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Flüchtlingsheim will nach Neu Marx

Von Valentine Auer

Politik
Die Blumenbeete aus dem Hof der "VoZo" stehen heute bereits in Neu Marx im 3. Bezirk.
© "Displaced"

In der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft Vordere Zollamtsstraße im 3. Bezirk versuchte "Displaced" ein menschenwürdiges Großquartier zu ermöglichen. Im Juni wurde die Unterkunft aufgelöst. Die Zukunft des Projektes ist ungewiss.


Wien. Gähnende Leere im Hof der Vorderen Zollamtsstraße 7 (VoZo). Nur als Müll wirkende Haufen von alten Holzmöbeln erinnern daran, dass sich in diesem Hof vor wenigen Wochen noch eine Art Outdoor-Wohnzimmer befand. Aus Paletten gebaute Blumenbeete, Sitzmöbel und kleine Tische sollen eine Atmosphäre des Austausches schaffen.

Eine Atmosphäre, die auf den ersten Blick an ein hippes Start-up-Unternehmen erinnert. Weit gefehlt: Von September 2015 bis Juni 2016 betrieb das Rote Kreuz an dieser Adresse die größte Flüchtlingsunterkunft Wiens. Fanden zu Beginn bis zu 1250 Transitflüchtlinge hier einen Schlafplatz, wurde das Gebäude der ehemaligen Finanzlandesdirektion einige Wochen später zu einer längerfristigen Unterkunft für geflüchtete Menschen umfunktioniert.

Im Oktober diente die VoZo auch als Schauplatz des Kulturfestivals "Urbanize!", aus dem die Projektgruppe "Displaced space for change" hervorging: Zwei Lehrende und knapp 40 Studierende der Architekturfakultät an der Technischen Universität Wien zeigten in den vergangenen Monaten durch räumliche Umstrukturierungen, dass in Massenquartieren menschenwürdiges Leben ebenso möglich ist wie gelebte Integration. Doch weder die Stadt noch die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) zeigten Interesse an einer Weiterführung des Projektes. "Politisch ist das ein Wahnsinn. Es ist so viel Integration passiert, die woanders in der Form nicht passieren hat können", kommentiert Renate Stuefer, Lehrende der Architekturfakultät und eine der Initiatorinnen von Displaced, diese Entscheidung.

Über Grundversorgung hinaus

"Es genügt nicht, dass wir die Leute grundversorgen, dass wir ihnen ein Bett und zwei Mahlzeiten am Tag geben. Es braucht mehr", erklärt Karin Harather, ebenfalls Lehrende und Initiatorin des Projektes, die Idee von Displaced. Also begannen die Studierenden und Lehrenden mit der Arbeit und schufen auf mehr als 30.000 Quadratmeter neue Raumkonzepte – gemeinsam mit den Bewohnern des Hauses: Eine Kleiderausgabe, bei der die Flüchtlinge nicht in Bananenschachteln wühlen müssen, um geeignete Kleidung zu finden. Gemeinschafts- und Nähwerkstätten, die dazu einladen das Haus mitzugestalten, anstatt die Wohnsituation als gegeben hinzunehmen. Eine Bibliothek, die als ruhiger Rückzugsort dient. Container-Duschen mit Sichtschutz und Sitzgelegenheiten, die die bis dato prekäre Situation von fünf Duschen für das ganze Haus auflösten.

Nicht zu vergessen, das "Herz" der VoZo, das Kulturcafé: "Das Café war das Herz des Hauses. Wir organisierten Kindertheater, Geburtstagsfeiern, Chöre, Schachspiele", erzählt Jutta Wollendorfer sichtlich begeistert. Sie ist Anrainerin und half jeden Mittwoch im Café mit.

Hinzu kamen etliche kleine Interventionen. So zum Beispiel die spontane Befestigung einer Rutsche, wie der Student Samuel Métraux erzählt. "Das war eine Arbeit von 20 Minuten, die so viel Freude und Emotionen hervorrief. Die Kinder haben geweint."

Das Dorf in der Großstadt

Und so entstand laut Stuefer eine "kleine Dorfstruktur in der Großstadt", die von verschiedenen Seiten als positiv bewertet wurde: Der Pressesprecher des Roten Kreuzes bezeichnete das Haus als positiven Ausnahmefall. Die Polizei bedankte sich wiederum beim Roten Kreuz, da die VoZo das größte Flüchtlingsquartier und gleichzeitig jenes mit der niedrigsten Einsatzquote darstellt. Anfang Mai gipfelte das Engagement in der Verleihung des ersten Preises der SozialMarie.

Positive Töne gibt es auch aus dem Büro des Wiener Flüchtlingskoordinators Peter Hacker. Auf Nachfrage, wieso das Projekt geschlossen und kein Transfer in ein anderes Quartier forciert wurde, heißt es einerseits, dass der Vertrag mit der BIG ausgelaufen ist, andererseits soll künftig vermehrt auf kleine und private Quartiere gesetzt werden.

Derzeit sind 21.000 Menschen in der Wiener Grundversorgung untergebracht. 60 Prozent davon wohnen in privaten, 40 Prozent in organisierten Unterkünften. Aktuell bestehen 13 Notquartiere mit insgesamt rund 3000 Bewohnern und etwa 80 kleine Grundversorgungsquartiere mit durchschnittlich 50 Bewohnern. Allein 2016 wurden 20 dieser kleinen Quartiere errichtet.

Nachteile kleiner Quartiere
Laut Projektinitiatorinnen sei der Fokus auf kleine und private Quartiere ein Fehler: "Aufgrund der Größe konnten Dinge wachsen, die an einem kleinen Standort keinen Platz hätten. Dinge, die für die Menschen, die neu ins Land kommen, wichtig sind. Das Haus dient zu Beginn als Ankerpunkt. Durch das vielfältige Angebot haben die Bewohner die Möglichkeit, selber ihren Alltag zu bestimmen, und sie können neue Netzwerke bilden, die sie aufgrund der Flucht verloren haben", erklärt Stuefer.

Neu Marx als Zwischennutzung

Heute stehen die Paletten-Blumenbeete aus dem Hof der VoZo in Neu Marx. Genauer gesagt in "Open Marx", der Erweiterung des mobilen Stadtlabors der TU Wien. Dort soll eine offene Bildungslandschaft entstehen. Bereits jetzt wird mit Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft in Erdberg zusammen gearbeitet. Harather und Stuefer versuchen, bis Herbst das Projekt Displaced wieder auf die Beine zu stellen. Eine Möglichkeit wäre am Standort von "Open-Marx". Vorerst kann die TU Wien das im Eigentum der Wiener Stadtentwicklung (WSE) befindliche Grundstück für zwei Jahre nutzen. Laut Pressesprecher der WSE ist derzeit jedoch nicht angedacht, Wohnquartiere für Flüchtlinge an diesem Standort zu schaffen.