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Eine andere Art Demokratie

Von Katharina Schmidt

Politik

Le Pen besucht Strache: Der Politologe Cas Mudde über die Vernetzung der europäischen Rechten.


Wien. Gerade erst war es AfD-Chefin Frauke Petry, am Freitag ist es Marine Le Pen vom Front National. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist dieser Tage umtriebig unterwegs, wenn es um die Vernetzung mit anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa geht. Nach einer Pressekonferenz am Vormittag wird Le Pen, mit der die FPÖ im Europaparlament in der gemeinsamen Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" vertreten ist, in der Pyramide Vösendorf eine Rede zum "Patriotischen Frühling" halten. Den Erfolg der europäischen Rechten erläutert der niederländische Politikwissenschafter Cas Mudde im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Eine Ihrer zentralen Thesen lautet, dass die Medien und viele Wissenschafter den Erfolg der radikalen Rechten hochspielen. In Österreich hat der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer bei der Bundespräsidenten-Wahl 49,7 Prozent geschafft – gegen die Wahlempfehlung fast aller anderen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Übertrieben?

Cas Mudde: Meine Warnung wird gerade von den Ereignissen überholt. Denn es gibt einige Länder, in denen die radikale Rechte mittlerweile zu einem wesentlichen Player geworden ist. Es ist wohl nicht alarmistisch, von einem Erfolg der radikalen Rechten in Frankreich, Österreich oder Dänemark zu sprechen. Wir sollten aber auch anerkennen, dass es in vielen Ländern immer noch keine erfolgreichen radikalen Rechtsparteien gibt.

Woher kommt der Erfolg in Ländern wie Österreich, Frankreich und Dänemark?

Wir haben eine Verkettung unglücklicher Umstände: Wir sind immer noch nicht aus der Wirtschaftskrise herausgekommen, es gibt die sogenannte Flüchtlingskrise, dazu haben wir noch den Terrorismus, der oft mit den Flüchtlingen in Verbindung gebracht wird. Der Erfolg der radikalen Rechten liegt aber weniger in all diesen Problemen an sich begründet, sondern eher darin, dass die etablierten Parteien nicht wissen, wie sie damit umgehen. Deswegen sehen sich die Wähler nach einer Alternative um.

Aber die radikalen Rechten bieten oft keine Lösungen an, die auch funktionieren könnten.

Vielleicht nicht, aber die von den Mainstream-Parteien angebotenen Lösungen funktionieren genauso wenig. Die Präsidentenwahl in Österreich hat deutlich gezeigt, dass für viele Menschen in Westeuropa oder insgesamt in Europa der Unterschied zwischen der Politik der Mainstream-Parteien und jener der radikalen Rechten nicht mehr groß genug erscheint. Sie glauben zwar nicht wirklich, dass Letztere ihre Probleme lösen können, aber sie glauben auch nicht mehr, dass die anderen Parteien das können.

Der Grüne Jan Philipp Albrecht hat bei der Gründung der Rechtsaußen-Fraktion im Europäischen Parlament von einer Professionalisierung der Rechtsparteien gesprochen. Sehen Sie das auch so?

Sie sind zumindest zum Teil schon professioneller geworden – immerhin sind einige von ihnen schon nahe an ihrer zweiten Runde in Regierungsverantwortung. Die Lega Nord war schon zwei Mal in einer Regierung vertreten, für die FPÖ wird es beim nächsten Mal auch schon das zweite Mal sein, die niederländische PVV und Dänische Volkspartei haben schon Minderheitsregierungen unterstützt und daraus wohl gelernt. Auch die Akteure unterscheiden sich kaum noch von jenen der anderen Parteien – meist weiße Mittelschichtsmänner, die schon ihr ganzes Leben in der Politik sind.

Aber sind sie wie andere demokratisch oder wollen sie die Demokratie aushebeln?

Im engen Sinn sind sie nicht antidemokratisch – sie wollen die Wahlen und die Parlamente nicht abschaffen. Auf der anderen Seite sind sie auch keine liberalen Demokraten wie Christ- oder Sozialdemokraten – sie unterlaufen Minderheitenrechte und gewisse demokratische Grundregeln, die wir als essenziell erachten.

In Osteuropa sind die Rechtspopulisten schon in Regierungen – hat das Vorbildwirkung?

Vor allem die Fidesz in Ungarn kann man als rechtsradikale Partei bezeichnen. Diese Parteien wurden aber oft nicht als solche gewählt – die PiS in Polen hat vergleichsweise moderat kampagnisiert, das gilt auch für die Fidesz 2010. Das wird bei der FPÖ nicht so sehr der Fall sein, denn die FPÖ ist sehr deutlich eine radikal rechte Partei. So, wie die Orbán-Regierung heute agiert, hätten es viele radikal rechte Parteien in ihren Ländern auch gerne. Als Konsequenz sind sie sehr begeistert von Orbán.

Immer wieder wird im Zusammenhang mit den "Identitären" debattiert, ob die nun rechts oder rechtsextrem sind. Wie sehen Sie das?

Das ist schwierig. Nach außen hin zählt die "identitäre Bewegung" noch zu den radikalen Rechten, weil sie demokratische Wahlen akzeptieren. Aber sie sind sehr offen gegenüber Menschen, die mit Aspekten des Antisemitismus und antidemokratischen Ideen liebäugeln.

Ist die starke Ablehnung rechtsextremer Tendenzen in den rechten Parteien ernst gemeint oder nur ein Feigenblatt, um regierungsfähig zu werden?

Ersteres. Ich bin nicht sicher, ob die Führer der Parteien ein Problem mit solchen Leuten haben, aber sie rechnen sich sicher aus, dass es ihnen nicht sehr dienlich ist. Dass Strache oder Le Pen geheime Faschisten seien, ist eine Verschwörungstheorie.

Was sind die Zukunftsaussichten für die kommenden Jahre? Werden die rechten Parteien Mainstream werden wie Orbán in Ungarn?

Orbán ist eine Ausnahme, weil Alleinregierungen, die auch noch die Verfassungsmehrheit haben, sehr selten sind. Die radikale Rechte wird aber sicher in Zukunft in mehr Regierungen vertreten sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die nächste Regierung in Österreich die FPÖ dabeihaben wird, in Dänemark ist es eine Frage der Zeit – es wird also ein paar Regierungsbeteiligungen mehr geben, aber gleichzeitig sind diese Parteien in einer relativ eingeschränkten Zahl von Ländern erfolgreich. Interessant ist, dass die Krise keine neuen radikalen Parteien hervorgebracht hat. Die AfD ist eigentlich die einzige Partei, die durch die große Krise neu entstanden ist. Und ich bin skeptisch, ob es die noch lange geben wird.

In Österreich hat die Regierungsbeteiligung Haiders FPÖ zerbröselt. Werden sich die Freiheitlichen das nächste Mal besser anstellen?

Es gibt diesmal große Unterschiede zum letzten Mal. Wenn sie eine Lehre daraus gezogen haben, dann, dass man nicht ohne seinen Parteichef in die Regierung geht. Wichtiger ist aber, dass die FPÖ bei der nächsten Wahl die mit Abstand größte Partei in Österreich sein wird. Sie werden also den Kanzleranspruch stellen, was eine andere Machtverteilung als 1999 zur Folge hat. Allerdings werden sie so auch für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden – und werden damit große Verluste einfahren, wie jede Regierungspartei in diesen Tagen.

Cas Mudde

Der niederländische Politikwissenschafter ist Experte für politischen Extremismus und Populismus in Europa. Er studierte an der Universität Leiden und lehrt derzeit an der University of Georgia in den USA und in Amsterdam. Foto: University of Georgia