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Reformen, Reformen, Reformen

Von Nina Flori

Politik

Sozialer Ausgleich und fossile Energie sollen Österreich von der Mittelmäßigkeit zurück an die Spitze führen.


Wien. Dass der Reformbedarf in Österreich groß ist, darüber herrscht bei den Verantwortungsträgern Konsens. Der scheidende Rechnungshof-Präsident Josef Moser hat sich erst kürzlich mit 1007 Handlungsempfehlungen für Österreich verabschiedet.

Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner haben Arbeitsgruppen einberufen, die sich den Sommer über mit den Themen "Wirtschaft, Beschäftigung und Arbeitsmarkt", "Innovation, Technologie und Forschung", "Bürokratie und Verwaltungsvereinfachung", "Bildungsreform" und "Asyl, Integration und Sicherheit" befassen sollen. Doch die Divergenzen zwischen den Regierungspartnern sind groß. Zu konkreten Reformplänen hält man sich im Bundeskanzleramt daher bedeckt.

Dabei hat Österreich diese bitter nötig: "Nach einem beeindruckenden Aufsieg in die Riege der einkommensstärksten Volkswirtschaften erleben wir nun schon ein halbes Jahrzehnt schwaches Wachstum, sinkende Reallöhne, steigende Arbeitslosigkeit und schrumpfende Marktanteile", sagte Karl Aiginger, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) am Mittwoch in Wien. In internationalen Rankings werde Österreich bei der Telekommunikationsinfrastruktur, Bildung und der Gleichstellung der Geschlechter bestenfalls im Mittelfeld gereiht. Im Bereich Innovation und Umweltziele verliere man die bisher gute Position. Die Abgabenquote und die Regulierungsdichte seien überdurchschnittlich, die Investitionsbereitschaft gedämpft. Die "kalte Progression", überdurchschnittliche Inflation und zunehmende Einkommensdifferenzen würden den Konsum belasten. Im Yale economic performance Indicator ist Österreich innerhalb Europas von Rang drei auf Rang zwölf abgefallen. Bei der Entwicklung aller Umweltindikatoren zusammen liegt Österreich zwischen 2000 und 2014 von 28 Ländern nur auf Rang 23. Auch in der Stickoxid-Bilanz rangiert Österreich wegen der vielen Diesel-Fahrzeuge nur an 20. Stelle.

"Es braucht ein Gesamtkonzept, das glaubwürdig und fair ist", betonte Aiginger und präsentierte die Agenda "Österreich 2025". Sie soll dem Abstieg zur Mittelmäßigkeit entgegenwirken und Österreich zurück an die Spitze führen. Statt nur auf das Bruttoinlandsprodukt zu achten, solle die Politik danach trachten, die Lebensqualität zu verbessern. "Man muss den Menschen die Abstiegsängste nehmen. Sie sind der Grund für die Polarisierung in der Gesellschaft."

Das Wifo sieht fünf "Hebel des Wandels" vor:

Innovationen: Österreich muss dem Wifo zufolge wieder eine Spitzenstellung im Innovationsbereich erlangen. Der technische Fortschritt soll künftig weniger auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern mehr auf der Steigerung von Energie- und Ressourcenproduktivität liegen.

Wirtschaftsdynamik beschleunigen: Dies kann dem Wifo zufolge durch öffentliche und private Investitionen in die Infrastruktur erreicht werden. Dabei solle man sich vor allem auf neue Technologien konzentrieren, die Emissionen reduzieren. Durch eine Verringerung der Einkommensunterschiede und einer deutlichen Reduktion der Sozialabgaben und Lohnnebenkosten will man den Konsum beleben. Außerdem sollen Unternehmensgründungen erleichtert werden.

Senkung der Arbeitslosigkeit:Das größte Problem am Arbeitsmarkt ist dem Wifo zufolge die Kluft zwischen der Ausbildung, über die die Menschen verfügen, und jener, die die Unternehmen gerne hätten. Es brauche daher eine Qualifizierungsstrategie. Außerdem müsse man den Faktor Arbeit deutlich verbilligen. Denn zurzeit machen Steuern und Abgaben auf Arbeit 25 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Österreichs aus. Das Wifo will zudem die Arbeitszeit flexibilisieren.

Weg von fossiler Energie: Die Nutzung alternativer Energiequellen und der Steigerung der Energieeffizienz sieht das Wifo nach der UN-Klimakonferenz im vergangenen Jahr nicht nur als Verpflichtung, sondern auch als Chance. Der Beginn dafür müsse der Abbau der staatlichen Subventionen auf fossile Energieträger sein (wie steuerliche Begünstigungen von Diesel oder etwa Heizkesselförderungen). Österreich soll eine Vorreiterrolle in der Umwelttechnologie einnehmen und diese auch zum Ausbau der Exportbasis nutzen.

Staat als Reformmotor: Der Staat dürfe das Wirtschaftsklima nicht weiter durch administrative Vorschriften und hohe Abgaben belasten, sondern müsse Beschäftigung und nachhaltige Technologien fördern. Die Abgabenstruktur soll - weg vom Faktor Arbeit - langfristig auf die Hälfte reduziert werden, hin zu Energie- und Umweltverbrauch. Dies fördere die Beschäftigung und nachhaltige Technologien. Grund- und Immobilienvermögen und hohe Erbschaften sollen besteuert, Steuerausnahmen radikal eingeschränkt werden. Zudem spricht sich das Wifo dafür aus, komplexe Zuständigkeiten zu bereinigen und den Föderalstaat und den Finanzausgleich zu reformieren.

All dies dürfe nicht einzeln, sondern müsse sich "gegenseitig unterstützend simultan" umgesetzt werden, betonte Aiginger.

Dafür braucht es jedoch Einigkeit: Wirtschaftsbund Generalsekretär Peter Haubner sprach sich am Mittwoch entschieden gegen Vermögens- oder Erbschaftssteuern aus. Die Belastung liege jetzt schon über dem EU-Durchschnitt. Mehr sei den Betrieben und Menschen nicht mehr zuzumuten. In puncto Arbeitszeit stimmt der Wirtschaftsbund-General aber mit dem Wifo-Chef überein: Eine Flexibilisierung könne nicht schnell genug kommen.