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Eine Frage der Menschlichkeit

Von Sigrid Maurer

Gastkommentare

Statt um den Schutz von Menschen geht es im aktuellen europäischen Diskurs meist nur um den Schutz der Grenzen.


Können Sie sich noch erinnern? Die Europäische Union hat im Jahr 2012 für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa den Friedensnobelpreis erhalten. Angesichts der Szenen an den europäischen Außengrenzen, aber auch in Ungarn, wo das Asylrecht ausgesetzt wurde, fragt man sich heute, ob das verdient war.

Statt den Schutz von Menschen in den Mittelpunkt des Selbstverständnisses der EU zu stellen, geht es im aktuellen europäischen Diskurs meist nur um den Schutz der Grenzen. Haben wir einen solchen Preis verdient, wenn wir in die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln schauen?

Dort leben Schwangere, Frauen mit ihren Säuglingen, Kleinkinder in zermürbend grausamen Zuständen - seit Jahren. Sexuelle Gewalt, unhygienische Zustände, dreckiges Wasser. Das liegt auch an der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der griechischen Behörden. Dennoch können die europäischen Staaten solche Zustände nicht einfach tolerieren.

Europa ist nicht gescheitert, es blieb in den vergangenen Jahren schlicht untätig in der Frage, wie ein gemeinsames europäisches Asylwesen aufgesetzt werden kann, in dem alle Länder unaufgeregt einen solidarischen Beitrag leisten. Generell ist die populistische Ausschlachtung des Themas, das Schüren von Ängsten Gift für vernünftige Lösungen.

Die Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 war definitiv eine große Herausforderung - auch für Österreich. Wir haben das geschafft, weil die österreichische Zivilbevölkerung beherzt, mit viel Engagement und Ausdauer gehandelt hat. Nämlich dort, wo die Politik zu langsam oder unwillig war. Unzählige Freiwillige haben Deutschkurse organisiert, Kleidung gesammelt, Patenschaften übernommen. Seither haben sich viele Menschen ein neues Leben in Österreich aufgebaut, Deutsch gelernt, Arbeit gefunden, ihre Kinder in die Schule gebracht. Ja, es gibt auch noch viele asylberechtigte Arbeitslose, aber auch sie werden es - unter anderem durch die Job-Initiative der Bundesregierung - mittelfristig in die Erwerbstätigkeit schaffen.

Wer 2015 als Schreckensszenario thematisiert, ignoriert die engagierten, solidarischen Handlungen vieler - und vermitteltet den damals Angekommenen einmal mehr, sie wären unerwünscht und nicht Teil unserer Gesellschaft.

Die österreichische Zivilgesellschaft ist auch jetzt bereit zu helfen. Es melden sich zahlreiche Gemeinden, die Familien und Kinder aufnehmen könnten - in einer überschaubaren Anzahl, in einem geordneten Prozess.

Es wäre einfach zu organisieren, über den Artikel 17 der Dublin-III-Verordnung. Wir könnten tatsächlich einen Unterschied machen. Kleinen Kindern, die wir im Augenblick nur frierend von Spendenaufruf-Fotos kennen, ein warmes Bad, ein sauberes Bett, eine sichere Umgebung bieten. Es stehen bereits bezahlte Betten leer, wir könnten sie problemlos zur Verfügung stellen. Es wäre ein menschlicher Beitrag. Wir haben Platz.