte klar festlegen: Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Anspruch auf Asyl in Europa verwirken." Asylanträge sollten besser vor Ort in UN-Zentren gestellt werden. Zugleich müsse Europa aber auch bedeutend mehr Vor-Ort-Hilfe in Krisenregionen leisten und mehr "der Ärmsten der Armen" freiwillig aufnehmen, sagte Kurz. Es gehe vorrangig um "Frauen, Verwundete, Kranke, Schwache, Schwangere". "So können wir die Einwanderung auf ein bewältigbares Maß begrenzen und diese Menschen auch integrieren."

Kurz schlug vor, die EU sollte sich "Teile des australischen Modells" zum Vorbild nehmen. Dort kämen keine illegalen Migranten mehr an und es ertrinke auch niemand mehr. "Warum? Die australische Marine startete eine Grenzschutzoperation, fing Flüchtlingsboote vor der Küste ab, brachte die Menschen zurück in ihre Ursprungsländer oder in Zentren nach Nauru und Papua-Neuguinea."

FPÖ: "Scheinheiligkeit der ÖVP"

FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordnete Harald Vilimsky bezeichnete die Aussagen von Kurz als "Gipfel der Unglaubwürdigkeit und Scheinheiligkeit der ÖVP". "Sachlich und inhaltlich hat sich nämlich rein gar nichts an der Willkommenspolitik von SPÖ und ÖVP verändert", polterte Vilimsky in einer Aussendung.

Kritik an Kurz (ÖVP) übte am Sonntag auch Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen. "Was Außenminister Kurz mit Einsperren von Schutzsuchenden auf Mittelmeer-Inseln vorschlägt, ist die Abschaffung des Rechts, dass verfolgte Menschen um Schutz ansuchen dürfen, ohne interniert zu werden", stellt Korun in einer Aussendung fest.

Dieses Recht auf Schutz vor Verfolgung sei nicht ohne Grund nach zwei Weltkriegen mit Millionen ziviler Opfer und verfolgten Minderheiten wie Juden und Roma international beschlossen worden. "Diese historische humanitäre Errungenschaft nun für innenpolitisches Punktemachen abschaffen zu wollen, ist ein Spiel mit dem Feuer", mahnte Korun.