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Häupl hat alleinige Kontrolle verloren

Von Bernd Vasari

Politik

Ein Jahr nach dem Wahltriumph ist Michael Häupls Machtposition in der SPÖ geschwächt und die Partei präsentiert sich zwiespältig. Als Nachfolger Häupls hat Michael Ludwig die besten Karten. Eine Zwischenbilanz.


Wien. Selten ist Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) aus den eigenen Reihen so hart kritisiert worden. Noch dazu in der Öffentlichkeit. Über Facebook und Twitter feuerten die beiden Stadträtinnen Sonja Wehsely und Renate Brauner gegen die Entscheidung einer Flüchtlings-Obergrenze, die auch der rote Parteichef mitgetragen hatte. Man könne schließlich "nicht alle Asylwerber aufnehmen", rechtfertigte sich Häupl. Damit war die rote Willkommenspolitik - mit der die Genossen wenige Monate zuvor noch die Wien-Wahl gewinnen konnten - Geschichte.

Zum Unverständnis der beiden Stadträtinnen. Das könne "nicht der Weg der SPÖ sein", "eine Obergrenze steht dem Menschenrecht auf Asyl diametral entgegen", postete Sozialstadträtin Wehsely. Und Häupl-Intima und Finanzstadträtin Renate Brauner erklärte, dass eine Obergrenze für Flüchtlinge "nicht nur falsch, sondern auch rechtswidrig" sei. Das hat gesessen.

Der Konflikt im Jänner offenbarte erstmals, dass Häupls Allmachtposition in der Partei nicht mehr gefestigt ist. Einen öffentlichen Widerspruch, das habe es jahrzehntelang nicht gegeben, sagt dazu Politologe Peter Filzmaier. "Früher war die SPÖ kommunikationsstrategisch immer so strikt organisiert, dass sie nicht einmal in Off-Gesprächen von der vorgegebenen Sprachregelung abgewichen sind. Das ist aber vorbei", sagt Filzmaier.

Heute habe der Parteichef die völlige Kontrolle über die Partei verloren. "Häupl war immer der Proaktive, mittlerweile hat er nicht mehr immer das Heft in der Hand", erklärt der Politologe. Für einen Bürgermeister wäre es wichtig, wenn darüber diskutiert wird, was von ihm ausgeht. "Das Problem besteht jedoch, wenn über etwas diskutiert wird, was nicht mehr von ihm ausgeht."

Der Grund dafür sei die von Häupl ungelöste Nachfolgefrage seiner Person als Bürgermeister. "Er hätte das Zeitfenster von der Wien-Wahl bis zur Präsidentschaftswahl nützen müssen", sagt Filzmaier. Stattdessen erlitt Häupls Position durch die Wahl-Schlappe und farblose Performance des von ihm miteingesetzten Kandidaten Rudolf Hundstorfer weitere Kratzer.

Vorbild Erwin Pröll

Häupl zeigte sich vom Ergebnis "tief betroffen". Es sei schwer, keine deftige Wortwahl zu finden, sagte er nach der Niederlage seines Parteifreundes. Für Filzmaier steht fest: "Nach der erfolgreichsten Wahl sollte man keine mehr schlagen. Das ist das Problem von Häupl gewesen."

Dass jedoch Weichenstellungen möglich gewesen wären, zeige das Beispiel Niederösterreich. Dort habe Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) die Nachfolge de facto geregelt. Pröll tauschte Wolfgang Sobotka mit Johanna Mikl-Leitner, die nun als designierte Nachfolgerin gilt. Häupl hielt sich jedoch zurück. Wer ihm nachfolgen wird, ist offen. Ein Umstand, der zu immer stärker werdenden Flügelkämpfen führe, sagt Filzmaier.

Auf der linken Seite die Vertreter der inneren Wiener Bezirke rund um Sonja Wehsely. Sie treten gegen die Verschärfung von Asylgesetzen auf und betonen die positiven Aspekte von Migration. In diesen Bezirken finden sich auch die Befürworter der rot-grünen Koalition. Sie fahren mit dem Fahrrad, trinken Latte Macchiato, sind gut gebildet und haben ein gutes Einkommen.

Auf der rechten Seite der roten Reichshälfte stehen die großen Flächenbezirke, auch Tangentenbezirke genannt. Hier zeigt man sich skeptisch gegenüber Zuwanderung. In Floridsdorf, Donaustadt oder etwa Simmering ist die Zahl der sozial Benachteiligten höher, man fährt lieber mit dem Auto und trifft sich beim Wirt ums Eck auf ein Bier. Mit den Grünen als Koalitionspartner können sie wenig anfangen. Ihr Vertreter ist Wohnbaustadtrat Michael Ludwig.

FPÖ und ÖVP für Ludwig

Im Gegensatz zu Wehsely hat es Ludwig nicht nötig, den - offenen - Konflikt zu suchen. Vor einem Jahr noch der Buhmann bei den Roten, erlebt er derzeit seinen zweiten Frühling. Denn Ludwig ist der Gewinner der von Wehsely und Brauner heftig kritisierten roten Kehrtwende hin zu einer strikteren Flüchtlingspolitik. Seit Jahren laufen die Genossen der Flächenbezirke scharenweise zum politischen Erzfeind FPÖ über. Bei den Wien-Wahlen im Oktober - als die SPÖ noch für eine Willkommenskultur eintrat - verlor die Partei mit Simmering erstmals einen Bezirk an die Blauen. Floridsdorf konnte nur knapp gehalten werden. "Mit linker Politik wird man sie nicht aufhalten können", sagt Ludwig und erteilt damit dem damaligen Kurs und somit auch dem Wehsely-Flügel eine Absage.

Für Ludwig spricht auch die stärkere Hausmacht. So ist er der einzige Vertreter der einwohnerstarken Flächenbezirke in der Stadtregierung. Häupl hatte es verabsäumt, einen Gegenkandidaten für Ludwig aufzustellen. Mit dem Floridsdorfer Parteigenossen Harry Kopietz hat der Wohnbaustadtrat zudem einen mächtigen Mentor an seiner Seite. Gerne als Bürgermeister von Wien würden ihn auch die beiden Oppositionsparteien FPÖ und ÖVP sehen. Mit Ludwig an der Spitze rechnet man sich im blauen und schwarzen Lager höhere Chancen auf eine künftige Regierungsbeteiligung aus.

Um Sonja Wehsely ist es hingegen ruhiger geworden, obwohl der vor einem halben Jahr heftig kritisierte Flüchtlingskurs auch unter dem neuen Bundeskanzler Christian Kern weitergeführt wird. Die Sozialstadträtin müsse derzeit abwarten, sagt Filzmaier. "Es wäre momentan politischer Selbstmord, wenn Wehsely sich gegen Kern positionieren würde." Einen Wechsel ins Regierungsteam von Kern hat Wehsely ausgeschlagen. Sie würde als Stadträtin in Wien bleiben, um weiterhin das linke Lager gegen Michael Ludwig zu unterstützen, heißt es aus roten Kreisen.

Einen grundlegenden Neustart in der Wiener SPÖ soll es im Herbst geben. Michael Häupl möchte dann den "Diskussionsprozess" am liebsten abschließen, wie er sagt. Wie gewichtig sein Wort in einigen Monaten noch sein wird, bleibt abzuwarten. Peter Filzmaier: "Häupl kann zwar immer noch ein Machtwort sprechen. Es wird aber immer deutlicher, dass es nur noch ein Machtwort auf Zeit ist."