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"Die ÖVP muss aufwachen"

Von Arian Faal

Politik

Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, fordert ein verschärftes Vorgehen gegen homophobe Hetze.


"Wiener Zeitung": Immer wieder gibt es Attacken und Anschläge auf Schwule und Lesben. Sie selbst wurden bei der Regenbogenparade 2014 mit Buttersäure attackiert. Am Wochenende hat ein Fanatiker in einem Schwulenclub in Orlando 50 Menschen ermordet. Wie kann man da vorbeugen?Ulrike Lunacek: Erst einmal: Unsere Gedanken sind bei den Opfern und Angehörigen dieses schrecklichen Verbrechens. Wir müssen denjenigen, die Angst und Hass streuen, ein klares Nein entgegenstellen. Zum einen braucht es eine rechtliche Gleichstellung auf allen Ebenen. Denn Gleichstellung bedeutet Anerkennung. Zweitens brauchen wir viel mehr Aufklärung an Schulen und allen Bildungsinstitutionen. Auch bei der Polizei - so wie es die Gaycops machen - und bei sportlichen Vereinen. Hauptaufgabe ist es, Aufklärung, Information und Enttabuisierung zu bieten. Und es muss ein klares und verschärftes Vorgehen gegen homophobe Hetze geben. Letztlich müssen auch wir als Lesben und Schwule dazu beitragen und Ängste abbauen. Wir müssen uns trauen, mit unserer Lebensform offen umzugehen und diese auch zu zeigen, damit es thematisiert wird. Denn es ist etwas Natürliches.

Sie waren die erste Politikerin, die sich offen als lesbisch outete. Haben Sie je Diskriminierung im Beruf erfahren?

Offene Diskriminierung nicht. Ich werde als Politikerin wahrgenommen, unabhängig von meiner sexuellen Orientierung. Aber ich bekomme immer wieder anonyme und nicht-anonyme Hassbriefe und Drohungen.

Wie alt waren Sie, als Ihnen endgültig bewusst wurde, dass Sie homosexuell sind?

Mein Coming-out war vor etwa 35 Jahren und es gestaltete sich als längerer Prozess. Eines war besonders prägend: Ich kannte während meiner Schulzeit das Wort lesbisch noch gar nicht, und das war dann später ein gewisser Vorteil, denn ich hatte keine Negativbilder und war unvoreingenommen.

Wie reagierten Ihre Eltern, als sie erfuhren, dass Sie lesbisch sind?

Die Entscheidung war nicht leicht, es meinen Eltern zu erzählen. Ob und wann war die Frage, denn ich komme aus einem sehr konservativen Haus. Daher habe ich mich erst mit 26 dazu entschlossen, es ihnen zu sagen. Mein Vater, der Raiffeisen-Ware-Generaldirektor war, nahm es sehr gelassen und meinte, dass er es sich schon gedacht hätte, und wenn ich glücklich bin, ist es okay. Bei meiner Mutter war es anders. Als ich ihr sagte, dass ich verliebt bin, reagierte sie freudig. Doch als ich ihr sagte, dass es eine Frau ist, merkte ich, dass sie mehr damit kämpfen musste. Letztlich haben mich aber beide sehr unterstützt.

Sie sind seit 23 Jahren mit Rebecca Sevilla liiert. Wann denken Sie an eine Verpartnerung?

Irgendwann einmal, das haben wir noch nicht fixiert.

In Österreich können Sie seit 2010 eine eingetragene Partnerschaft eingehen, keine Ehe. Ganz im Gegensatz zu zwölf westeuropäischen Staaten, wo auch Schwule und Lesben heiraten können. Wann, denken Sie, können Schwule und Lesben in Österreich heiraten?

Ich hoffe, dass die "Ehe gleich", so heißt übrigens auch die Plattform, die sich dafür einsetzt, so bald wie möglich kommt. Denn es müssen alle, die sich lieben, heiraten dürfen, völlig egal, ob hetero, lesbisch oder schwul. Die ÖVP muss aufwachen. Anscheinend braucht sie aber noch ein wenig mehr Anstoß.

Sehen Sie aber nicht auch innerhalb der ÖVP etwas Bewegung? Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter hat gesagt, dass er sehr viele Schwule im Freundeskreis hat und diese Menschen nicht ausgrenzen will . . .

Es ist einiges weitergegangen in puncto Rechte - vor allem auch durch den Druck aus der EU und durch Gerichtsurteile. Und ja, Sie haben recht. Da gibt es einige innerhalb der ÖVP, die privat eine andere Meinung haben. Aber bei der Parteimeinung steht man nach wie vor für Stillstand. Es wäre sehr gut, wenn sich Rupprechter und Co. innerhalb ihrer Partei durchsetzen könnten. Denn auch in der ÖVP-Wählerschaft, wie groß die auch immer noch ist, gibt es Schwule und Lesben - und die würden sich eine Öffnung der Starre auch wünschen.

Ein Höhepunkt des Kampfes für die Gleichstellung der Schwulen und Lesben ist die alljährliche Regenbogenparade, die Sie alljährlich unterstützen. Heuer muss die Veranstaltung aber ohne Sie als prominenteste österreichische homosexuelle Politikerin auskommen. Warum?

Die Parade ist eine sehr wichtige Veranstaltung, wo ein sichtbares Zeichen für Gleichstellung gesetzt wird. Ich war die letzten 20 Jahre immer dabei, bin heuer aber schweren Herzens nicht am Ring, da ich bei der baltischen Parade bin und das heuer leider terminlich zusammenfällt. Ich unterstütze die Regenbogenparade im Baltikum bereits lange. Auch und gerade dort gibt es noch viel Handlungsbedarf in puncto Gleichstellung, und es ist sehr wichtig, Präsenz zu zeigen und gegen homophobe Auswüchse anzutreten. Daher bin ich heuer bei der Vilnius-Pride - und in Gedanken und mit dem Herzen sowieso immer auch in Wien.

Zur Person

Ulrike Lunacek

wurde am 26. Mai 1957 in Krems an der Donau (Niederösterreich)

geboren und ist seit 1. Juli 2014 Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Zuvor war sie jahrelang Abgeordnete zum Nationalrat bei den Grünen und Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei.