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"Zivilcourage muss digitalisiert werden"

Von Arian Faal

Politik
Mario Linder (SPÖ), hier bei seinem Outing während der heurigen Regenbogenparade, tritt im Juli sein Amt als Bundesratspräsident an.

Der designierte Bundesratspräsident Mario Lindner über die Präsidentschaftswahl, Hasspostings und sein Coming-out.


"Wiener Zeitung": Herr Lindner, als designierter Bundesratspräsident müssten Sie eigentlich den neuen Bundespräsidenten in ein paar Tagen angeloben. Doch das ist noch wegen dem ungewissen Zeitplan und dem Ausgang der Wahlanfechtung keineswegs sicher. Wie laufen im Parlament die Vorbereitungen für etwaige Eventualitäten?Mario Lindner: Momentan handhaben wir das so, dass das Parlament die Vorbereitungen getroffen hat und die Einladungen für die Angelobung von Alexander Van der Bellen ausgeschickt wurden. Das ist notwendig, da die Gäste ja informiert werden müssen. Denn, ganz gleich welche Entscheidung der Verfassungsgerichtshof bezüglich der Wahlanfechtung trifft, eine der beiden Zeremonien am 8. Juli findet auf jeden Fall statt, nämlich die Verabschiedung von Heinz Fischer um 10 Uhr.

Was passiert, wenn das Gremium zum Schluss kommt, dass Teile oder die komplette Wahl wiederholt werden müssen?

Dann tritt Plan B in Kraft. Das heißt, dass der zweite Teil der Feierlichkeiten, die Angelobung um 11 Uhr, entfällt und die drei Nationalratspräsidenten Doris Bures, Karlheinz Kopf und Norbert Hofer gemeinsam interimistisch die Aufgaben und Agenden des Bundespräsidenten übernehmen. Ganz wichtig ist mir aber zu betonen, weil das viele nicht wissen, dass keiner des Kollegiums der Nationalratspräsidenten dann Bundespräsident ist.

Wie beurteilen Sie die Debatte rund um die Wahl. Viele monierten, dass das Land nun gespalten ist. . .

Lassen Sie mich zuerst etwas sehr Positives zu dieser Präsidentschaftswahl sagen. Sie hat sehr deutlich gezeigt, dass in einer Demokratie jede Stimme zählt und dass es sehr wichtig ist, dass man von seinem Stimmrecht Gebrauch macht. Bei dem knappen Ergebnis von nur 30.000 Stimmen Differenz ist jede Stimmabgabe mitentscheidend. Nun zu Ihrer Frage. Ich glaube keinesfalls, dass das Land gespalten ist. Nehmen wir die Arithmetik her. Wenn wir davon ausgehen, dass 70 Prozent gewählt haben, heißt das, dass ein Drittel Van der Bellen, ein Drittel Hofer und ein Drittel nicht gewählt haben. Auch im Duell Ferrero-Waldner und Fischer im Jahre 2004, als diejenigen, die gewählt haben, zwar nicht so knapp wie heuer, Fischer den Vorzug gaben, hat auch niemand gesagt, dass das Land entzweit ist.

Emotionaler war dieser Wahlkampf aber allemal.

Ja, emotional war er ein Wahnsinn. Ich bin aber der Meinung, dass es ein amtliches Ergebnis gab, das zur Kenntnis zu nehmen ist. die FPÖ hat, und das ist in einer Demokratie ihr gutes Recht, die Wahl angefochten und nun ist das Ergebnis dieses Schrittes abzuwarten. Ich möchte an dieser Stelle nur eine Lanze für die vielen freiwilligen und ehrenamtlichen Wahlhelfer brechen. Ich verwehre mich dagegen, dass man diese Menschen alle pauschal verurteilt und in Misskredit bringt. Sie bemühen sich seit Jahrzehnten um einen reibungslosen Ablauf der Wahlen. Die passierten Unregelmäßigkeiten sind sehr bedauerlich und selbstverständlich sollen alle Fälle geprüft werden, aber Generalisierungen sind Fehl am Platz.

Apropos emotional. Sehr turbulent ging es rund um die Wahl auch in den sozialen Medien zu. Einer Ihrer Lieblingsprojekte ist der Kampf gegen Hasspostings. Was genau machen Sie bei dieser Kampagne?

Bei meinem Projekt gibt es vier Schwerpunkte: Zivilcourage, Mitbestimmung, Demokratie und politische Bildung. Bei den Hasspostings geht es mir um Systematik. Zivilcourage muss digitalisiert werden.

Wie soll das funktionieren?

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist die, wie man damit umgeht, wenn Leute etwa posten, dass Mauthausen wieder aufsperren soll, oder wenn sie Ingrid Thurnher indirekt wünschen, dass sie von Asylwerbern vergewaltigt wird, oder wenn sie Van der Bellen drohen. Bei diesen Postings gibt es sehr oft einen Graubereich, um den wir uns kümmern müssen. Kernpunkt ist, ob eine strafrechtliche Relevanz vorliegt. Da braucht es auch mehr Transparenz und schärfere Strafen. Summa summarum ist es wichtig, dass darüber nachgedacht wird, was im Internet gemacht wird, frei nach dem Motto: "Zuerst denken, dann posten, liken und kommentieren." Ich werde dieses Thema als Bundesratspräsident aufgreifen und alle an einen Tisch holen. Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen Zivilbevölkerung, Politik und Medien, denn alle haben das gleiche Problem mit den sozialen Netzwerken.

Sie haben sich in der Steiermark massiv für Gemeindezusammenlegungen und Einsparungen eingesetzt. Auch beim Parlament gibt es seit Jahren Diskussionen über mögliches Einsparungspotenzial, etwa den Bundesrat, dessen Vorsitz Sie bald übernehmen.

Ich glaube, dass man über alles reden können muss. Effizienz ist sicherlich ein Thema. Aber zum Bundesrat werde ich Ihnen jetzt einiges sagen, und zwar nicht nur, weil ich drinnen bin. 85 Prozent der europäischen Länder haben eine zweite Kammer. Der österreichische Bundesrat ist eine der aktivsten Kammern, was Stellungnahmen für die EU-Kommission betrifft. Wir sind auch die einzige Kammer, die einen Zukunftsausschuss hat, und können auch von uns aus Gesetze einbringen. Daher bin ich für die Beibehaltung. Und vergessen eines nicht. Jeder Bundesrat ist auch ein regionaler Abgeordneter. Würden wir den Bundesrat abschaffen, dann wäre die regionale Vernetzung sehr schwierig, den wir haben Zugang zu den Landtagen und auch ein Rederecht dort, zum Nationalrat und zu den Ministern.

Am vergangenen Samstag haben Sie sich bei der 21. Regenbogenparade als homosexuell geoutet. Warum ausgerechnet jetzt?

Eigentlich sollte das 2016 bei uns kein Thema mehr sein, aber es ist nach wie vor ein Thema. Nach dem Outing habe ich so viel mediales Interesse, auch aus dem Ausland gehabt, und das zeigt, dass das Thema an sich noch sehr interessiert. Die Parade heuer war ein Traum. Ich wollte ein Zeichen setzen und die jungen Menschen ermuntern, zu sich zu stehen. Wenn dies dem jungen Lehrling, der gemobbt wird, oder dem Schüler, der sich verstellen muss, hilft, dann hat es sich ausgezahlt. Und dann noch die Tatsache, dass mit Bundeskanzler Christian Kern erstmals die Regierungsspitze dabei war, ist sehr wichtig. Sicherlich kann man dem entgegenhalten, dass es im Parlament trotzdem keine Mehrheit für die Ehe gleich gibt, aber Kern hat gesagt, dass er unser Bündnispartner ist, und das gibt der Community Auftrieb.

Letzte Frage: Sie haben Kern angesprochen. Der SPÖ-Bundesparteitag steht am 25. Juni vor der Tür. Seit Jahren laufen Ihrer Partei die Wähler davon. Wie wollen Sie das Ruder umdrehen? Böse Zungen behaupten, dass die One-Man-Show Kern allein nicht genug sei.

Ich glaube, allein schon das Team, das Christian Kern aufgestellt hat, beweist, dass es um alles andere als eine One-Man-Show geht. Klar, er ist als Regierungschef, der Teamkapitän, aber von der Gemeinde- über die Landes- bis zur Bundesebene hat die SPÖ eine starke Mannschaft, die gemeinsam etwas weiterbringt! Inhaltlich wird es darum gehen, wieder viel klarer Haltung zu zeigen. Bildung, Jobs und Chancengleichheit - wir müssen den Menschen wieder glasklar zeigen, wofür wir stehen und welche Perspektiven wir Ihnen anbieten. Und der Startschuss dafür fällt am Samstag.

(af) Der Bundesrat bildet dem Nationalrat die zweite Kammer des Parlaments und dient als Vertretung der Bundesländer auf Bundesebene. Realpolitisch hat das Organ nur begrenzten Einfluss, da er gegenüber dem Nationalrat zumeist nur ein aufschiebendes Vetorecht besitzt, das vom Nationalrat durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beharrungsbeschluss übergangen werden kann. Bei Verfassungsänderungen ist eine Volksabstimmung durchzuführen, sofern ein Drittel der Mitglieder des Bundesrats dies verlangt. Den Bundesratspräsidenten stellt, im halbjährlichen Wechsel der Länder, jeweils die stärkste Fraktion eines Bundeslandes. Die einzelnen Bundesräte werden von den jeweiligen Landtagen in den Bundesrat entsandt und spiegeln die Zusammensetzung des jeweiligen Landtages wider. Dabei kommt der zweitstärksten Partei im jeweiligen Landtag zumindest ein Mitglied zu. Ansonsten erfolgt die Bestellung durch Verhältniswahl. Die Mitglieder des Bundesrates werden für die Dauer der Gesetzgebungsperiode des jeweiligen Landtages gewählt. Sie müssen nicht Mitglieder des jeweiligen Landtages sein, müssen zu diesem jedoch wählbar sein. Aktuell besteht der Bundesrat seit dem 12. August 2013 aus 61 Mitgliedern (SPÖ 20 Sitze, ÖVP 22 Sitze, FPÖ 13 Sitze, Grüne 4 Sitze, fraktionslos: 2 Sitze). Derzeit führt der Salzburger Josef Saller (70, ÖVP) den Bundesrat. Turnusmäßig übergibt er in der zweiten Jahreshälfte 2016 an die Steiermark und somit an den designierten Bundesratspräsidenten Mario Lindner (SPÖ).

Wissen

Zur Person

Mario Lindner

wurde am 30. März 1982 in Leoben geboren und ist gelernter Elektrotechniker. 2005 zog er in den Gemeinderat von Handl ein. Nach der Landtagswahl 2015 wurde er vom neugewählten steirischen Landtag in den Bundesrat entsandt. Nebenbei ist er seit 2014 Regionalsekretär des ÖGB in Liezen.