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"So ein Gefühl hat es noch nie gegeben"

Von Daniel Bischof

Politik
Christian Pilnacek (l.) und Walter Pilgermair beim Staatsanwaltschaftsforum.
© Wilfried Siegele

Das subjektive Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung sinkt - auch weil die Zahl kleinerer Delikte ansteigt.


Wien. Sicherheit. Unbehagen. Vertrauen. Es sind Wörter, die in den Eröffnungsreden des am Montag begonnenen 25. Staatsanwaltschaftsforum am Walchsee in Tirol oft fallen. "Schon seit dreißig Jahren bin ich in verschiedenen Positionen in der Politik tätig, aber: So ein komisches Gefühl, wie es momentan in der Öffentlichkeit da ist, hat es noch nie gegeben", sagt der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter. "Ich rede da nicht über die objektive Sicherheit - da sind die Zahlen, Daten und Fakten in Ordnung -, sondern über das subjektive Sicherheitsgefühl. Es ist ein Unbehagen da."

"Nicht nur die extreme Schwerkriminalität prägt unseren Arbeitsalltag. Es ist auch eine Zunahme an Kleinkriminalität zu beobachten", hält Brigitte Loderbauer, Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck und Veranstalterin des Forums, fest. Auch Verhetzungen, Verstöße gegen das Verbotsgesetz und sonstige "hate crimes" würden die Justiz mehr als in den vergangenen Jahren beschäftigen.

Es ist eine Entwicklung, die auch Justizminister Wolfgang Brandstetter beschäftigt: "Die Sprache verroht. Es ist in einer den liberal-humanistischen Werten verpflichteten Demokratie kaum zu glauben, welchen Zustrom widerwertigste Hassreden und Aufrufe zur Gewalt in den neuen Medien haben. Das wird immer hässlicher."

Trend zu Massendelikten

"Kriminelle Organisationen - das ist ein europaweiter Trend - spezialisieren sich auf niedrigschwellige Massendelikte", sagt Oberst Martin Kirchler vom Stadtpolizeikommando Innsbruck zur Kriminalitätsentwicklung. Einerseits sei die Entdeckungswahrscheinlichkeit bei der Kleinkriminalität im Gegensatz zur Schwerkriminalität niedriger, andererseits seien auch die Folgen für die Täter oft nicht wirklich abschreckend. "Für die Organisationen ist es eine einfache Kosten/Nutzen-Rechnung."

Durch diese Entwicklung würden Kriminalitätsphänomene in den Ballungsräumen entstehen, was zu einer geringen Effektivität von Polizei und Justiz führe. "Das ist mit einer starken öffentlichen Wahrnehmung und einer daraus resultierenden massiven Beeinträchtigung des subjektiven Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung verbunden", führt Kirchler aus. Dass die Unsicherheit steige, sehe man etwa an den gehäuften Beschwerden oder den Teilnahmen an Bürgerversammlungen.

Laut Kirchler wird auch der Tatbestand der sexuellen Belästigung häufiger angezeigt. So habe es 2015 insgesamt 40 Anzeigen gegeben - dabei habe es sich meistens um Exhibitionisten gehandelt. 2016 seien es bisher bereits 49 - davon seien 29 Anzeigen auf die heuer in Kraft getretenen Verschärfung des sogenannten "Po-Grapsch"-Paragrafen zurückzuführen. Nunmehr ist auch derjenige zu bestrafen, der "eine andere Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt".

Köln als Wendepunkt

Die Ereignisse in Köln hätten in diesem Bereich sicherlich zu einer massiven Sensibilisierung geführt, so Kirchler: "Frauen haben Vorfälle zur Anzeige gebracht, was in den Jahren zuvor nicht der Fall gewesen ist."

Auch über das Image der Staatsanwaltschaft in den Medien wird diskutiert. Zu einer hitzigen Diskussion führt dabei das Weisungsrecht des Justizministeriums gegenüber der Staatsanwaltschaft. Zwar würde mit dem Weisungsrecht "ganz und gar nicht" Missbrauch betrieben, sagt Walter Pilgermair, ehemaliger Präsident des Oberlandesgerichtes Innsbruck und nunmehriger Hypo-Verfahrensrichter.

"Ich habe in meinem ganzen Berufsleben eine einzige Sachweisung bekommen, mit der ich nicht einverstanden war. Da wurde ich dann auch entbunden." Die Öffentlichkeit und die Medien würden das aber anders sehen. Problematisch sei der Anschein der Einflussnahme. "Man muss daran arbeiten, die Staatsanwaltschaft unabhängiger zu machen. Daran führt kein Weg vorbei", so Pilgermair.

Christian Pilnacek, Chef der Sektion Strafrecht im Justizministerium, zeichnet ein anderes Bild. "Jedes größere Unternehmen hat einen Vorstand und über dem Vorstand ist ein Aufsichtsrat." Umgelegt auf die Justiz sei die Oberstaatsanwaltschaft der Vorstand und das Justizministerium der Aufsichtsrat. Der Vorstand müsse den Aufsichtsrat über wichtige Vorgänge im Unternehmen informieren.

"Müssen damit leben"

"Wir verkaufen nicht etwas, haben den Medien gegenüber nichts anzubieten und stehen auch in keinem Leistungswettbewerb", sagt Pilnacek zur Frage, wie man denn die Medienarbeit verbessern könne. Allerdings würde man durch die gute Begründung von Entscheidung der Justiz Glaubwürdigkeit verleihen. Dann brauche man auch keine Angst vor Kritik haben.

Brandstetter meint, dass sich die Justiz der öffentlichen Kritik stellen müsse - auch wenn sich diese Kritik immer wieder auf Einzelfällen aufhänge. "Etwa, wenn in 99 Fällen alles großartig läuft und beim hundertsten Fall nicht, und nur der von den Medien breitgewalzt wird. Damit müssen wir leben."

Natürlich beschäftigt auch die Glaubwürdigkeit der Justiz den Minister. Mit Blick auf die derzeitige innenpolitische Situation - gemeint ist die Stichwahlanfechtung der FPÖ vor dem Verfassungsgerichtshof - weist er auf das besonders hohe Gut des Vertrauens der Bürger in die Justiz in einem Rechtstaat hin. "Wenn der Bürger auch den Eindruck hat, dass Behörden und Institutionen versagen, muss er auf eines immer vertrauen können: die Rechtstaatlichkeit und die Justiz."