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Jung, hip, rechtsextrem

Von Werner Reisinger

Politik

Die "Identitäre Bewegung" ist auf dem Vormarsch. Ein Porträt.


Wien. Wie ein Neonazi sieht Martin Sellner nicht aus. Nichts an dem jungen Mann, Jahrgang 1989, lässt auf seine Weltanschauung schließen. Attribute, wie man sie seit den Achtzigern von rechtsextremen Subkulturen kennt, sucht man an Sellner vergeblich. Er trägt ein lässiges Hemd und Jeans, dazu Sneakers einer gerade angesagten Marke.

Sellners Auftreten ist betont freundlich. Er wirkt angespannt, fast nervös. Es sei das erste Mal, dass er sich zu einem Treffen mit Journalisten entschlossen habe, sagt er. Aber er ist alles andere als wortkarg. Wenn er spricht, wirkt er überlegt, als hätte er sich auf alles, was er gefragt werden könnte, gut vorbereitet.

Martin Sellner ist ein Gründungsmitglied der "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ), einer modernen, in ihrer Taktik äußerst geschickt agierenden rechtsextremen Gruppierung. Hervorgegangen ist sie aus dem rechtsintellektuellen Milieu der französischen "Nouvelle Droite". Ihr ideologischer Zugang ist der Versuch eines Brückenschlags zwischen strengkonservativen, katholischen, aber demokratischen Rechten und antidemokratischen, rechtsextremen Kreisen. Die "Identitären" sehen sich als letzte Generation, die den Zerfall des europäischen Wertekanons, der aus ihrer Sicht durch Globalisierung, Kapitalismus und vor allem Flucht und Migration im Zerfall begriffen ist, noch aufhalten können. Als Hauptfeind betrachten sie den "Multikulturalismus", den sie als vorherrschende, alles dominierende Ideologie für die für sie düstere Zukunft Europas verantwortlich machen.

Europas Untergang

Wie auch andere moderne rechtsextreme Bewegungen bedienen sich die "Identitären" bei Strategie und Agitation im Fundus der Popkultur und bei linken Subkulturen. Martin Sellner sieht sich als "Ibster", als "identitärer Hipster". Er hat sogar ein eigenes Modelabel erfunden, "Phalanx Europa". Auf seinen T-Shirts prangen protzige Motive von Samuraikämpfern, dem deutschen Offizier Ernst Jünger oder Sellners Lieblingsphilosophen Martin Heidegger.

Sellner studiert selbst Philosophie, er spricht viel über die "Vordenker der Bewegung". Zu ihnen rechnet er auch den französischen Philosophen Alain de Benoist. Dessen Wort, dass, wer den Kapitalismus kritisiere, über die Einwanderung nicht schweigen dürfe und vice versa, ist zentral für Sellners Weltanschauung. Ein "Mia san Mia"-Patriotismus, das sei die Sache der IBÖ nicht, sagt er. Es gehe um den großen Rahmen, die großen Zusammenhänge.

Vieles, was Sellner sagt, klingt nach Verschwörungstheorie. Seinen "Vlog", also sein Videotagebuch im Netz, aktualisiert Sellner regelmäßig. Vor seiner Webcam referiert er stundenlang über den drohenden Untergang des Abendlandes, über die "autoritäre Linke", über Allianzen mit Pegida und anderen zuwanderungsfeindlichen und rassistischen Gruppierungen. Bewusst legt er dabei Strategie und Konzept der "Bewegung" offen dar. Ein "Konglomerat aus Politik, Journalisten, Medien und der Wirtschaft", einer "Elite, die wir die Multikultis nennen", habe sich entschieden, das demografische Problem Europas durch Zuwanderung zu lösen, ist Sellner überzeugt. Die "Identitären" setzen bewusst auf Pathos. Im Netz finden sich perfekt produzierte Videos, die diverseste Stationen und Errungenschaften der europäischen Geschichte in triefend-salbungsvolle Tönen beschwören. Der Subtext: Jetzt steht alles auf dem Spiel.

Angst vor "alten Kameraden"

In ihrem Manifest, das den Untertitel "eine Kriegserklärung an die 68er" trägt, wird kein Teilbereich des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens ausgelassen. Auch hier regiert das Pathos, gepaart mit einer gehörigen Portion Wehleidigkeit: "Ihr habt alles zerstört, was uns Identität und Halt hätte geben können, und doch wundert ihr euch, dass wir unzufrieden sind. Denn tief in uns liegt ein ständiges, immerwährendes Gefühl des Alleinseins, der Verlorenheit", ist dort zu lesen.

Ideologischer Kern der "Identitären" ist der Ethnopluralismus. Anders als den "Neonazis", mit denen Sellner rein gar nichts zu tun haben will, stehe das gemeinsame Ziel der Bewahrung der europäischen Tradition im Vordergrund. Sie selbst bezeichnen sich als "Demokraten", die Etablierung eines autoritären oder gar faschistischen Systems sei keineswegs das Ziel. Im Internet begeistert sich Sellner hingegen über das "revolutionäre Moment", das, bedingt durch Flüchtlingsbewegung und rechtspopulistische Wahlerfolge, in der Luft liege.

Martin Sellner macht kein Hehl daraus, dass er noch vor wenigen Jahren Mitglied des organisierten Neonazismus war. Er gilt als Ziehsohn Gottfried Küssels, der zurzeit eine Haftstrafe wegen Wiederbetätigung absitzt. Vor seinen ehemaligen Kameraden fürchte er sich mehr als vor den Antifaschisten, sagt Sellner. In der Szene nehme man ihm sein neues Engagement übel. Verfassungsschutzkreise gehen davon aus, dass Sellner einer der Administratoren der von Küssel betriebenen, neonazistischen Website "Alpen-Donau.info" war. Nachweisen konnte man ihm dies nicht. Wer beim Neonazimilieu auch nur anstreife, werde sofort aus der IBÖ entfernt, behauptet Sellner.

Dem stehen zahlreiche personelle Verbindungen zu rechtsextremen Burschenschaften entgegen. Via Kurznachrichtendienst Twitter verkündete Sellner in Bezug auf den Anstieg der Waffenkäufe: "Gottseidank hab ich schon ne Waffe gekauft, bevor der Asylwahn begonnen hat. Dürfte schwer sein, jetzt noch was gutes zu bekommen."